Aporien des Zerpflückens von Artefakten

Da haben wir es wieder einmal: „Aus Kunstkritik ist Kunstberichterstattung geworden, journalistische Teilhabe am gigantischen und gigantisch bunten Kunstbetrieb“, schreibt Hans-Joachim Müller in der Januar-Ausgabe der Kunstzeitung. Die Schlagzahl scheint sich zu erhöhen, in der solche Lamentos erscheinen, manchmal bis aufs Wort identisch in der Formulierung. Dann frage ich mich immer, wann denn die glorreichen alten Zeiten waren, als Kritik noch Kritik war. Wahrscheinlich, als die Kunst noch Kunst war. Denn eines ist sicher: die Aufgabe früherer Kunstkritik, die immer weiter voranpreschende Avantgarde dem verunsicherten Betrachter schmackhaft zu machen, gar zu erklären, ist weggefallen. Es gibt keine Vorhut mehr, alles kann Kunst sein, wie gerade die documenta dokumentierte, und der durchschnittliche Konsument ist derart aufgeklärt, dass er sich über nichts mehr wirklich wundert sondern brav Schlange steht vor den Kassen von Kassel.

Also könnte man eigentlich auf die Kritik verzichten. Doch dann sind die Künstler und ihre natürlichen Verbündeten, die Galeristen, die ersten, die aufheulen. Das käme ja einer Ignoranz ihres Schaffens gleich. Berichterstattung soll schon sein, auch Kritik soll eigentlich sein, aber …

Der Kritiker befindet sich in einer Zange. Der eine Hebel, der auf ihn einzuwirken versucht, ist der Kunstbetrieb selbst inklusive des Marktes. Kritik, so richtig kritische, soll sich immer nur den anderen Teilnehmern des Betriebes widmen. Der entgegengesetzt wirkende Hebel ist der, wie ihn Müller hier ansetzt: Das Schreiben über Kunst müsste generell viel kritischer sein. Dabei findet man auch heute in den Feuilletons genügend Verrisse, gerade die Kunstzeitung hebt sich darin von anderen Blättern ab.

Mit der zweiten Art von Hebel hatte ich in den letzten Wochen so meine ganz eigene Erfahrung. Ein Leipziger, der plakativ das Wort Kunstkritik in den Titel seines Blogs eingefügt hat, schrieb mir nach meinem Artikel über den Winterrundgang der Spinnerei, dass man dies alles ganz anders schreiben müsse. Aber das sei ja nicht nur in meinem Wurstblatt so. Da haben wir es wieder einmal. Nur finden sich auf seiner Seite, die ja viel unabhängiger ist, als es eine Tageszeitung je sein kann, leider kaum Beispiele für seine sprachlich ausgefeilte und zugleich gnadenlos zerlegende Analyse des aktuellen Kunstgeschehens, die ich mir als Vorbild nehmen könnte. In einer seltsamen Auslegung von SEO nennt er in der Überschrift jedes Artikels immer zuerst seinen Namen, nennen wir ihn hier einmal Jochen Gockel, um dann über die Schlechtigkeit der Welt, mehr noch aber der Medien zu referieren, darunter eben jenes „Wurstblattes“, das er als meines bezeichnet, obwohl ich daran noch nie Anteile hielt. Vorgestern hatte ich wieder so eine Mail von ihm, diesmal zur Ausstellung im Bildermuseum. Zwar habe er meinen Artikel noch nicht gelesen, aber dass ich mich nicht traue, die nötige Generalabrechnung mit diesem Museum anzugehen, sei ja klar. Muss man solche Kritik der Kritik ernst nehmen? Ich denke nein. Der Spamfilter wird neu justiert.

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4 Antworten auf Aporien des Zerpflückens von Artefakten

  1. Lieber Jens Kassner,

    ich erwäge, unser gemailtes Gefecht unverändert und ungekürzt in meinem Blog zu veröffentlichen.
    Ich messe diesen kleinen Zwistigkeiten mitnichten eine überragende Bedeutung bei.

    Aber Ihr Beitrag (oben),welcher meine Sorgen in derartig einfältiger, rudimentärer Manier banalisiert und verfälscht, strapaziert mich dann doch.
    Da spürt man dann doch die Nähe zu Ihren journalistischen Aktionen.
    Ich erwarte, dass Sie meinen korrekten Namen verwenden.
    Ich werde Jürgen Henne gerufen, weniger Jochen Gockel. Ich habe nichts zu verbergen.
    Ich gönne Ihnen natürlich diese kleinen Simpelspäßchen.
    Doch hat sich mein Humorverständnis, spätestens nach der zweiten Ejakulation, etwas anders entwickelt.
    Von Jürgen Henne zu Jochen Gockel. Naja, vielleicht etwas wenig, Herr Sven Kasserolle.

    Und nörgeln Sie doch nicht ständig an meinem Blog-Titel.
    Das kann doch nicht ernsthaft ein Thema sein, welches sie unentwegt ausbrüten, wie ein Furunkel in der Kniekehle.
    Soll ich mich für „juergenhennerevolverdrehmaschine“ entscheiden.
    Ich bevorzuge „juergenhennekunstkritik“.

    Besoders erschöpft mich die Kenntnisnahme der Wortsülze, die Sie in der Überschrift Ihres Beitrages anbieten.

    „Aporien des Zerpflückens von Artefakten“

    Mein Gott, klingt das wichtig und wissend.
    Ich bin dabei intellektuell keineswegs überfordert. Doch dominiert der Eindruck einer dampfend aufgeschäumten Aspik-Suppe.
    Und darunter dann dieser Banaltext.
    Das muss man mögen.

    Die neue Justierung Ihres Spamfilters, die meine Mails an Sie zerfleddern wird, interessiert mich wie die Sellerie-Besamung in Ostgrönland.
    Allerdings werde ich dabei erneut an Ihre Kunstkritiken erinnert.

    Vielleicht bieten auch Sie Ihren Lesern unseren Mailkontakt an.

    Beste Grüße

    Jürgen Henne

  2. admin sagt:

    Schön, wie sich da jemand aufregt. Nur ein Tipp: es gibt bei der Benennung von Internetseiten keinerlei Pflicht, da irgendwelche Schlagworte einzufügen. Tut man es doch, entsteht eine Erwartungshaltung, der man zumindest ansatzweise nachkommen sollte.

  3. Lieber Herr Admin,

    ich hatte Sie nicht um einen Tipp gebeten.

    Wollen wir jetzt über die Bedeutung von Benennungen für Internetseiten in globalen Zusammenhängen debattieren. Unter besonderer Berücksichtigung von Schlagworten, deren Notwendigkeit noch nicht bewiesen wurde.

    Diese Dürftigkeit irritiert mich.

    JH

  4. admin sagt:

    Ist ja lustig: Jemand, der mich ungefragt mit Ratschlägen zuschüttet, welche Themen ich zu bearbeiten habe und wie man Kritiken richtig schreibt, sagt mir: Ich hatte Sie nicht um einen Tipp gebeten.

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