Als Musikjournalist, vornehmlich bei Spex, war mir der Name Dietrich Diederichsen schon bekannt. Durch einen Kommentar im eigenen Blog wurde ich auf ihn als Theoretiker aufmerksam und las nun sein bisher vorletztes Buch mit dem so gar nicht nach Kulturdiskurs klingenden Titel Eigenblutdoping. Im Untertitel heißt es dann allerdings Selbstverwertung, Künstlerromantik, Partizipation. Es handelt sich um die überarbeiteten Manuskripte einer Vortragsserie im Hamburger Kunstverein. Deshalb geht es auch nicht nur um Pop, wie bei Diederichsen anzunehmen, sondern ziemlich viel um Bildende Kunst, ihre Hersteller, Käufer, Verkäufer und Konsumenten. Dabei zeigt sich, dass der Autor sich nicht nur zwischen Bob Dylan und Melvins auskennt, sondern eben auch zu anderen Sparten etwas Substanzielles sagen kann. Allerdings ist die Darstellungsweise schön unorthodox, hat mit dem üblichen Phrasenmodulsystem der Kunsthistoriker nicht viel zu tun.
Das Buch ist zwar in drei Kapitel mit je drei bis fünf Abschnitten unterteilt, doch die Systematik lässt sich nicht so einfach nachvollziehen. Der Wechsel zwischen Musik, Film, Literatur und Kunst ist fließend. Obwohl es vorwiegend um Entwicklungen der letzten Jahrzehnte geht, finden auch Rückgriffe auf den bürgerlichen Roman des 19. jahrhunderts oder die Surrealisten Verwendung. Bezeichnend dafür ist der Einstiegsabschnitt. Da geht es um den Loop, eine aus der neueren Tanzmusik bekannte Figur, die Diederichsen aber auch in Büchners Lenz wiederfindet. Und die von Kant hinlänglich bekannte ästhetische Kategorie des Erhabenen wendet er auf den Glamour der siebziger Jahre an.
Typisch ist die Beobachtungshaltung des „Anti-Odysseus“, die er in einer früheren Schrift charakterisiert hat: Während viele Theoretiker sich grundsätzlich auf die Sphäre des Pop grundsätzlich nicht einlassen, versuchen andere wie der antike Held, gefesselt an den Mast, den Sirenengesängen zu lauschen – hinhören, aber ja nicht ihnen verfallen. Diederichsen verzichtet auf die Fesseln, lässt sich verführen, weiß dann aber messerscharf zwischen Schund und Rosinen auch in dieser Sparte zu unterscheiden – jedenfalls gemäß eigener Kriterien, die natürlich nicht jeder teilen muss.
Selbstverständlich bleibt so ein Autor nicht im Zirkelschluss der Kunstwelten stecken, das Gesellschaftliche und Ökonomische schwappt ganz heftig herein, immer mit einem nicht ganz exakt zu verortetendem linken Standpunkt. Als roter Faden zieht sich die These durch das Buch, dass in immer stärkerem Maße der Künstler selbst zum Produkt wird. Darauf bezieht sich auch der Titel: Der Imperativ des andauernden uns umgebenden Authentizitätspornos lautet doch, dass man wie man selbst sein soll, ganz und gar man selbst – und diese Selbst-Identität auch noch ständig zu steigern. Da hilft nur, sich dieses blöde Selbst, mit dem es identisch zu sein gilt, immer wieder und in immer höheren Dosierungen in die Venen zu jagen, bis Eufemio Fuentes kommt oder Dr. Melfi. Hier schimmert die Behauptung von Negri/Hardt aus Empire durch, dass die postmoderne Biomacht das Leben selbst produziere. Folgerichtig wird auch Diedrich Diederichsen immer mehr selbst zu einem Markenartikel, vielleicht ohne es zu wollen. Jedenfalls ist er dabei so erfolgreich, dass beispielsweise die heutige junge welt eine Kurzmeldung mit Diederichsens Durcheinander tituliert, obwohl der Journalist nur eines von mehreren Mitgliedern eines baden-württembergischen Kulturbeirates ist.