Ein wunderbares Beispiel dafür, wie der schwiemelige Begriff „Hochkultur“, an dem ich mich immer wieder reibe, als Lanze hintergestrigen Denkens dient, lieferte die LVZ auf der Leserbriefseite vom 31. Mai. Frau Ursula Dießner aus Leipzig schreibt da voller Abscheu, dass Hartmann und Konwitschny das Schauspiel und die Oper der Stadt ruiniert haben. Es werden hier also Einrichtungen angegriffen, die traditionell zur sogenannten „Hochkultur“ gerechnet werden, sich aber nicht „hoch“ genug verhalten, also nicht den seit fünfzig Jahren gültigen Kanon des Repertoires und den gleichen gewohnten Stil der Inszenierungen weiter pflegen. Die Tempel des (spieß-)bürgerlichen Geschmacks dürfen sich um Gottes Willen nicht wandeln! Walter Ulbricht pflegte in solchen Fällen zu sagen: „Unsere Menschen wollen das nicht!“, denn bei allem revolutionären Pathos war die Führungsclique der DDR auch zutieft spießig.
Frau Dießner schreibt: „Es wäre ein Segen für die Stadt, wenn diese Herren ihre künstlerische Freiheit weit weg von Leipzig ausüben würden.“ Dass es so etwas wie künstlerische Freiheit gibt, erkennt sie immerhin an, aber doch bitte nicht hier bei uns! In Verkennung von Legislative und Exekutive fordert sie schließlich vom Kämmerer, er soll den beiden Einrichtungen die Fördermittel streichen. So ist es recht: Wenn Dissidenten nicht einsichtig werden, muss die Parteiführung endlich mal durchgreifen!
eine zeitlang war es ja bundesweit ziel der regisseure ihr gutgekleidetes renommierpublikum mal aus der nichtvorhandenen reserve zu locken, sie stellten monitore und klos auf die bühne… und flehten, daß endlich mal jemand meckert
nichtvorhandene Reserve – das gefällt mir ausgesprochen gut