Etwas erstaunt war ich, vom Plöttner-Verlag, gegen den ich vor einen Jahr prozessiert hatte, einen dicken Brief zu bekommen. Drin war das neue Buch von Jan Kuhlbrodt, ohne Anschreiben. Gut, gegen Schenkungen von Lesestoff habe ich selten was einzuwenden. Und gelesen habe ich das Büchlein nun auch.
„Vor der Schrift“ heißt es. Die grafische Gestaltung deutet schon darauf hin, dass es um Kindheitserinnerungen geht. Doch ins Französische gedreht – avant la lettre – kann auch gemeint sein, das die Autoren-Persönlichkeit schon existierte und geformt wurde, als sie ihren schönen Namen noch gar nicht buchstabieren konnte. Für den Schriftsteller und Philosophen Kuhlbrodt muss die Schrift einen herausragenden Stellenwert haben, die Zeit davor ist wohl nur eine Vorbereitung.
Er erzählt präzise (nehme ich jedenfalls an) von teilweise recht verwickelten Familienverhältnissen im Karl-Marx-Stadt der späten sechziger Jahre, von den Wohnungen – der heruntergekommenen auf dem Sonnenberg, der neuen im Plattenbau – und von frühen Freundschaften. Für mich gibt es Dejà-vu-Effekte, da ich ja die Stadt auch noch vor der Wende kennengelernt habe und Namen wie Friedrich-Engels-Straße mit etwas Anstrengung zu verorten weiß. Und auch weil ich den Autor und von den handelnden Personen zumindest die Mutter kenne. Ob die Aufreihung von Episoden aber für Leute in anderen Gegenden auch einen Reiz haben kann, ist doch eher fraglich. Denn die literarische Verarbeitung bleibt im Unterschied zu Kulbrodts vorigem Buch, dem ebenfalls autobiografischen „Schneckenparadies“, dünn. Zwar werden Reflektionen über die jetzige Zeit, in der er selbst Vater von zwei Töchtern ist, eingeflochten, doch Tiefe ist selten mal vorhanden. Es ist ein sehr persönliches Buch. Es sieht so aus, als habe er diese Erinnerungen sicherstellen wollen für sich selbst, ein bisschen auch für die Familie. Doch dafür wäre nicht unbedingt die Veröffentlichung nötig gewesen.