Der Einschlag war hart, doch ich hatte keine Verletzungen. Nach etwa zehn Minuten Ruhepause versuchte ich die Luke der Landekapsel an den Schraubverschlüssen zu öffnen, was misslang. Sicherlich würde das Bergungsteam bald da sein, ich aber wollte einfach nur raus. Schließlich bemerkte ich, dass die Schrauben sowieso durchgesägt waren und die Luke nur vom Gummiring eines Einweckglases gehalten wurde. Mein schweizer Taschenmesser hatten mir die russischen Bordingenieure aus Sicherheitsgründen schon vor dem Start abgenommen. Doch einen Fingernagelknipser hatten sie nicht als potenzielle Waffe identifizieren können. Damit durchzwickte ich den Gummi. Die Luke schnappte auf und ich bewegte mich auf die Öffnung zu, in der ich tiefblauen kasachischen Himmel sah. Doch ich hatte nicht beachtet, dass ein Ende des Gummis am Türhebel hängen geblieben war – und russische Einweckgläser sind für Jahrhunderte konzipiert. Das eiserne Rund schnellte zurück und mir auf den Schädel.
Jahrhunderte … Jahrhunderte, einige Jahrhunderte oder zumindest Minuten später hörte ich Jim Morrison mit weiblich hoher Stimme: „Come on baby, light my fire“. Eigentlich war die Landung schon glühend genug, doch ich versuchte trotzdem die Augen aufzukurbeln. Jim hatte dicke schwarze Zöpfe um ein kindliches Gesicht drapiert. Die junge Kasachin hielt mir einen frisch geernteten Joint entgegen. Nein, auch mein Feuerzeug war beim Start konfisziert worden. Sorry. Mit enttäuschter Miene verschwand das Mädchen. Eigentlich sah sie ganz süß aus, richtig lecker. Aber erstens brummte mir der Kopf, zweitens wollten die Beinmuskeln nach zwei Wochen Weltraum nicht mehr in den gewohnten Algorithmus finden, drittens war ich leer. Das Spezialforschungsprogramm, für das ich mich gemeldet hatte, weil ansonsten die Arbeitsagentur mein Wohngeld gestrichen hätte, erschien mir zuerst als die ganz große Nummer. Das war sie dann eigentlich auch.
Alle Besatzungsmitglieder der ISS hatten stets in anderen Abteilungen der Station schrecklich viel zu tun oder spielten im Outer Space Werkzeugtaschenzielwurf. Alle. Alle bis auf eine. Laila. Tochter des iranischen Botschafters in Israel und einer somalischen Piratenqueen. Auch die Nanny Robert Mugabes, die Chauffeurin Ho Chi Minhs und ein Spengstoffberater Che Guevaras gehörten zu ihren Vorfahren. Laila war die Krönung und der Endpunkt der Evolution. Gleich nach dem Eintreffen in der Station wollte ich den Skaphander ausziehn, doch er war schon durch meine Spontanerektion über zweiundzwanzig Zentimeter aufgerissen, keine Übertreibung. Auf den eigentlich von der Arbeitsagentur vorgeschriebenen Funkkontakt mit Sigmund Jähn für das MDR-Abendjournal Sachsenspiegel musste ich verzichten. Ging einfach nicht. Laila lächelte nur und machte mit einem gekonnten Blick auf den Riss in meinem Skaphander Eintragungen in ihr Protokoll. Dann ging es los. Zwei Wochen Sex, schwerelos. Pausenlos. Wer jetzt ungläubig lächelt, der irrt. Manche Weiterbildungskurse der Arbeitsagentur zeigen tatsächlich Effekte. Immer wenn Laila Notizen in ihr Protokoll machte, versuchte ich etwas zu schlafen, doch kaum war mir Mutti oder Ursula von der Leyen vor dem inneren Auge erschienen, kurvte Laila mit ihren langen, sonnensegelgebräunten und weit gespreizten Beinen schräg über/unter/neben mir. Weiter im Programm. Lustig war aber das Einfangen der Spermatröpfchen, wenn mal was danebenging. Wir hatten uns aus Melitta-Kaffeefiltertüten Spezialkescher für diesen Zweck gebaut. Dass Britney, eine übergewichtige amerikanische Astronautin, die uns zweimal täglich die Tubennahrung brachte, mit diesen Filtern dann auch noch wirklich Kaffee kochte, ist nicht weiter schlimm. Entgegen mancher Behauptungen macht Sperma oral genommen nicht noch dicker. Trotzdem war ich froh, als endlich die schrottreife Sojus andockte, um mich zurück zur Erde zu bringen. Die Miete für die nächsten 12 Monate hatte ich mir aufrichtig verdient. Und nun diese Landung, oder besser gesagt, der Absturz.
Ich quälte mich schließlich aus der Kapsel und plumpste in die ausgedörrte Steppe. Weder von einem Bergungsteam noch von dem kiffenden Mädchen war irgend etwas zu sehen. Die ersten 23 Kilometer kroch ich auf allen vieren, die weiteren 91 Kilometer konnte ich dann schon aufrecht laufen. Da ich alles Zeug, außer der Meldebescheinigung der Arbeitsagentur, in der Kapsel zurückgelassen hatte, bekam ich langsam Durst und Hunger. Zum Glück tauchte gerade eine winzige Ansiedlung in der flimmernden heißen Luft auf: Leninskoje. Hinter der Bretterbude des Dorfsowjets fand ich McDonalds. Das war jetzt wirklich knapp, dachte ich und stutzte. Los Wochos! Auch das noch, wo ich doch eine Chili-Allergie habe. Zwar konnte ich noch einem Straßenhändler eine Dose Penaten-Creme aus tadschikischer Raubproduktion abkaufen, um meinen wundgeriebenen Penis zu behandeln, doch ich musste mich weiterschleppen. Nach zwei Stunden, die Sonne versank gerade, kam ich nach Roter Stern, dem Hauptort des Rayons. In der Teestube ließ ich mich auf einem einhundert Jahre alten Teppich nieder. Ein ungefähr genauso alter Mongole brachte mir ein Schälchen vergorener Hengstmilch und lächelte. In einer der Falten des Gesichts mussten sich seine Augen verbergen. Ich versuchte auch zu lächeln. „Wie geht es meiner kleinen Laila?“ fragte er. „Den Umständen entsprechend.“ Durch das unverglaste Fenster sah ich einen Lichtpunkt am Himmel eine Bahn ziehn. Wir stießen mit unseren bunt verzierten Keramikschälchen auf die Völkerfreundschaft an. Das Leben ist schön.