Bei der Nachbereitung der Buchmesse, also dem Durchsehen des dort eingesammelten bedruckten Papiers, fand ich in der mitgenommenen Gratisausgabe der Zeitschrift jungle world einen Artikel, der mich zum zweiten Mal in dieser Woche animiert, zum gar nicht so geliebten Thema Chemnitz etwas zu schreiben. „Trinken ist ungefährlich“ heißt der Text von Andreas Blechschmidt.
Dabei geht es nicht um Chemnitz, sondern um Hamburg. Dort wurde eine polizeiinterne Handlungsanweisung erlassen, die es als Kriminalitätsbekämpfung einstuft, wenn man dagegen vorgeht, dass „durch bestimmte Gruppen Aufenthaltsorte, die zum Verweilen oder zur freien Beweglichkeit eingerichtet wurden, in Anspruch genommen werden und somit der Allgemeinheit nicht mehr zur Verfügung stehen“. Ausdrücklich erwähnt werden Alkoholiker, Obdachlose und Punks.
Das erinnert stark an die Neufassung der Polizeiverordnung von Chemnitz. Dabei geht es also nicht um ein polzeiinternes Papier, sondern um ein kommunales Gesetz. Dieses muss vom Stadtrat beschlossen werden. Der erste Anlauf dazu scheiterte im Oktober an Protesten der Öffentlichkeit. Die unwesentlich überarbeitete Vorlage (lediglich das Verbot für Scater und BMXer auf öffentlichen Plätzen wurde gestrichen) lag im Januar erneut zur Beschlussfassung vor. Und scheiterte scheinbar. Ausgerechnet der Rechtsaußen Martin Kohlmann bemerkte, dass die Auszählung der Stimmen nicht korrekt war. Also Neuvorlage im Februar und Beschlussfassung mit einer Stimme Mehrheit.
In diesem überarbeiteten Gesetz finden sich neben dem allgemeinen Leinenzwang für Hunde (für mich kein Aufreger, für viele andere Leute doch) Passagen, dass Spielplätze nur von 8 bis 22 Uhr betreten werden dürfen und „aggressives Betteln“ zu unterbinden ist. Bemerkenswert ist aber in erster Linie Paragraf 13, Absätze 1b und 1c, in den es heißt, es sei verboten: sich ausschließlich oder überwiegend zum Zwecke des Alkohol- oder Rauschmittelkonsums in Gruppen von mehr als zwei Personen niederzulassen, wenn durch alkohol- oder rauschmittelbedingtes, unkontrolliertes, insbesondere aggressives Verhalten (Belästigung von Passanten, Grölen, Gefährdung anderer durch herumliegende Flaschen oder Gläser, Verunreinigungen) andere an der Nutzung der öffentlichen Straßen, des Weges, des Platzes gehindert oder von der Nutzung abgehalten werden,
c) sich wiederkehrend an denselben Orten regelmäßig zu versammeln und dabei Passanten bei der
Nutzung der öffentlichen Straße im Rahmen des Gemeingebrauchs behindern
In der beschlossenen Neufassung ist demnach festgelegt, dass zwei Personen sich noch mit einer Flasche Wein oder Bier auf einer öffentlichen Wiese niederlassen dürfen, ab drei Leuten wird es strafbar. Irgendwer kann sich ja dadurch immer belästigt fühlen und klagen. Und es gibt tatsächlich Leute, die gezielt danach suchen und die Notrufnummer fest im Handy eingespeichert haben. Auch mit einem Kollegen täglich zur gleichen Zeit auf den Bus zu warten („regelmäßig versammeln“) geht noch, weitere Mitarbeiter sollten sich so verhalten, als kenne man sie nicht.
Nun steht die berechtigte Frage, wie man das wirklich kontrollieren und durchsetzen möchte. Genau diese Frage stellte sich auch die Fraktion REP/DSU des Chemnitzer Stadtrates, welche die Gesetzesvorlage uneingeschränkt unterstützt hatte, und reichte sie als Kleine Anfrage ein. Rechtsdezernet Miko Runkel antwortete „Mit freundlichen Grüßen“ auf die Anfrage und beruhigte die Nazis, dass schon zehn weitere Planstellen für städtische Ordnungshüter eingestellt worden seien, die gemeinsam mit der offiziellen Polizei auf Streife gehen werden. (Ja, ich gucke ab und zu im Netz, was die Nasen so schreiben, werde hier aber keinen Link setzen).
Trotz dieser seltsamen Parallelität gibt es zwischen Hamburg und Chemnitz etliche Unterschiede. Einer davon ist, dass in Hamburg die Linkspartei (die dort vermutlich nicht sonderlich mitgliederreich ist) den Skandal der Handlungsanweisung öffentlich gemacht hat. In Chemnitz hingegen hat die Links-Fraktion, stärkste im Stadtrat, die idiotische und völlig überflüssige Verschärfung der Polizeiverordnung (die Kriminalitätsrate in der Stadt liegt unter dem Durchschnitt) nicht nur mitbeschlossen. Miko Runkel, Schöpfer dieses unsäglichen Dokuments, wurde von eben jener Partei ins Dezernentenamt befördert.
In die Tat umgesetzt hat man dieses Ansinnen im beschaulichen Erfurt bereits im vergangenen Jahr. In der gesamten Innenstadt darf außerhalb gastronomischer Einrichtungen kein Alkohol von Personen-„Gruppen“, die mehr als zwei Menschen umfassen, genossen werden. Auch Einzelne, die sich länger – was das genau heißt vermisst man in der kleinlichen Ordnung und wird wohl im „Ermessen“ der Exekutive sowie sich belästigt fühlender Bürger liegen – mit Alkohol an einem Ort aufhalten, sind von der Verordnung betroffen. Ausnahmen gibt es nur bei bestimmten „Volksfesten“ und Fasching, also dem gesellschaftlich sanktionierten Abschuss. – Ade du Domstufenzechen mit synoptischer Aussicht, good bye romantisches Gelage hinter der Krämerbrücke. Das werden nun wohl nicht wiederholbare Erinnerungen (m-)einer Jugend sein. Würde ich nicht schon Jahre in Leipzig leben, auch aufgrund der lebendigen Freien Szene um einmal auf die Faber-Doxa zu verweisen, ein weiterer Grund, der Stadt den Rücken zuzukehren. Solche Verdikte werden aber derzeit überall in der Republik verhängt und scheinen der ordnungspolitische Renner zu sein, zu dem man sich in den Rathäusern gewiss gern einen Piccolo gönnt. Da scheint es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis ein erstes solches Papier auch in Leipzig auf dem Beschlusstisch landen wird. Dank Videoüberwachung kann man bereits auffällig gewordenen und damit registrierten „Übeltätern“ dann gleich den Bußgeldbescheid per Post zu kommen lassen und die „Verwarnung“ mittels SMS zustellen. »O schöne neue Welt…«
Ganz ehrlich: als noch relativ junger Leipziger (29) mit Kind und an einem Spielplatz wohnend, in dessen Umgebung sich eine Disco befindet, würde ich mich sehr freuen, wenn endlich eine etwas rigidere Polizeiverordnung in Leipzig beschlossen werden würde. Besonders den oben kritisierten Passus würde ich sehr begrüßen, scheint es doch einziger Sinn und Zweck vieler Jugendlicher zu sein, durch möglichst rücksichtsloses Verhalten (inklusive Vandalismus und regelmäßiger Störung der Nachtruhe infolge übermäßigen Alkoholkonsums oder aber absoluter Egomanie) Aufmerksamkeit zu erlangen.
Sollen sie alle gern ihr Bierchen trinken, meinetwegen auch auf „unserem“ Spielplatz – aber nur solange sie auch Rücksicht nehmen auf Leute, die in unmittelbarer Nachbarschaft gern schlafen möchten.
Das Bedürfnis nach Ordnung und Ruhe ist die eine Sache, wie man das erreicht eine andere. Überwachung und Repression erscheinen mir nicht nur wegen des damit verbundenen gewaltigen Aufwandes ungeeignet. Die beschriebenen Jugendlichen werden sich einen anderen Treffpunkt suchen, das Problem ist damit nur verlagert. Zugleich wird Jugendfreizeiteinrichtungen das Geld gekürzt bis hin zur Schließung. Breite Angebote für Jugendliche bis hin zum Tolerieren selbstverwalteter Freiräume halte ich für sinnvoller.