Tiefergelegt

Das wird jetzt ein längerer Sermon. Beim Versuch, „Hochkultur“ wie einen glitschigen Aal packen zu können, geht es mir nicht um philosophische Tiefe. Da er aber wie ein Prädikat der Stiftung Warentest benutzt wird, und alle, die da keinen Aufkleber abbekommen haben oder gar nicht erst in den Test einbezogen wurden, die Angeschmierten sind, hat es ganz praktisch-pragmatische Bedeutung, dieses so all zu selbstverständlich benutzte Label entweder exakter zu bestimmen oder zu demontieren/dekonstruieren. Allerdings sind die folgenden Gedankensprünge ungeordnet. Zur Systematik bin ich zu faul. Nennen wir es also Passagenwerk, da kriegt die Kritik gleich mal kalte Füße.Bisher war ich so weit gekommen, dass Hochkultur sich zunächst nicht positiv mittels nachprüfbarer Kriterien definiert, sondern negativ als Gegensatz von, von, von … ja was? Da geht es los. Für mich. Ich will zunächst mal versuchen, die diversen Alternativen, Gegenentwürfe, Differenzen, Différances etwas durchzuleuchten.

Udo T. von und zur Neiße schlägt die Quaterionisierung (man merkt, dass ich mich gerade mit Pynchons „Gegen den Tag“ abquäle) vor zwischen Hochkultur, Gewaber, Underground und richtiger Underground. Bedenklich finde ich , dass er auf Nachfrage sein eigenes (von mir geschätztes) Ouevre als „Gewaber mit herausstehenden Dornen und Blüten“ charakterisiert. In welche Richtung stehen diese Dinger heraus? Ich hoffe mal, die Dornen nach oben, die Blüten nach down under. Wäre mir so am sympathischsten. Trotzdem komme ich mit seiner generellen Selbsteinordnung ins „Gewaber“ nicht klar. Darunter würde ich per se solche Quotenträger der TV-Stationen (egal ob GEZ- oder werbefinanziert) und gleichgeschalteter Live-Veranstalter einordnen, die sich an die simpelsten Denkmuster und Instinkte richten. Nun habe ich aber die praktische Erfahrung gemacht, dass beispielsweise die gesamte Spokenword-Szene von Gralshütern der „hohen“ Literatur als Gewaber eingeordnet wird, also nicht förderfähig ist, während die esoterischen Lyriker(innen) der neuesten Innerlichkeit auf Staatskosten künstlich beatmet werden, als wären sie eine Investmentbank. Darum, lieber Udo, schlage ich mal vor, das Gewaber als Kategorie denen zu überlassen, die im eigentlichen Sinne Adornos Kulturindustrie als Hauptaktionäre angehören, dort nicht nur den blanken Lebensunterhalt für sich sichern, sondern auch mein Haus, meine Yacht, meine Drittfrau (deren …, …, … meine ich natürlich, nicht wirklich meine). Davon befreie ich dich kurzerhand und hätte also die erste Destruktion, wenn auch noch keine Dekonstruktion, geschafft.

Nun bleiben vorläufig noch Underground und richtiger Underground stehen. Da sich Udo noch immer um eine Bestimmung des Prädikates „richtig“ herummogelt, mache ich einen Vorschlag: „richtiger Underground“ ist nach der bestehenden Gesetzeslage illegal. Also beispielsweise die gesamte Street Art (sieht man von den bekloppten „legalen“ Sprühflächen ab, wie sie auch die Linkspartei Leipzig fordert). Gibt es dazu Parallelen in Literatur, Musik, Film, Theater? Sicherlich dann, wenn die Inhalte offensichtlich rassistisch, supernationalistisch, pädophil sind. Doch die Street Art steht fast immer gegen genau solche widerlichen Tendenzen. Ihr „Verbrechen“ sind nicht die Inhalte, sondern die Art der Distribution. Sachbeschädigung (also ein nicht genehmigtes Klebebild an einer weißen Hauswand) ist schlimmer als ein Text, der jeden vietnamesichen Gemüsehändler als Geldwäscheanstalt bezeichnet. Da geht es ja nur um Menschen, nicht um privateigentümliche Sachwerte. Wie können nun die genannten Medien auf derart konstruktive Weise wie die Street Art illegal werden? Gedichte an Plakatwänden und Brandmauern, Konzerte auf der Straßenkreuzung, Performances während eines Gottesdienstes oder einer Stadtratssitzung. Vielleicht. Wer macht mit?

Und Underground? Na ja, das ist eben das Zwischenfeld zwischen der Illegalität und dem Gewaber. Einverstanden? Bitte nur zustimmen, wenn ich Udo T. aus dem Gewaber befreien darf.

So. Große Absatzpause. Sollte ich Nummerierungen setzen? Dann würde es schon wieder nach System aussehen. Besser nicht.

Hochkultur vs. Freie Szene. Das finde ich nun richtig fies. Alle kommunal oder staatlich getragenen Institutionen per se als „high brow“ einzuordnen, egal was sie verzapfen, die zwar geförderten (oder eben nicht), aber unabhägigen Häuser oder hauslosen Initiativen als „low brow“, das ist einfach nur unverschämt. Zudem wird dabei die eigentlich wichtigere Unterscheidung zwischen rein kommerziellen Unternehmen und solchen auf gemeinnütziger Grundlage verwischt. Seltsamerweise haben nun manche städtischen Einrichtungen eine innige Zuneigung zu hochprofitablem Schund, wenn ich mit beispielsweise das Programm der Stadthalle Chemnitz, zutreffend auch als Karl-Moik-Stadt bezeichnet. Und selbst im Gewandhaus dürfen Otto Waalkes und Gitte Henning beklatscht werden. Außerdem stand vorige Woche in der LVZ, dass an der MuKo Leipzig gerade das „Schwarzwaldmädel“ Premiere feiert. Wer 1917 nichts anderes im Sinn hatte, als die Liebesnöte eines Dorftrampels zu besingen, ist der wirklich künstlerisch und gesellschaftlich tragbar? Die Gegenüberstellung Hochkultur – Freie ist eigentlich so hochgradig blödsinnig, dass sie sich von selbst erledigt. Warum taucht sie dann immer noch und immer wieder in den Medien auf?

Jetzt wird es wikipedisch. Da steht nämlich: Hochkultur als soziologischer Begriff umfasst die von meinungsbestimmenden Eliten genutzten, als besonders wertvoll akzeptierten Kulturleistungen – im Gegensatz zu Alltagskultur, Massenkultur, Volkskultur oder Populärkultur. Da ich mich vorläufig mit den Opponenten zum Begriff Hochkultur befassen will, lasse ich die wirklich interessant erscheinenden Passagen mit den meinungsbildenden Eliten und den als besonders wertvoll akzeptierten (!) Leistungen beiseite (kommt später mal). Da bleibt immer noch genug Reibefläche übrig.

Alltagskultur. Ein seltsam Ding. Dann dürften Oper, Gewandhaus und Thomaner eigentlich nur an Sonn- und Festtagen auftreten. Alltagskultur ist dann das Fernsehprogramm und der Programmflyer einer Musikkneipe. Selbst bei historischer Sichtweise gibt dieses Wortkonstrukt nicht viel her. Das gemeine Volk abseits der meinungsbestimmenden Eliten hat auch früher nicht ständig geträllert, Schwänke aufgeführt oder Topflappen umhäkelt. Auch dafür gab es Festtage. Ich habe den Verdacht, dass die gemeinte Kultur heute speziell zu Stadt-, Presse-, Brauereifesten feuchte Höhepunkte hat, also gerade nicht im Alltag. Prädikat: untauglich.

Massenkultur. Da war ja schon Adorno vor mehr als 50 Jahren der Meinung, das sei eine Mogelpackung. Handelt es sich doch nur selten um die handgeklöppelte Kultur der Massen, sondern um ein Surrogat für eben jene. So wie andersrum immer wieder behauptet wird, Marx hätte die Region als Opium für das Volk bezeichnet, obwohl da steht „Opium des Volkes“. Ein feiner, aber gewichtiger Unterschied. Außerdem sind die Massen eben nicht heterogen und waren es wohl nie. Wer Madonna mag, wird sich nicht für die Pixies begeistern können, und beide nicht für Marusha. Die Massenmedien sind einerseits verantwortlich für eine weltweite Nivellierung des Angebotes, zugleich aber auch für eine vertikale Differenzierung. Vor hundert Jahren konnten die Dörfler von Niederfrohna oder einem indonesischen Küstendorf eben nur die Feuerwehrkapelle bzw. die örtlichen Fischerchöre geil finden. Heute ist überall Differenzierung machbar, wenn auch nicht immer ganz einfach in der Praxis durchzusetzen im Sinne von Akzeptanz. Als schwuler, Rocko Schamoni lesender Electro-Fan hat man es vielleicht auch heute noch in Niederfrohna oder Balu Malong etwas schwer.

Volkskultur. Oh je. Wir sind das Volk! Als dieser Spruch auf ostdeutschen Straßen erschallte, gab es tatsächlich einen Ausbruch an Kreativität, der noch kurz zuvor undenkbar erschien. Wenige Wochen später hieß es „Wir sind ein Volk“ und es war schon wieder vorbei mit der neuen Kultur. „Keine Experimente!“ hieß einer der dann dominaten Sprüche. Wie bezeichnend. Sicherlich war auch früher nur ein kleiner Teil des sogenannten Volkes (in Abhebung von den Eliten) schöpferisch tätig. Heute ist der Begriff doppelt hinfällig. Die Völker vermischen sich immer mehr. Was denn wirklich echt deutsch ist, können glücklicherweise nicht einmal die Verfechter der Leitkultur klar ausmachen. Zum anderen ist die Unterscheidung Volk- Elite sagenhaft löchrig geworden. Ein Großteil der tatsächlich kreativen Macher lebt in finanziell prekären Verhältnissen, will aber trotzdem mit vielen halbwegs abgesicherten Angestellten nichts gemein haben. Außer in manchen Erdregionen, in denen Industrialisierung und Globalisierung noch nicht voll durchgeschlagen haben, scheint es tatsächlich auch heute noch in manchen hochentwickelten Ländern wie Irland Reste einer lebenden Volkskultur zu geben. Doch dabei handelt es sich wohl um ein Auslaufmodell. Im Allgemeinen ist Volkskultur heute ein in Formalin eingelegtes Museumsexponat. Jedenfalls verdient die „volkstümliche Musik“, mit welcher der MDR in Veruntreuung von GEZ-Geldern die Umwelt verpestet, keinesfalls das Prädikat Volkskultur. Das ist einfach nur Schund. Ohne Ausnahme.

Populärkultur. Jetzt wird es spannend. Vor allem wenn man die allgegenwärtige Abkürzung Pop als Synonym verwendet. Das liegt daran, dass sich rundherum eben diverse frische Theorieansätze ranken und der Begriff nicht wie die vorherigen rein retrospektiv ist, sondern gegenwartsbezogen. Schon vor einem Jahr habe ich mich bei der Rezension des Buches „Pop seit 1964“ für den Poetenladen damit näher beschäftigt. Dank des Hinweises meines Kommentators xover bin ich nun auf die Seite Poptheorie gestoßen, die eine gute Sammlung zum Thema enthält.

Auffällig ist zunächst, dass Pop als Marke in Literatur, Bildender Kunst und Musik sehr unterschiedlich gehandhabt wird. (Von Poptheater habe ich noch nichts gehört, wohl aber von Volkstheater, von Popfilm eigentlich auch nicht.) Pop Art ist zum ziemlich klar bestimmten Namen einer Kunstrichtung georden, die schon lange in den großen Museen der Welt rumhängt, als „hoch“ ist (auch hoch bezahlt). Popliteratur ist etwas sehr Seltsames. Hier geht es nicht um wirkliche Popularität, sonst müssten ja einerseits die seichten Bestsellerautoren ebenso dazu gehören wie andererseits die Berliner Lesebühnen und die vielen Slam-Poeten. Tun sie aber nicht. Dafür werden Peter Handke und Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek eingerechnet. Das soll wer verstehen. Bei der Musik ist Pop im eigentlichen Wortsinn von massenkompatibel vielleicht noch am besten zu fassen. Vielleicht (?!). Da findet man nun tatsächlich eine Masse industriell vorgefertigter Kaugummis. Daneben aber so viel Anderes. In theorielastigen Artikeln von Leuten, die dem Phänomen überwiegend positiv gegenüber stehen, findet man dann Verweise auf die hohe Kunstfertigkeit mancher Rocksolisten und ganzer Bands oder auf die direkte Zusammenarbeit von Zappa, Deep Purple oder Metallica mit Kollegen der Klassikabteilung. Doch auch der Jazz, Grundlage der meisten heutigen populären Musikströmungen, ist ja in sich so vielgestaltig vom Mitschunkeln beim Dixieland bis hin zum Free Jazz, der nur für Expertenohren wirklich Musik ist und darum zumeist schon als „hoch“ eingestuft wird.

Selbst die theoretisch am besten durchdrungene Kategorie Popkultur taugt also nicht ernsthaft, um nachweisen zu können, dass daneben eine davon abgehobene autonome Hochkultur existiert. Das Schöne an so einem Interneteintrag ist nun, dass ich damit erst einmal aufhören kann. Es ist ja kein Artikel, der auf wertvollem Papier für die halbe Ewigkeit rumgeistert.

Mein vorläufiges Resüme ist, dass der glitschige Aal namens Hochkultur nicht fassbarer wird, je weiter man sich ihm nähert. Vermutlich ist es nur eine Wasserspiegelung. Und darum nur in ironischer Brechung sichtbar. So gab es vor drei Jahren mal, als die Website Freie Szene Leipzig noch frisch war, im dortigen Forum den Vorschlag, ein lokales Hochkultur-Festival zu organisieren, wo alle Veranstaltungen und Aktionen an erhöhten Standorten wie Dachgeschossen, Türmen, Dächern, Kränen stattfinden sollen. Das gefällt mir. So kann ich Hochkultur akzeptieren.

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3 Antworten auf Tiefergelegt

  1. udo von und zur neiße sagt:

    ich bin ein schwacher mensch, charakterlos, nicht so der monitorleser… gab hier nach absatz 4 auf, schande über mich und asche in meine tonne!

    vielleicht ist hochkultur ganz einfach, wenn man auf dieses eine hohe haus in taiwan fährt und auf dem dach was liest, singt oder die triangel schlägt oder die wokschale?

  2. admin sagt:

    … am besten ist in diesem Falle, ganz nach unten zu scrollen und nur den letzten Absatz zu lesen. Das ist dann ganz im angesprochenen Sinne.

    Da fällt mir auch gleich noch was ein. Dass es mir nicht um steife Theorie geht, sondern um ganz praktische Konsequenzen, hatte ich ja in der Einleitung schon gesagt. Nun ist mir eben bei den Zeitungsmeldungen zur Ernennung des neuen Leipziger Kulturtrainers aufgefallen, dass CDU und FDP da mehrfach von „honorigen“ Bewerberbn sprechen, welche man verprellt hat. Das ist vielsagend. Ein Mensch aus Oldenburg, der zwar von der Leipziger Szene keine Ahnung hat, aber brav auf der Karriereleiter geklettert ist, 30 Krawatten besitzt und gut schleimen jann, ist besser geeignet als jemand, der diesen Job als schweißtreibendes Arbeitsfeld begreift. Nun sehen das „Linke“ und SPD aber auch nicht ganz anders. In diesem Sinne titelte die Leipziger Internetzeitung zu Faber: Der neue Grüßaugst ist da (http://www.l-iz.de/Politik/Leipzig/2009/04/Zur-B%C3%BCrgermeister-Wahl-von-Michael-Faber-Der.html=.

  3. udo freiherr zu neiße sagt:

    oh: ich hab ja’n mouserad! ach du scheiße…naja, wer 3 jahre zu spät kommt, den bestraft der blog!
    ich geh jetzt in’n wald

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