Unmittelbar nach meinem Artikel über Sibel Schick hatte ich mir ihr Heftchen „Deutschland schaff´ich ab. Ein Kartoffelgericht“ bestellt. Dann war es irgendwie in den (Un)Tiefen meines Rucksacks verschwunden und jüngst wieder aufgetaucht. Gelesen ist es schnell, 15 Druckseiten im Postkartenformat. Geeignet für eine Straßenbahnfahrt.
Ich habe versucht den Text als Satire zu interpretieren. Dafür spricht der Untertitel wie auch das ständige Reden von den „Almans“. Doch es gelingt mir nicht. Ich finde keine einzige Stelle, an der ich auch nur schmunzeln könnte. Auch die Ernsthaftigkeit des Vorwortes spricht dagegen.
Dort heißt es: „Die deutsche Gesellschaft hat ein Rassismusproblem, und sie muss in ihrer hiesigen rassistischen, sexistischen, behinderten-, trans- und homofeindlichen Form schnellstmöglich abgeschafft werden.“ Dass es diese Probleme gibt, ist völlig klar. Aber abgesehen von der seltsamen Verwendung des Wortes hiesig stört mich die Vokabel abschaffen. Sibel Schick hat sich all zu sehr in die Anspielung auf Sarrazins Pamphlet verliebt, um die Unstimmigkeiten im Sprachgebrauch zu merken. Die Missstände könnten nur auf Anweisung von oben „abgeschafft“ werden, so wie nach 1945 der Nationalsozialismus abgeschafft wurde. Also gar nicht. Überwinden wäre eine angemessene, aber all zu optimistische Wendung. Zurückdrängen könnte ein realistisches Ziel sein. Trägt Schick dazu bei? Aus meiner Sicht überhaupt nicht.
In einem Nachwort zum Vorwort erklärt sie noch: „Ich nutze das Wort Alman, um jene Deutsche zu markieren, die angeblich keine Zuwanderungsgeschichte haben. Alle Almans sind Deutsche, nicht alle Deutsche allerdings Almans.“ So tut sie das, was sie am liebsten tut: Menschen in Gruppen mit angeblich stereotypen Eigenschaften einteilen. Alle schon länger hier lebenden Deutschen haben die gleiche Mentalität. Schon der erste Teil des zweiten Satzes ist fragwürdig. Es gibt viele abstammungsmäßige Superdeutsche, die eine andere Staatsbürgerschaft haben. Und was ist zum Beispiel mit den sogenannten Russlanddeutschen, die sich häufig besonders nationalistisch benehmen, sich aber bevorzugt untereinander auf Russisch unterhalten?
Na ja, Differenzierung ist wirklich nicht die Sache von Frau Schick. Das wird dann ganz schnell beim eigentlichen Text des Flugblattes in Heftform deutlich. Die erste „Kapitel“-Überschrift ist „Geiz“. Da stehen so tiefsinnige Sätze wie „Wenn Sie Almans fragen, wie zum Beispiel das Festival am Wochenende war, werden jene zuerst sagen: „Es war teuer.““ Häääh? Ich habe keine Ahnung, in welchen Kreisen von Almans sich Frau Schick in den zehn Jahren bewegt, seit sie das Urlaubsparadies Antalya gegen das verhasste Dunkeldeutschland eingetauscht hat. Ich habe jedenfalls in meinen fast 60 Jahren jene Almans, die derart reagieren, nicht kennen gelernt. In der Türkei war ich noch nie, aber in mehreren Reportagen habe ich gesehen, wie bei Hochzeiten die Braut mit unzähligen Geldscheinen dekoriert wird, was ich durchaus als unangenehm empfinde.
Und so geht es weiter. Es ist eine plumpe Ansammlung von Klischees. Dagegen ist sogar Sarrazins Debüt noch pseudowissenschaftlich. Er versucht wenigstens Faktenbelege zu finden, um sie in seinem ideologischen Sinne zurechtzubiegen. Bei Schick gibt es ausschließlich Ressentiments, die sich mit nichts belegen lassen. Unter anderem unter der Überschrift „Zugang zu ihren Gefühlen“, was dann fortgesetzt wird mit „…haben sie nicht.“ Das wird so erklärt: „Stellen Sie sich eine Gesellschaft vor, die aus Menschen besteht, die zu Mitläufer*innen und herzlosen Soldaten erzogen worden ist, beim Aufwachsen nicht in den Arm genommen wurden, keine Emotionen haben durften.“ Das schreibt Sibel Schick im Jahr 2020. Das Feindbild Mülltrennung darf dann nicht fehlen, wahrscheinlich ist auch das ein Erbe des NS-Regimes und ein Indiz für Rassismus.
Für den Primitivismus Schicks ist Fremdschämen angebracht. Wäre sie Teenagerin, könnte man es als einen spontanen Wutausbruch deuten. Doch sie ist über 30 und arbeitet als Journalistin. Sie ist vom Hass zerfressen, völlig unfähig zu irgendeiner Unterscheidung zwischen Menschen mit vordergründig ähnlichen biologischen Merkmalen.
Ich weiß, der Vorwurf des Whataboutism wird sofort kommen. Aber wie wäre es denn, wenn Sibel Schick sich mal ihr Herkunftsland vornimmt, um es „abzuschaffen“ wegen Rassismus, Sexismus etc. Die Rolle der Frauen dort ist ja wohl nicht so wirklich ein ganz winziges bisschen besser als in diesem Scheißdeutschland. Und für solch eine Streitschrift käme Schick da wohl gleich in den Knast. Hier aber kann sie den Quatsch verbreiten ohne Konsequenzen, was für manche Qualitäten dieses Landes spricht. Was aber will sie wirklich erreichen, welche Zielgruppe spricht sie an? Schleierhaft. Wahrscheinlich will sie nur Aufmerksamkeit um jeden Preis.
Sibel Schick
Deutschland schaff´ ich ab. Ein Kartoffelgericht
Berlin: Sukultur 2019, 2 Euro