Am Donnerstag abend fand im Chemnitzer Schauspielhaus (sic!) eine Podiumsdikussion statt, bei der es speziell um das sogenannte „Experimentelle Karree“ an der Reitbahnstraße ging. Bei einer vor einem Monat vom Lokalblatt Freie Presse organisierten Veranstaltung zu „Chemnitzer Perspektiven“ stellte sich ja heraus, dass genau diese Insel der Unzufriedenheit ein Haupthindernis bei der ansonsten erfolgreichen Stabilisierung des „sächsischen Manchester“ als Industriemetropole bewährter Art darstellt. Nun könnte man diese verschwindend kleine Minderheit von Störern schlicht ignorieren, es spricht aber für die hohe Demokratiefähigkeit von Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD), auch solch ein Widerstandsnest nicht etwa mit der zur Verfügung stehenden Exekutivgewalt einfach auszuräuchern, sondern sich in einer offenen verbalen Auseinandersetzung der Herausforderung zu stellen. Die Argumente von BaLu überzeugten schließlich fast alle Anwesenden. Respekt vor dieser ungewöhnlichen argumentativen Leistung!
Für Nicht-Chemnitzer muss vielleicht erklärt werden, worum es sich handelt. Auf die im Juni 2007 erfolgte Hausbesetzung von einigen der in Chemitz noch verbliebenen Jugendlichen erfolgte nicht etwa ein polizeiliche Räumung, sondern das überaus großzügige Angebot der kommunalen Wohnungsgesellschaft GGG, ein nahe gelegenes großräumiges, doch wie üblich in Chemnitz für den Abriss vorgesehenes Objekt vorläufig beziehen zu dürfen. Die folgenden Ereignisse sind von Undankbarkeit geprägt. Die Aktivisten wollten statt des kleinen Fingers die ganze Hand und entwickelten kurzerhand Pläne, wie dieses Gebiet zu einer Keimzelle eines Szeneviertels á la Dresdner Neustadt oder Leipzig-Südvorstadt werden könnte. Solche Vorstellungen widersprechen aber der Meinung einer übergroßen Mehrheit der Chemnitzer! In Verkennung der Grundlagen jeder parlamentarischen Demokratie versuchten sie, die extremistischen Anschauungen praktisch umzusetzen, indem sie vor Ort schon illegale Objekte wie einen Stadtteilgarten oder eine wöchentliche Volxküche, einen Umsonst(!!)laden und eine nichtkommerzielle Fahrradwerkstatt installierten. Gipfel der Subversion war, dass sogar ein von der Kommune bezahltes (aber auswärtiges!) Planungsbüro unterwandert wurde, welches diese Ideen als strategisch tragfähig auswies, obwohl doch Chemnitz als Stadt bekannt ist, wo nur das zählt, was kurzfristig Gewinn bringt. Dass schließlich sogar eine Mehrheit von Abgeordneten des Chemnitzer Stadtrates im November 2008 einen scheinbar verbindlichen Beschluss fasste, dass tatsächlich an der Reitbahnstraße solch ein Zentrum des unberechenbaren Tohuwabohus enstehen solle, ist vermutlich auf massive Bestechungsgelder aus Quellen der Drogenmafia zurückzuführen. Darauf deutet hin, dass kaum einer der damals zustimmenden Stadträte heute etwas davon wissen will.
Bei der Veranstaltung im Schauspielhaus wurde nun aber überzeugend klargestellt, dass Chemnitz die erste deutsche Großstadt ist, in der Ruhe, Ordnung und Konformität ganz oben auf der Rangordnung der Werte stehen. Als BaLu verkündete, dass Homogenität der Lebensweise aller Bürger nicht nur im Reitbahnviertel, sondern in der ganzen Stadt das strategische Ziel sein, gab es langanhaltenden Applaus der fast 200 Anwesenden. Einige Chemnitzer hatten sogar alte Plakate von 1989 mt der Auschrift „Keine Experimente!“ mitgebracht, die sie begeistert schwenkten. Mit solch einer Rückendeckung der überwältigenden Mehrheit angepasster Einwohner könnte sich die Verwaltung eigentlich beruhigt zurücklehnen. Doch aus sozialem Verantwortungsgefühl auch den extremistischen Randgruppen gegenüber versprach die Oberbürgermeisterin schließlich noch, sich für die Beantragung von EU-Fördermitteln zum Aufbau eines Auswandererberatungsbüros einzusetzen.