Der Urlaub war nicht durchgeplant. Erst mal ein Aufenthalt in Slowenien. Da es schon während er ersten Woche zwei Tage heftig geregnet hatte, und die Prognose für die nächste Woche auch nicht so gut aussah, entschieden wir uns zur Weiterreise nach Italien. Eigentlich hatten wir ab dem 11. September in Chioggia gebucht. Am nächsten Tag kam eine Mail, dass erst ab dem 12. frei ist. Darum haben wir einen Zwischenstopp gesucht und dabei Gorizia gewählt, ein nicht all zu tolles Appartement gebucht.
Im vorigen Jahr hatte ich Sendi Mango von der Künstlergruppe Bridaaus Nova Goca zwar nicht persönlich kennengelernt, aber einen Artikel über ihren Aufenthalt in Chemnitz für die FP geschrieben, der gut ankam. Wie Chemnitz ist die Stadt 2025 ECoC, also European Capital of Culture. Als ich auf Facebook postete, dass wir in Slowenien sind, kam von Sendi gleich eine Einladung zum Kaffee. Ich schrieb ihr, dass wir zum Zwischenstopp in Gorizia sind. Wir sollen doch bei ihnen kurz vorbeikommen. Das heißt, in Sempas, einem Dorf etwa zehn Kilometer östlich von Nova Gorica. Mit etwas Mühe fanden wir das Anwesen. Ein sehr schönes Haus, dass Jurij, Sendis Mann, geerbt hat. Eltern und Schwester leben nebenan in einem Neubau. In dem Haus bringen sie auch Künstler bei Residenzen unter, vermieten zwischendurch über AirBnb. Nach dem Begrüßungskaffee entschieden wir uns zum Mittagessen in der Dorfkneipe namens Olga. So heißt die Großmutter des heutigen Betreibers. Es gab regionale Küche. Bei (meiner) Olga Forelle, bei mir gefülltes Schnitzel nach Ljubljanaer Art. Gut und preiswert.
Gesättigt fuhren wir nach Nova Gorica. Ich hatte kein gutes Image von der Stadt nach dem, was ich im Internet gesehen und gelesen hatte. Aber schon mal die Lage am Rande der Berge, am Horizont die Alpen, ist nicht schlecht. Zuerst zeigten sie uns das sogenannte Zentrum, am Sonntag quasi menschenleer. Das martialische Rathaus im Stalinstil, Partisanenfiguren über dem Eingang. Gegenüber an einer Grünfläche, das älteste Hochhaus, schon der Ostmodernde zuzurechnen. Daneben Theater und Bibliothek, in den 1980ern erbaut in einem damals modernen Stil. Mit Chemnitz hat die Stadt gemein, dass es viel freien Platz gibt, und wenig Menschen auf der Straße zu sehen sind.
Wieder ins Auto zum Europa-Platz. Dort steht das frühere Bahnhofsgebäude von Görtz, dass nach der neuen Grenzziehung der Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg als einziger Altbau in Jugoslawien blieb. Davor verlief die Grenze zwischen Ost und West mit Zaun und Soldaten. Heute erinnert ein in den Boden eingelassener Streifen im Boden an diese Grenze. Ein beliebtes Fotomotiv, mit zwei Beinen in verschiedenen Welten zu stehen. Natürlich mussten wir es nachmachen. Einmal offiziell mit Sendi und Jurij, einmal zu viert, aufgenommen von einer Passantin. Im Gebäude ist heute das Büro der Kulturhauptstadt.
Nochmal ins Auto, rüber nach Gorizia, der italienischen Stadt, die einst das habsburgische Görz war. Tatsächlich erscheint sie als eine Mischung von Italien und Österreich. Sendi erzählt über Schock der erneuten Trennung wegen Corona vor zwei Jahren. Mit einer Freundin auf der italienischen Seite verabredete sie aber eine Warenübergabe. Täglich reichten sie sich Beutel mit Produkten über die Demarkationsline, die auf der anderen Seite jeweils teurer waren. Ein alter Mann bemerkte das und verständigte die Polizei. Die konnte aber nichts machen, da es keinen illegalen Personenverkehr über die Grenze gab.
Nach einem Espresso verabschieden sich Sendi und Jurij. Vier Stunden haben sie sich für uns Zeit genommen.
Wir checken im Übergangsquartier ein, das nicht gerade super ist. Für eine Nacht reicht es. Es ist vier Uhr Nachmittags, also noch einmal in die Innenstadt. Das Schmuggler-Museum an der Grenzlinie, das uns Sendi und Jurij empfohlen haben, schaffen wir nicht mehr. Auch die Burg hat schon geschlossen, nachdem wir endlich den Aufgang gefunden haben. Der Blick über Stadt und Umgebung ist trotzdem schön.
Die Straßen der Altstadt haben Charme. Es fallen aber die sehr vielen leer stehenden Häuser oder Ladeneinheiten auf mit Schildern, dass man mieten oder kaufen kann. Sogar in sanierten Gebäuden. Die Stadt scheint bessere Zeiten gehabt zu haben. Was ist passiert, warum dieser Exodus?
Als ich auf der Hinfahrt meiner Frau ein bisschen über das Projekt Kulturhauptstadt erzählte, fragte sie erstaunt, warum denn die kleine slowenische Stadt das Fördergeld der EU mit der italienischen Nachbarin teilt, nicht für sich selbst verwendet. „Go! Borderless“ war das Motto der Bewerbung. Genau darum geht es, das Zusammenwachsen. Wir selbst sind in zwei Tagen zwei Mal über die Grenze gefahren, fast ohne es zu merken. Gut so.
Beide Städte, Gorizia und Nova Gorica, haben mit der Kulturhauptstadt genau wie Chemnitz eine Chance, einen Tritt in den Hintern zu bekommen, um eine stabile Entwicklung zu ermöglichen. Hoffentlich. In der vorigen Woche hat Nova Gorica endlich einen offiziellen Direktor des Projektes, nun sind Vertragsabschlüsse möglich. Eine gewisse Unsicherheit schafft die anstehende Wahl des Oberbürgermeisters von Nova Gorica, bei dem es voraussichtlich einen Wechsel geben wird. Aber die Weichen sind gestellt. Und der Elan der Akteure lässt Gutes hoffen. Wir freuen uns auf das Treffen mit Sendi und Jurij, wenn sie im Winter nach Deutschland kommen.