Nach mehrjähriger Lektüre der Tippgemeinschaft, also des Jahrbuches der Studenten des Deutschen Literaturinstituts Leipzig, und dreijähriger Rezension dieses Werkes kommen mir trotz des Fehlens interner Kenntnisse des dortigen Lehrbetriebes einige Gedanken, was vielleicht zu verändern wäre. Die Resultate sollten ausreichen, um externe Vorschläge machen zu dürfen.
Fast in jedem Jahrbuch wird in Vor- und Nachworten darüber sinniert oder lamentiert, ob denn das literarische Schreiben lehrbar sei. Ja, verdammt das ist es. In den gleichen Grenzen, wie man einen Musiker oder Maler ausbilden kann. Direkt gegenüber des DLL liegt die Hochschule für Grafik und Buchkunst. Trotz rückläufiger Tendenz haben ostdeutsche Kunsthochschulen immer noch den Ruf, mehr als die westlichen Pendants gutes Handwerk zu vermitteln. Trotzdem gibt es Absolventen, die ganz selbstbewusst als Diplomarbeit irgend ein Readymade oder eine Sperrmüll-Assemblage ausstellen. Nun mag es irgendwie sympathisch erscheinen, dass die DLL-Studenten da mehr Selbstzweifel entwickeln, doch die Resultate sind manchmal auch nicht viel besser.
Meine Ferndiagnose lautet, dass es nicht an unmittelbar an den Lehrmethoden liegen kann, die das Handwerk des Schreibens vermitteln sollen. Vielmehr scheint es bei den meisten Studenten an mangelndem Stoff zu liegen, da sie noch nicht ausreichend gelebt haben. Die Gegenbeispiele erfolgreicher Absolventen der letzten Jahre, Clemens Meyer, Juli Zeh und Sasa Stanisic haben eben vor ihrem Studium schon eine Menge Erfahrung in der richtigen Welt außerhalb der Literatur gesammelt.
Sympathisch ist mir der in der 2009er Tippgemeinschft geschilderte Ansatz eines koreanischen Dozenten, die künftigen Berufsautoren mit in die Gerichtsmedizin zu nehmen.Das ist ausbaufähig. Vielleicht sollte jeder DLL-ler zu Beginn des Studiums eine Patenschaft mit je einem Knasti und einem Insassen eines Altersheimes übernehmen müssen mit der Verpflichtung, diese Leute einmal pro Woche für eine Stunde zu besuchen.
Außerdem muss jeder Student im ersten Studienjahr ein einmonatiges Praktikum in einem Beruf machen, der nicht zu den erstrebenswertesten gehört. Hilfsarbeiter auf dem Bau oder in einer Fabrik (das haben außer der damals noch erholsamen Pförtnertätigkeit viele DDR-Schriftsteller erfahren). Oder in der Landwirtschaft arbeiten. Post austragen, putzen gehen, …
Und im zweiten Studienjahr wird es scheinbar entspannter. Die Studies dürfen für einen Monat verreisen. Nicht in ein touristisch erschlossenes Land, sondern nach Albanien, Moldawien oder in einen ganz anderen Kulturkreis. Und dort nicht etwa im Hotel wohnen, sondern bei einer Familie als Gast.
Und noch ein kleine Aufgabe für zwischendurch: Mit sehr wenig Geld und ohne Handy oder Notebook bis Hamburg kommen und zurück. Für Studenten, die in Hamburg und Umland zuhause sind, das Gleiche mit München.
Der so gewonnene Stoff ersetzt jedes Seminar zur Ideenfindung. Dann muss wirklich nur noch der handwerkliche Feinschliff erfolgen, und es wird gute Schriftsteller aus einer Leipziger Bildungseinrichtung regnen.
Diese müssen ihre Texte aber auch noch unters Volk bringen können. Darum die Aufgabe für Fortgeschrittene, so etwa fünftes Semester: Mindestens fünf Mal aktiv an einem Poetry Slam teilnehmen. Davon höchstens zwei Mal in Leipzig, der Rest in einer anderen Stadt. Jena kann ich wärmstens empfehlen, dort lässt sich das Publikum auch für intellektuell anspruchsvolle Texte begeistern.
Mit einer derart reformierten Ausbildung kann in Zukunft keiner mehr die öde Frage stellen, ob sich das literarische Schreiben denn lernen und lehren lasse. Das Dilemma steckt doch wohl weniger in der Vermittlung des Handwerks, als vielmehr in der Lebensferne.
Das ist so schmerzhaft wahr, daß es bestümmt ignoriert wird?
Naja, meine Rezensionen der Tippgemeinschaft wurden von den Studis schon zur Kenntnis genommen, wenn auch nicht durchweg zustimmend. Aber ob es was bewirkt, ist eine ganz andere Frage.
Bei fabmuc gab es vor kurzem einen – in seiner ernsthaftigkeit geführten schon wieder lustigen – Streit, der die wechselseitigen Vorurteile beider Szenen – Poetry Slam und „der Literaturbetrieb“ – beleuchtet. Man lese:
http://www.fabmuc.de/?p=2330
und zum besseren Verständnis auch jenen für meine Begriffe sehr (selbst-)ironischen „Zwischenruf“ von DLL-Absolvent Christian Kreis‘, der Auslöser für jenen Julian Heuns wurde.
Den Text von Julian Heun, den ich erst vorigen Freitag in Leipzig live hören und sehen konnte, finde ich gut. Doch glaube ich, dass er tatsächlich etwas die Ironie in Christian Kreis´ Beitrag übersieht. Ihn habe ich zwar noch nicht kennengelernt, doch scheint er mir auf keinen Fall so borniert zu sein wie manche Vertreter des „echten“ Literaturbetriebs.
Etwas müde bin ich selbst vom Slam, der Comedy-Faktor ist da tatsächlich sehr hoch. Aber auf jeden Fall ist es eine gute Schule für alle (auch ganz und gar ernsthafte) Autoren, ihre Texte wirksam vorzutragen. Wenn man das drei Mal mitgemacht hat, kann man dann auch gern wieder zu den Wasserglaslesungen zurückkehren und wird darin einen kleinen Sturm entfachen.
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