Byung-Chul Han kann gut schreiben. Und seine Bücher sind mit hundert Seiten im Kleinformat und in der häppchenweisen Untergliederung auch leicht zu konsumieren. Dabei ist er aber keinesfalls flach. Es macht Spaß zu lesen, wie er mit fundiertem Wissen sprachliche Konventionen auseinandernimmt. Gleich zu Beginn des Büchleins Im Schwarm unterscheidet er plausibel zwischen Respekt und Spektakel, die den gleichen Wortstamm haben. Rückschau versus Gegenwartssucht. Später erklärt er im Sinne seines Anliegens, dass digital vom lateinischen Finger herstammt, der zum Zählen diente. Abzählen versus Denken.
Seine bemerkenswerten sprachlichen Fähigkeiten und das umfassende Wissen ordnet Byung-Chul Han dem Zweck unter. Für das Buch Im Schwarm besteht der Zweck darin, den aus seiner Sicht verheerenden Paradigmenwechsel zu illustrieren, der mit dem Internet, vor allem aber dem interaktiven Web 2.0, vollzogen wurde.
Kennzeichnend für den digitalen Schwarm ist ihm der Shitstorm, darin manifestiert sich seiner Meinung nach das Verbindende der eigentlich vereinzelten, häufig anonymen Individuen. Wer das Internet nicht allein aus externen Beschreibungen kennt, muss da eigentlich schon stutzig werden. Ist wirklich der Shitstorm der bezeichnende, dar einzige Ausdruck des Schwarms? Was ist mit Wikipedia, der immer üppiger und besser werdenden offenen Software, freien Datenbanken, Open Access? All diese Begriffe fehlen in seinem Essay. Der Shitstorm muss sie ersetzen, dieses Kackegewitter. Er ist möglich in einer Kultur der Respektlosigkeit und Indiskretion. Möglich schon, aber nicht zwangsläufig und nicht die singuläre Ausdrucksform. Die Individuen, die sich zu einem Schwarm zusammenschließen, entwickeln kein Wir. So? Sind die Entwickler von freier Software keine verschworene Community? Sind es andere gemeinsam an einem Projekt Arbeitende nicht, selbst wenn sie sich nie gesehen haben? Die Beteiligten am Croudfunding für Projekte, deren Erfolg unsicher ist`Die digitalen Bewohner des Netzes versammeln sich nicht. Quatsch. Warum strömen dann Tausende zu Re:publika und ähnlichen Zusammenkünften? Und selbst auf die Ebene des digitalen Normalos runtergerechnet reicht es zur Frage, warum denn trotz überwältigender neuzeitlicher Fernsehtechnik so viele Leute zum Public Viewing strömen? Massentourismus? Rock-Festivals? Das kann man doch alles im Netz oder im Fernsehn haben. Elektronische Medien wie das Radio versammeln Menschen, während digitale Medien sie vereinzeln. Ach so.
Das Pendant zum digitalen Schwarm ist für Byung-Chul Han die menschliche Masse, der er nachtrauert. Erst die zu einer gemeinsamen Handlung entschlossene Masse generiert die Macht. Den digitalen Schwärmen fehlt diese Entschlossenheit. Sie marschieren nicht. Als die Arabellion noch ein hoffnungsvller Prozess war, kursierte ein Witz: Im Himmel treffen sich Nasser, Sadat und Mubarak und stellen sich untereinander vor: Gamal Abdel Nasser, vergiftet. Anwar as-Sadat, erschossen. Hosni Mubarak, facebooked.
Nun kann man einwenden, was denn aus den Aufbrüchen in den arabischen Ländern, von digitalen Medien befördert, geworden sei? Aber was ist aus der ganz traditionellen Massenrevolution in Frankreich anno 1789 geworden, der in Russland 1917 und so weiter? Die technische Art der Massenmedien scheint da nicht so ausschlaggebend zu sein für Erfolg und Scheitern. Es kann nur schneller gehen bis zur Enttäuschung. Die neoliberalen Wirtschaftssubjekte bilden kein zum gemeinsamen Handeln fähiges Wir. Occupy widerlegt diese Behauptung. Auch gescheitert? Vorläufig. Die Saat quillt aber weiter.
Auffällig intensiv beruft sich Han auf Carl Schmitt, den bei Neurechten immer noch und immer wieder beliebten Staatstheoretiker. Souveränität sei, wer über den Ausnahmezustand entschiedet, sagt Scmitt. Das Gegenteil dieser Souveränität ist für Byung-Chul Han die Transparenz. Sie verhindert Machtausübung. Das mag ansatzweise stimmen. Das schnelle Scheitern der grandios gestarteten Piraten liegt zweifellos an ihrem Transparenzverständnis. Andererseits ist es all zu offensichtlich, dass die digitalen Medien nicht zwangsläofig zu allgemeiner Transparenz führen. Die vermutlich zu einem schmutzigen Gentleman Agreement führende NSA-Affaire zeigt, dass eher die Undurchschaubarkeit wächst.
Bei aller Eloquenz erweist sich Byung-Chul Han als typischer Kulturpessimist. Das wird schon daran sichtbar, dass er bei der Analyse des Ist-Zustandes – so wie er sich ihm persönlich darstellt – stehenbleibt. Auswege aus dem vermeintlichen Dilemma versucht er nicht einmal zu skizzieren. Früher war alles besser.
Byul-Chung Han
Im Schwarm. Ansichten des Digitalen
Matthes & Seitz Berlin 2013