Ganz ehrlich: Als ich vor paar Jahren hörte, dass Chemnitz sich als Kulturhauptstadt Europas bewirbt, habe ich gelacht. Aber vor zwei Monaten schrieb ich eine Mail an einen Verleger, bei dem ich schon ein Buch über Chemnitz gemacht habe, dass ich so ein Bauchgefühl habe, Chemnitz könne es wirklich werden. Nun schnell noch eine Publikation zu machen war nicht machbar. Auch nicht nötig. Bis 2025 ist noch Zeit, darüber nachzudenken.
Eigentlich freue ich mich über die Entscheidung. Weniger, weil ich vielleicht mit etwas Fachwissen davon profitieren kann. Die Stadt hat Potential, braucht aber einen Schub, der wohl von außen kommen muss. Falls das kein Strohfeuer bleibt, das in diesem besonderem Jahr abgebrannt wird, und dann bleibt nur Asche.
Das sogenannte Bidbook in der zweiten Fassung, also das Bewerbungsschreiben, habe ich nur überflogen. Genau da aber wird Wert gelegt auf das Erschließen dieser verborgenen Ressourcen. Wie ernst ist das gemeint? Ich kann mich an ein Gespräch mit Barbara Ludwig erinnern, als sie von ihrer kurzen und nicht gerade erfolgreichen Zeit als Ministerin in Dresden sagte, dass sie auswärtige Gäste am liebsten durch das Szeneviertel Äußere Neustadt geführt habe und sich wünsche, dass es doch so etwas ähnliches auch in Chemnitz gäbe. Als es dann zarte Ansätze in Form des Experimentellen Karrees gab, war es gerade Ludwig, die in Tateinheit mit der GGG-Chefin Simone Kalew dafür sorgte, dass so etwas abgewürgt wird. Die vergeblichen, weil in sich widersinnigen Bemühungen, den Brühl zu einer quirligen Meile zu machen, sind ein anderes Beispiel. Dieser Zug dürfte nun wohl auch abgefahren sein. Ludwigs Nachfolger kenne ich überhaupt nicht. Er wird den weiteren Prozess und sicherlich auch das Kulturhauptstadtjahr zu verantworten haben.
Ein komisches Gefühl bereitet mir die Vermutung, dass nun gerade die Ausschreitungen Rechtsradikaler vor zwei Jahren zur Entscheidung beigetragen haben könnten. Bilder davon werden sogar auf den ersten Seiten des Bidbook gezeigt. Also ein Mitleidbonus bei der Entscheidung? Das wäre fatal. Auch wenn viele der an der Randale Beteiligten keine Chemnitzer waren, ist doch nicht zu übersehen, dass die Stadt sich schon lange mit dem Problem des Rechtsradikalismus schwer tut. Im Februar 2013 waren meine Frau und ich bei einer Demo gegen einen Aufmarsch von Neonazis, die gegen die Wehrmachtsausstellung protestieren. Sowohl das Verhalten der Polizei als auch der Medien war fragwürdig. Die Freie Presse berichtete, dass dies doch ganz normale Leute seien, die sich im Bahnhof sogar Döner beim Türken gekauft hätten. Als ich dagegen protestierte, bekam ich für längere Zeit ein Schreibverbot in dem Blatt. Später kamen die Verwicklungen des NSU mit Chemnitz heraus. Lange bekannt und zum Teil bis heute bestehend sind rechtsextreme Strukturen wie PC Records, Haller Security etc.so wie auch deren Verknüpfungen zum seit Jahren insolventen, dennoch weiter existenten Fußballclub. Wird die Entscheidung für die Kulturhauptstadt beitragen, daran etwas zu ändern? Mal sehn.
Was wünsche ich mir von der Kulturhauptstadt 2025? Vor allem eine dauerhafte Stärkung der Freien Szene. Die kommunalen Einrichtungen wie die Kunstsammlungen samt Filialen, Theater und Oper machen gute Arbeit, die überregional anerkannt wird. Alles was unter dieser Ebene liegt, hat es verdammt schwer. Das hat mit einem ausgeprägtem Kontrollzwang der Entscheidungsträger zu tun. Bunte Haare? Ja doch, gern! Aber welche Farbe an welcher Stelle, das bestimmt die Verwaltung.
Des weiteren sollte es Ausbildungsmöglichkeiten für kreative Berufe geben. Der Nachwuchsmangel ist gravierend. Gut aufgestellt ist die Popmusik, Kraftklub hat gar Kultstatus über die Grenzen Sachsens hinaus. Daneben gibt es etliche andere interessante Bands. Dass aber Splash-Festival schon vor vielen Jahren abgewandert ist und das am gleichen Ort nachfolgende Kosmonaut auch wieder gestorben ist, spricht für sich.
Viel dürftiger aber sieht es in der Kunst aus. Bildende Künstlerinnen und Künstler, die jünger als 50 Jahre sind, muss man aufwendig suchen. Ähnlich in der Literatur. Gibt es außer Hans Brinkmann überhaupt einen hauptberuflichen Schriftsteller in der Stadt, die fast eine viertel Millionen Einwohner hat?
Diese Dürftigkeit hat zweifellos mit dem Fehlen kreativer Ausbildungszweige nach der Ebene des Abiturs zu tun. Nach dem Studium in der Ferne kommen nur wenige Absolventen zurück trotz günstiger Wohn- und Lebensbedingungen. Nun wäre es vermessen, in den kommenden fünf Jahren eine Kunsthochschule in Chemnitz aus dem Boden zu stampfen. Jedenfalls nicht staatlich oder kommunal. Aber eine kleine privatwirtschaftliche Akademie für Kunst, Literatur und Film … man wird ja mal träumen dürfen.
Ich hoffe, die Verantwortlichen haben sich bei diversen bisherigen Kulturhauptstädten umgesehen und gelernt, wie man Fehlschläge vermeidet. Am wichtigsten aber erscheint mit ein Wandel in der Mentalität. Das kriegt man nicht mit noch so viel Finanzmitteln hin. Ich hoffe, dass es klappt.