Preis der Leipziger Buchmesse für das beste Sachbuch des Jahres – eine starke Hausnummer. Und in der überregionalen Presse flankierende Rezensionen von wohlwollend bis begeistert. Also habe ich mir Helmut Lethens Der Schatten des Fotografen gekauft. Und gelesen. Mit einer gewissen Enttäuschung, zumindest gemessen am allgemeinen Lob.
Durch die Rezensionen hatte ich den Eindruck, Lethen nehme sich eine Auswahl von Fotografien vor, die er nacheinander analysiert, vor allem auf die Frage hin, wie viel Täuschung drin steckt. Symptomatisch dafür ist das Bild auf dem Cover, auf dem eine Frau im Sonnenschein durch ein seichtes Gewässer watet. Fast idyllisch. Fotografiert von einem Wehrmachtssoldaten. Die Russin oder Ukrainerin war eine (noch) lebende Minensuchmaschine, gezwungen von den deutschen Eroberern.
Es gibt bereits einige Bücher, die sich mit dem manipulativen Potential von angeblich ach so objektiver Fotografie beschäftigen. Das für mich erste war Gert Prokops Die Sprache der Fotografie, das ich mir in den späten Siebzigern als Teenager gekauft habe. Prokop geht es dabei nicht nur pflichtgemäß um die (Foto-)Lügen der westlichen Presse- das auch, – doch viele von seinen Beispielen haben auch heute noch Bestand. Und gegenwärtig macht sogar der Fernsehsender 3Sat Eigenwerbung mit Fotos, die zunächst nur halb gezeigt werden, dann bei der Einblendung der anderen Hälfte eine umgekehrte Aussage bekommen.
Allerdings weiß heute, im Zeitalter der allumfassenden digitalen Knipserei, ergänzt durch Apps von Instagram und zumindest rudimentären Erfahrungen in der Bildbearbeitung von Picasa über Gimp bis hin zu Photoshop, fast jeder, was machbar ist in Sachen Manipulation. Aber auch dann, wenn in manchen Artikeln oder Fernsehsendungen Fotografen voller Überzeugung sagen, digitale Fotografie sie für sie ein Tabu, weil sie glaubwürdig arbeiten wollen, ist das schrecklich lächerlich. Ich hatte zu der Zeit als ich mir Prokops Buch kaufte, eine Dunkelkammer, weiß also, dass man auch analog lügen kann.
Herbert Lethen geht es aber gar nicht darum. Die digitale Bildbearbeitung spielt bei ihm kaum eine Rolle. Sowieso geht es im langen einführenden Teil gar nicht um Fotografie. Er berichtet über eine verstörende Performance von Marina Abramovič und Ulay, bei der sich die Vernissage-Besucher durch das nackte Paar in der Galerietür zwängen müssen. Und er analysiert ein Werk von Bruce Nauman mit angeblichen Abdrücken der Knie von fünf bekannten Künstlern in weichem Wachs.
Was hat das mit dem Schatten des Fotografen zu tun? Ein Schlüsselerkenntnis Lethens könnte unter der Berufung auf Sloterdijk sein, dass nicht mehr die Kreativität, sondern die Wahrnehmung im Mittelpunkt stehe. Schon seltsam, dass Helmut Lethen über seine Vergangenheit als Maoist plaudert, dann aber gerade Sloterdijk als persönlichen Erwecker anführt. Und die Wieder-Wahrnehmung der Wahrnehmung ist nicht das Verdienst des Karlsruher Großphilosophen allein. Aistehsis heißt ein Band des damals auch noch in Leipzig ansässigen Reclam-Verlages von 1990, eine Sammlung postmoderner Aufsätze, wo es gerade auch, wie der Titel sagt, um das Wahrnehmen als Gegensatz zur Anästhesie geht.
Ok, Lethen kommt dann tatsächlich noch zur Beschäftigung mit bestimmten Fotos und deren Entstehungsgeschichte. Nicht das Bild des russischen Soldaten, der auf dem Reichstag die Sowjetfahne hisst. Der Fake ist schon zu bekannt. Nicht der fallende Kommandeur im Spanienkrieg, auch sehr bekannt. Capas Bild des angeblich letzten US-amerikanischen Opfers der Befreiung Deutschlands, in Leipzig aufgenommen, wäre zwar lohnend, doch kommt ebenso wenig vor. Allerdings die allzu bekannte Madonna des New Deal von Jessica Lange. Dass dies kein zufälliger Schnappschuss war, erscheint nicht all zu überraschend. Einige weitere nicht ganz so verbreitete Bilder werden besprochen.
Ein zentrales Thema ist allerdings der Vergleich der umstrittenen Wehrmachtsausstellung in erster und zweiter Fassung. Da wird es interessant. Doch ist hier nicht die Analyse von Einzelbildern das Thema, sondern die Art der Präsentation wie auch der Recherche von Fakten, das Kuratieren also.
Das ist eigentlich wichtig. Gehört aber nicht direkt zum Thema, das der Titel suggeriert und viele Kommentatoren so wiedergeben. Es ist ein gut lesbares Buch, partiell spannend, aber irgendwie durch die Mainstream-Rezension in eine Richtung gedrängt, die nicht ganz passt.