Die neunziger Jahre waren keine Blütezeit für politisch engagierte Kunst. Einerseits wirkte die Diskreditierung der Indienstnahme durch autoritäre Staatsformen nach, andererseits glaubten viele Intellektuelle an das proklamierte „Ende der Geschichte“. Mit den Kriegen im Irak und in Afghanistan, vor allem aber mit der globalen Finanzkrise ab 2008 und den Protestbewegungen von Lateinamerika bis Russland hat sich die Haltung geändert. Politische und sozialkritische Kunst ist wieder im Aufwind. Außer in Museen und gemeinnützigen Projekten wird sie sogar in privatwirtschaftlichen Galerien gezeigt. So war beispielsweise im Herbst in der Leipziger Galerie Queen Anne die Ausstellung „Helge macht Feuer“ zu sehen, in der Helge Hommes eine Rauminstallation zur Verbreitung seines antikapitalistischen Manifestes nutzte.
Von einer Position aus, welche die gegenwärtige Gesellschaftsordnung nicht als die bestmögliche ansieht, ist dieser Wandel zu begrüßen. Dennoch ist nicht zu übersehen, dass viele Künstler in Fallen tappen. Eine davon, ziemlich häufig anzutreffen, ist die Verwechslung von politischer Aktion und Kunstproduktion. Zwar ist heute der Kunstbegriff völlig entgrenzt, alles kann zu Kunst deklariert werden. Doch müssen Rezipienten und Kritiker nicht alles schlucken, was ihnen derart serviert wird. Ein Höhepunkt solch einer Verwechslung war die vorige Berlin Biennale 2012, die viel Aktionismus und wenig Kunst zeigte. Letztlich ist das eine Diskreditierung echter gesellschaftlicher Bewegungen, die sich durch solch eine Vereinnahmung missbraucht fühlen müssen.
In Halle 14 der Spinnerei gibt es immer wieder thematische Projekte mit hoher gesellschaftlicher Relevanz, zuletzt „The Politics and Pleasures of Food“. Die Versorgung mit Nahrung in Zeiten von Genmanipulation und Börsenspekulation ist ein brisantes Feld. Genau diese Punkte und auch weitere wurden in den Arbeiten internationaler Künstler angerissen, ebenso Alternativen aufgezeigt. So von der kalifornischen Gruppe „Fallen Fruit“. Sie stellte Stadtpläne aus, in denen Standorte von Straßenbäumen eingezeichnet sind, wo sich jeder mit Früchten eindecken darf. Eine schöne Idee. Nur: Das Gleiche gibt es im Internet unter der Adresse www.mundraub.org. Dort tragen viele Freiwillige das Datenmaterial zusammen. Und keiner spricht dabei von Kunst.
Es gibt eine Vielzahl von Projekten, wo Nahrung oder Kleidung verteilt werden, wo gegen dieses und jenes protestiert wird und das Ganze dann in den Kunstkontext gestellt wird. Neben der Absicht, damit Renommee zu ernten, dürfte auch die Möglichkeit, Fördermittel leichter zu bekommen, ein Grund für diese Strategie sein. Nur fehlt dabei eben gerade das, was jede noch so freie Kunst ausmacht: die Reflexion und Verfremdung, das Schaffen einer Metaebene.
In der gleichen Ausstellung fanden sich Beispiele für eine andere Falle des engagierten Kunstschaffens: die des „gut gemeint statt gut gemacht“. Die Familie von Naufus Ramirez-Figueroa aus Guatemala ist selbst von der neokolonialistischen Agrarpolitik der USA betroffen, „Authentizität“ ist also gewährleistet. Der Künstler hat eine Installation gestaltet. Auf einer Palme balanciert ein Hund, der das Gesicht der Soldatin Lynndie England trägt. Was hat der Folterskandal von Abu Ghraib mit der Monokultur in Mittelamerika zu tun? Da werden Reizworte zusammengewürfelt, die Aussage bleibt auf der Strecke.
In der Galerie für Zeitgenössische Kunst geht gerade die Ausstellung „At Sixes and Sevens“ von Kateržina Šedá zu Ende. Nicht die Weltpolitik, aber gesellschaftliche Verwerfungen stehen im Mittelpunkt. Zusammen mit Jugendlichen hat die Teilnehmerin der Biennale Venedig ein mährisches Städtchen analysiert, einst durch den Kohlebergbau gewachsen, heute vor sich hindämmernd. Ästhetisch und intellektuell ist das anspruchsvoll gemacht. Da aber Visionen und Vorschläge ausbleiben, steht auch hier die Frage: Was soll´s?
Und eine weitere Falle ist schließlich auch die des Plakativen, also all zu offensichtliche Aussagen. So wuchtete Sophie Vollmar zur Diplomausstellung 2012 große Betonbuchstaben in den Lichthof der Hochschule. „Nie wieder Deutschland“ konnte man da lesen, gemeint als Alternativvorschlag für das Freiheits- und Einheitsdenkmal auf dem Leuschnerplatz. Auch wenn es sich um ein Zitat von Marlene Dietrich handelt, ist die Zeit solches Agitprop doch vorbei.
Selbstverständlich, und zum Glück, waren und sind auch in Leipzig genügend engagierte Arbeiten zu sehen, die nicht in diese Fallen geraten. „Drawing Protest“ nennt sich die noch laufende Ausstellung in der GfZK. Viktoria Lomasko und Enrique Flores demonstrieren darin, dass die Handzeichnung nur scheinbar ein antiquiertes Mittel ist, auf subjektive Weise die Protestbewegungen in Moskau und Madrid zu dokumentieren.
Auch in der sogenannten „Supershow“ der HGB-Klasse Selichar waren mehrere Arbeiten zu finden, die sich auf differenzierte Weise mit gesellschaftlichen Prozessen beschäftigen oder gar eingreifend wirken. So stellte Aron Lesnik hinter Fenstern eines Raumes der HGB abends starke Scheinwerfer auf und beleuchtete damit den gesperrten Abschnitt der Wächterstraße vor dem US-Konsulat. Nichts weiter. Die Dokumentation des Polizeieinsatzes gegen diese „Provokation“ wurde zu einem besonderen Kunstwerk – ein Exemplar des Videos nahm der Staatsschutz gleich in Besitz.
Kunst mit gesellschaftlichem und politischen Anspruch ist dringend notwendig. Doch nicht alles, was unter diesem Label läuft, ist wirklich Kunst, zumindest keine große. Ein differenzierter Blick ist genauso notwendig.