Es war einmal, vor ziemlich langer Zeit, etwa 1700 Jahren, als sich in Nikäa, einem erdbebengefährdeten Nest in Kleinasien, heute auf türkisch Iznik heißend, etwas Bedeutendes ereignete. Vergleichbar in ungefähr mit einem G20-Gipfel, nur ohne Gegendemonstranten. Diese unheimlich wie auch heimlich bedeutende Veranstaltung namens Konzil behandelte aber nicht Dinge wie Umtauschkurse, Pfeifenbläser oder Förderquoten. Selbst um Sparauflagen ging es nicht, auch wenn eine gewisse Troika die Hauptrolle spielte, in anderen Sprachen Trinitas oder Dreieinigkeit bezeichnet. Ohne näher in Details gehen zu wollen: Es wurde über Familienverhältnisse in allerhöchsten Kreisen gestritten. Nicht so ganz einfach. Wie hängen diese drei Personen, teils heftig vergeistigt, eigentlich zusammen?
Weitere 400 Jahre später, für damalige Verhältnisse also in der nächsten Legislaturperiode, kamen in jenem nach wie vor weder touristisch noch kanalisationstechnisch erschlossenen Nikäa erneut alle zusammen, die in der Alten Welt Rang und Namen, und dazu noch ein Maultier, besaßen. Diesmal aber, um über Bilder zu diskutieren. Hier kam es nun erstmals bei so einem Gipfel auch zu Ausschreitungen mit Toten und Verletzten. Der Bilderstreit eskalierte.
Das muss man sich mal vorstellen: Während sich draußen die Ultras verschiedener Lager die Köpfe einschlagen, treffen sich Merkel, Obama und Putin, um auszuhandeln, ob Gerhard Richter so unscharf rumschlieren dürfe, ob Jeff Koons Vergnügungssteuer zahlen müsse und ob Pussy Riot einen neuen Manager brauche. Oder ob Schmidt eigentlich ein Künstler sei. Oder drei, und wie es sich in dieser Trinität untereinander verhalte.
Ich hatte angekündigt, ein Märchen zu erzählen. Nach dem bisherigen knallharten Realismus ist es also an der Zeit, ein transzendentes Element einzuführen. Als nun also abends in der nikäischen Cafeteria des 3-Sterne-Hotels „Zur heiligen Dreifaltigkeit“ Merkel, Obama und Putin zusammensaßen, noch etwas über Montagetechnik und Strichführung fachsimpelten – M. hatte sich einen Muckefuck bestellt, O. eine Bionade und P. einen Wodka Gorbatschow (geschüttelt) – da trat eine Unbekannte in ihre Runde.
Jetzt wird es unscharf. Irgendwie schien die Jungfrau – auch das ist kein empirisch nachweisbarer Fakt – mit dem großen, strahlenden Herzen von einem Übermaß an Nachhaltigkeit durchdrungen. Selbst das Gestühl und Getisch ringsum bekam einen ausgesprochen Touch von Biomarkt. M., die sich mit ihrem Muckefuck Zeit gelassen hatte, war es schon etwas blümerant und sie meinte, dem Dopplereffekt unterlegen zu sein. Als Physikerin kennt sie sich aus mit so was. Sie starrte auf die junge Frau und murmelte: „Dis is ja alternativlos schön.“ Ihre Gesprächspartner waren nach der obligatorischen Fütterung schon lange an den Pokertisch gegangen, um auf die Marktkurse von Damien Hirst und Ai Wei Wei zu setzen.
Plötzlich rief M. aus: „Ich seh da was!“ Kaum einer der in der Nähe Sitzenden wunderte sich. Entweder verstanden sie kein Deutsch in mecklenburgischer Färbung oder wussten, dass bei ihr zumindest das Sehvermögen noch einigermaßen in Ordnung war. Nur die Unbekannte fragte aufmerksam: „Was denn?“ „Da ist ein Zeichen an der Wand!“ „Was für eines?“ „Also, irgendwie so wie Seeschlange frisst Paragrafen, bloß auf Chinesisch.“ „Und, was wird das wohl bedeuten?“ M.´s Lefzen sanken resigniert nach unten. „Wenn ich das bloß wüsste, der Seibert, mein Cheferklärer, rennt ja wieder mal irgendwo rum“
Plötzlich sah sie aus wie eine gefallene Angela, doch den großkarierten Hosenanzug, den sie heute zum ersten Mal trug, wie auch der von keinem Plagiatsvorwurf befleckte dreifaltige Doktorhut gaben ihr einen clownesken Anflug.
Draußen am Marmarameer waberten schon Abendnebel, die Boote der in Kunstangelegenheiten ziemlich unbeleckten Fischer schliefen am Strand. M. hatte sich wieder gefangen und kam in Fahrt: „Na ja, aber wie soll´n das gehen, sag mal? Da sitzt ein Vogel in einem Altreifen, groß wie er selbst. Wenn dass der Altmeier erfährt, brauch ich ihm nicht mit Kunst oder so zu kommen. Und das weiße Pferd iss ja ooch ganz schön durch´n Wind. Die Aigner frisst mich, wenn se det sieht, auch ohne Ökosiegel.“
„Und wie ist es mit diesen Bildern da?“, fragt die Unbekannte „Na ja, hab ich so ähnlich schon mal durchs Mikroskop gesehen, oder Teleskop. Kommt druf an, wierum man das Ding hält. Könnten vielleicht Froscheier sein, da. Und dis sieht nach ner Supernova aus. Aber es stehn ja nich mal richtige Koordinaten dran, oder so. Wie soll ich das dem Kabinett erklärn, ich brauch doch Fakten, Fakten, Fakten.“
Unterdessen haben sich schon einige Kollegen am bemoosten Tischchen versammelt, dieser französische Schöngeist, ein italienischer Zauberer, auch irische Schluckspechte. Der Moskauer Macho kam noch mal kurz hereingeschneit, mit nacktem Oberkörper. Er habe die Snowden-Karte gezogen, nix Kunstgriff, nur Realnostj. Die gemütlich Versammelten aber gerieten in angeregte Unterhaltungen. Wie das denn sei, fragte ein pragmatischer Schwede, mit dem 11. Gebot, dem der Klarheit und des Pragmatismus. Hier gehe ja einiges Durcheinander und Übereinander. Ein etwas angetrunkener Brite warf ein: „Na guckt euch doch mal die Aufbauanleitungen eures Möbelhändlers an, da wird alles klar.“
Als dann ausgerechnet Tschechen, Slowaken und Polen aneinandergerieten, wo denn die unverrückbaren Grenzen des Eigenen lägen, die es doch der Identität wegen brauche, und da überlagere sich ja hier doch Einiges, gar Dreieiniges, so gehe es doch wohl nicht, da sanken M.´s Mundwinkel wieder bedrohlich nach unten. Die Schöne neben ihr jedoch zitierte eine volkstümliche Redewendung; „Jeder ist seines eigenen Bildes Schmidt.“ „So hab ich das ja noch nie gesehen, das muss ich morgen Obami erzählen“, freute sie sich und bestellte beim Barkeeper einen dreifachen Doppelkorn.
Nach dem bisher nicht in jedem Teil ganz stringenten Handlungsstrang hat die Erzählung damit nun doch noch zu dem gefunden, was zumindest ein deutsches Märchen auszeichnet: Die Moral von der Geschicht! Und die lautet: Ja, Kunst darf das! Eigentlich darf sie heutzutage, 1200 Jahre nach dem historischen Bilderstreit von Nikäa alles. Fast alles, außer vielleicht Tiere auf der Bühne schlachten oder den Arm zum Hitlergruß erheben. Doch diese Gefahr ist hier weit entfernt. Wir sehen eine Dreieinigkeit, die nicht verschmilzt und doch vieles teilt. So hatten sich das schon vor 1700 Jahren die versammelten Bischöfe vorgestellt.
Die moderne Schöne schwebt davon. In der Luft bleibt ein Hauch von etwas Unaussprechlichem, Komplizierten, aus diversen Ingredienzen Zusammengesetzten, nicht so ganz Einfachem also, man könnte sagen: Künstlerischem, nicht Künstlichem, Verfeinertem, aber nicht übertrieben, irgendwie gut riechend, ohne dass geläufige Floskeln es auf einen Punkt bringen könnten. Da bräuchte man ja mindestens drei Punkte. Ein Dreieck. Laut dem griechischen Sizilianer Pythagoras sind die beiden Quadrate die Summe des anderen Quadrates. Doch Arithmetik war in der Kunst, abgesehen von einer kurzen Phase vor rund hundert Jahren nie eine Erfolgsformel. Unberechenbar also.
M. kippt sich das vom Kellner gebrachte Gemisch in die Thermosflasche, die sie immer in ihrer Handtasche hat. Das muss sie noch mal überschlafen. „Wäre eigentlich schön, wenn es so wäre“ sagt sie in die Gegensprechanlage des Hotellifts. „Aber warum musste ich ausgerechnet dafür zu den Türken fahren oder Griechen, oder Byzantinern, oder was das hier gerade ist.“ Aus dem Lautsprecher ertönt ein türkisfarbenes Rauschen, leicht aquamarin, etwas oliv, ein Hauch von Kadmiumgelb. Irgendwie beruhigend. Irgendwie aufregend.
„Schmidt * Schmidt * Schmidt“
4D Projektort
Tapetenwerk, Lützner Str. 91
bis 28. August
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