Die libanesische Malerin und Schriftstellerin Etel Adnan wuchs als Tochter einer Griechin und eines Offiziers der osmanischen Armee mit Griechisch und Türkisch als Muttersprachen in einer arabisch-französisch geprägten Umfeld auf. Doch zum ersten Mal, so berichtet sie in einem Artikel der Zeitschrift Lettre International, sei sie während des Studiums in den USA gefragt worden, wie sie sich denn selbst definiere. Nach der ersten Überraschung, so berichtet die geborene Kosmopolitin, habe sie sich dann aber durchaus wohl damit gefühlt, einer bestimmten Gruppierung zuzugehören.
Identisch, so lernt man im Matheunterricht, nennt man es, wenn zwei oder mehr Dinge deckungsgleich sind, ununterscheidbar. Für Menschen scheint das schwer anwendbar zu sein. Selbst eineiige Zwillinge sind nicht absolut gleich. Dennoch hat der Begriff Identität gerade Hochkonjunktur in der politischen Debatte. Die Identitäre Bewegung ist nur ein besonders auffälliger Ausdruck dessen. Seit Beginn des Jahrhunderts ist in Frankreich die Génération identitaire aktiv, seit 2012 hat sie in Österreich, seit 2014 in Deutschland Ableger. Die deutsche IB wird vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft und beobachtet. In Halle betreibt sie nahe des Steintor-Campus der Uni eine Art inoffizielles Hauptquartier.
Was soll nun so verwerflich sein an gruppenstiftender Geborgenheit, noch dazu, wenn sie von hipstermäßig auftretenden jungen Leuten verbreitet wird, so ganz ohne Springerstiefel und Thor-Steinar-Shirts? Selbst die zentrale These der Ethnopluralität muss doch für liberale Geister unverfänglich klingen. Was kann man schon gegen Pluralität haben?
Zwar wird dabei ein angeblich friedliches und gleichberechtigtes Nebeneinander der Völker plädiert, aber eben nicht für ein Miteinander. Ethnische Zugehörigkeit steht im Vordergrund, nach welchen Kriterien auch immer definiert. Die Völker sollen regional fein säuberlich sortiert werden. Wie das in der Praxis aussieht, kann man an der bis heute nachwirkenden Geschichte der Kriege im zerfallenden Jugoslawien nach 1990 studieren. Saša Stanišić beschreibt in seinem Roman-Erstling Wie der Soldat das Grammofon repariert nachdrücklich diese brutale Tragödie, wie der nationale Wahn aus bisherigen Nachbarn Todfeinde macht und sogar Familien zerreißt.
Ein anderes Buch, ebenfalls das Debüt einer Absolventin des Deutschen Literaturinstituts Leipzig, heißt Der Russe ist einer, der Birken liebt. Hier deutet schon der Titel an, dass es um die persönliche Suche nach einer Ein- und Zuordnung geht. Die Romanheldin Mascha ist nicht mit der Autorin identisch, hat aber einiges mit ihr gemein. Sie ist russische Jüdin aus Aserbaidshan, die als Kind nach Deutschland kommt, später Arabistik studiert. Mascha scheitert am Zwang, sich definieren zu sollen. Olga Grjasnowa aber, verheiratet mit einem Syrer, gehört heute wie Stanišić oder auch Ilja Trojanow, Nino Haratischwili und Feridun Zaimoglu zu den wichtigen Stimmen der deutschsprachigen (!) Literatur. In anderen, weniger sprachbasierten Kultursparten wie der der Literatur, spielt die Herkunft noch weniger eine Rolle.
Es mag abgelegene Inseln geben, in denen das von den Identitären beschworene „Eigene“ noch halbwegs feststellbar ist. In Europa wie auch den Amerikas ist es eine gewagte Konstruktion, unvermischte Kulturen festzuschreiben, die so angeblich seit Urzeiten existieren. Die Gebräuche und auch die Sprache zwischen verschiedenen deutschen Landschaften unterscheiden sich erheblich, während es nicht erst seit der Digitalisierung annähernd weltweit erhebliche kulturelle Schnittmengen gibt. Selbst sogenannte Rechtsrock-Bands nutzen musikalische Muster, die der afroamerikanischen Tradition entstammen.
Ohnehin steht die Frage, wieso Identität vordergründig oder gar ausschließlich an irgendwelchen ethnischen Merkmalen festgemacht werden soll. Schon die simple Unterscheidung zwischen Frau und Mann sowie anderem Gender nebst sexueller Orientierung ist für jedes Individuum im Alltag wichtiger. Und die soziale Herkunft und Stellung, die Interessen und Neigungen nicht weniger. Hat nicht eine Leipziger Pianistin mehr mit ihrer japanischen Kollegin gemein als mit ihrem Wohnungsnachbarn, der „Frei.Wild“ liebt?
In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte Olga Grjasnowa: Da ist jetzt meine Herkunft aus einem bildungsbürgerlichen Haushalt. Das ist die Herkunft dessen, dass meine Mutter Musiklehrerin ist, und dass zum Beispiel bei uns nur klassische Musik wahnsinnig wichtig war und Popmusik fast gar nicht vorkam. Ist das meine Herkunft? Oder ist es die Tatsache, dass ich in Aserbaidschan geboren worden bin? Was sagt schon dieses biografische Detail über mich aus? Am Ende gar nichts.
Identität ist nichts Schlechtes. Solange sie nicht völkisch verengt wird. Der rechtsradikale Zuschnitt des Begriffs hat nichts Vereinendes, Gemeinsamkeit schaffendes. Vielmehr trennt und unterscheidet er, grenzt aus uns führt zu Hass bis hin zum Genozid.