Seit meinem Dienstbeginn bei der Freien Presse in Chemnitz habe ich mich auf diesen Tag gefreut und auch beruflich darauf hin gearbeitet, Nun war es soweit. Am Sonnabend, 18. januar 2025, beginnt ofiziell das Kulturhauptstadt-Jahr für Chemnitz. Ich selbst war von um 10 vormittags nach um 8 abends im Dienst und fast die ganze Zeit unterwegs. Zeit für ein Fazit.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Der Tag der Eröffnung war ein großer Erfolg. Wenn ich Kritik an Details äußere, will ich auf keinen Fall zu dem widerlichen Volk gehören, das vor allem in der größten lokalen Facebook-Gruppe namens „Chemnitz live“ ein Sammelbecken und einen Resonanzraum hat.
Hauptpunkt der Kritik ist, dass die Neonazis von Kohlmanns „Freien Sachsen“ mitten durch das Areal der Festveranstaltung marschieren durften. Oberbürgermeister Sven Schulze beruft sich auf das hohe Gut der Versammlungsfreiheit. Das gibt es, und das ist gut so. Doch es gibt rechtsstaatliche Mittel, das Versammeln auf Areale außerhalb der Ereigniszone zu verbannen. Seit einem Jahr ist die Anmeldung Kohlmanns bekannt. Die Angst vor den berüchtigten Eilentscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Bautzen war also unberechtigt.
Bei der Pressekonferenz im Dezember 2024 wurde gesagt, dass das Ziehen der Lok „Hegel“ durch Bürger der Stadt als neues ikonisches Zeichen durch die Welt gehen soll. Ich habe gestern eine Presseschau über den Eröffnungstag geschrieben. Im Vordergrund der Berichte vieler überregionaler Medien stand aber, dass wieder mal die Nazis auf der Straße sind und am Opernhaus vorbeilaufen dürfen, während gerade der Bundespräsident vorfährt. Zwar bemerken die Medien auch, dass es mindest drei Mal so viel Gegendemonstranten gab. Aber von der Stadtverwaltung gehörte niemand dazu. Die feierten sich lieber im Safe Room. Ein klares Versagen der Verwaltung. Es sind wieder einmal die falschen (oder korrekten?) Bilder in die Welt herausgegangen. Sven Schulze hätte sicherling Standing Ovations in der Oper bekommen, hätte er gesagt: Moment mal, ich muss für fünf Minuten rausgehen, um die Verteidiger der Demokratie zu begrüßen. Nee, geht nich. SCHEIßE! Sorry, ich bin gerade nicht für diplomatisch taugliche Formulierungen aufgelegt. Für die Begrüßung gab es doch Wasserwerfer. Viel effektiver.
Ja, es gab auch andere Bilder. Wunderbare. In der Vorschau des mit einem Monat Verzögerung veröffentlichten Programms fand ich zunächst nicht viel, was mich zu einem „Must have“ verleitet hätte. Gundermann-Band? Ja, ok. Da wäre die Gefahr zu groß gewesen, dass ich zu falsch mitgegrölt hätte. Also ging ich zum Jakobikirchhof, um das Orchestra New Chemnitz zu sehen und hören. Anfang März war ich dabei, als sich auf Initiative Arbah Manillahs Musiker ganz verschiedener Genres erstmals zusammenfanden, um aus einer musikalisch nicht besonders filigranen, aber mitreißenden Hymne „Chemnitz – Karl-Marx-Stadt“ ein Ereignis zu bauen. Das haben sie geschafft. Die Strandmuschel an der Straße konnte aber nicht einmal die vielen Musiker fassen, einige, darunter der Macher (sorry: Maker) Arbah mussten auf dem Boden davor spielen. Auch für das Publikum war wenig Platz bis zum Außenbereich des La bouché. Und es waren viele gekommen, obwohl es der Opener des Programms 14 Uhr war. Und das Stück wurde über Monate einstudiert, während viele andere Acts einfach das machten, was sie immer machen. Aus meiner subjektiven Sicht war diese Platzierung eine peinliche Degradierung dieses ganz besonderen Beitrages, der eigentlich den Charakter des Kulturhauptstadt-Gedankens am besten ausdrückt.
Ich bin weiter gewandert, die Innenstadt füllte sich immer mehr mit Menschen. Das Wetter, als großer Unsicherheitsfaktor, war perfekt. Wunderbare Stimmung, volle Plätze. Und immer mehr Menschen. Ich habe für den Ticker der Freien Presse berichtet. Bis um sechs war ein Eindruck viel besser als vorab erwartet.
Dann bin ich zum Ziehen der Lok namens Hegel auf der Straße der Nationen gegangen. Das war als ein Höhepunkt des Tages angekündigt worden. Wunderbare Idee: Die Chemnitzer können wirklich anpacken! Hat auch funktioniert. Eigentlich. Aber wegen der Attraktivität des Ereignisses kamen Tausende Interessierte. Nur wenige konnten was sehen. Und hören. Der Moderator war nur im unmittelbaren Umfeld der Lok zu vernehmen. Ansonsten viel Gedränge und Geschimpfe. Verpufft. Auch ohne Dampf im Kessel.
Also weiter zur eigentlichen Eröffnungs-Show auf der Brückenstraße. Keiner der Volunteers und Einlass-Kräfte weiß, wie man zum Presse-Bereich kommt, der unmittelbar gegenüber der Bühne ist. Einen separaten Zugang gibt es auch gar nicht. Kommt man nicht eine Stunde vorher, soll man sich durch die Massen quälen. Der Einlasser am Gate pflaumt mich an: „Noch so einer. Wie viele von der angeblichen Presse kommen denn noch?“ Geschenkt. Aber dann kämpfe ich mich mit fast 100 Kilo Körpermasse noch etwa 50 Meter vor. Dann geht nichts mehr. Ich stecke fest. Im Sichtfeld zur Bühne ein großer Mast, obwohl es hier noch gar keine Straßenbahntrasse gibt.
Die Show beginnt. Steinmeier als Opener. Na gut, nicht lange, bis er sagt: „The Show must go on“. Oder so ähnlich. Über die akustischen Probleme des folgen den Programms wurde schon viel gesagt. Eine gigantische Bühne mit beeindruckender Lichtchoreografie, aber nichts zu hören? Nicht gerade professionell.
Zum künstlerischen Programm, soweit ich es denn wahrnehmen konnte: Es wurde vorab ein großen Geheimnis daraus gemacht. Es solle wie die Olympia-Eröffnung eine Überraschung sein. Fünf Tage vorab wurden dann doch paar Namen genannt: Bosse, Kalkbrenner d.J. und irgendeine Carolina, die niemand kennt. Was schließlich lief, war zu Dreiviertel ein Recycling des Nachmittagsprogramms.
Stefan Schmidtke hatte bei der Pressekonferenz am Montag versprochen, dass eine Geschichte erzählt wird. Wo war die denn? Eine Aneinanderreihung von Teilen ohne Zusammenhang. Anna Mateur als Moderatorin sollte die Verbindungen knüpfen. Ich habe sie schon am Nachmittag auf der Bühne am am Düsseldorfer Platz erlebt. Da kam sie sehr gut an bei einem Publikum, das zum größten Teil wusste, worauf man sich einlässt. Aber dann zur international ausgestrahlten Show nochmal exakt die gleichen Witze. Und ein Heckertgebiet- und Erzgebirgs-Bashing als Außenwahrnehmung der Kulturhauptstadt? Daumen nach unten.
Dann das abrupte Ende. Der kleinere Kalbrenner ist nicht zu sehen, lässt aber vom Computer abgespeichertes Material laufen. Licht aus. Das wars. Hä? Erst am nächsten Tag wird bekannt, dass eigentlich ein Drohnenballett hätte tanzen sollen, es aber technische Probleme gegeben hätte. Später die Nachricht, dass die Polizei den Einsatz wegen einer privat fliegenden Drohne untersagt hätte. Kann passiern in den hochtechnologisierten Zeiten. Dass aber niemand von den Verantwortlichen den Weg zum Mikro fand, um noch eine nette Nacht auf dem Neumarkt und dann in den vielen Clubs zu verbringen, war doch verstörend.
Ganz meiner Meinung, perfekt. Chemnitzer Bands hätten die Eröffnungsshow auch bespielen können.
Es waren viele Chemnitzer Akteure in die Show einbezogen. Darin liegt nicht das Problem, aus meiner Sicht mehr im unklaren Konzept.