Das passt. Wenige Wochen vor der Dreifachausstellung der Neuen Slowenischen Kunst Ende April in Leipzig erschien nicht nur Laibachs neues Album Spectre, sondern auch Alexei Monroes Monografie Laibach und NSK. Die Inquisitionsmaschine im Kreuzverhör. Die beste Lektüre zur Vorbereitung also. Für Leute, die sich mit diesem Phänomen noch nicht sonderlich auskennen sowieso, aber auch eingefleischte Laibach-Fans erhalten sicherlich noch eine kräftige Dosis an Zusatzinformationen. Die Zahl von 799 Fußnoten steht für gründliche Recherche. Und obwohl sich Monroe im Schlussteil des Buches als selbst Involvierter mancher NSK-Aktivitäten outet, geht er sehr vorsichtig mit Vermutungen und Gerüchten um, kennzeichnet sie als ebensolche.
Dass der Autor nicht streng chronologisch vorgeht, stattdessen eine nach Jahreszahlen geordnete Übersicht lieber anhängt, ist sinnvoll. Zunächst muss es zum Verständnis des weltweit unvergleichbaren Gebildes NSK um einige Begrifflichkeiten gehen. Vor allem um die Retrogarde, diese von „emphatischem Eklektizismus“ getränkte Haltung, die nicht einfach nur ein Gegenstück zur Avantgarde sein kann. Und es muss um Einordnungen gehen, regionale, politische, kulturelle. Innerhalb des in den achtziger Jahren, kurz nach Titos Tod, schon heftig kriselnden Jugoslawiens mit seinem komplizierten Föderalismus, der Doktrin der Blockfreiheit und sonstigen Unterschieden zum restlichen sozialistischen Lager nahm Slowenien mit seinen historischen Verbandelungen zu Österreich, Ungarn, Italien und eben auch den anderen Südslawen noch eine besondere Rolle ein.
Dass diese zeitliche und geografische Situation ein Brutbett für aufgebohrten Nationalismus war, zeigen die Ereignisse der neunziger Jahre. Wenn nun eine slowenische Industrial-Band sich 1980 den deutschen Namen der Landeshauptstadt aneignete und auch der vier Jahre später entstandene Zusammenschluss immer nur auf deutsch als Neue Slowenische Kunst bezeichnet wurde, musste das heftige Reaktionen von verschiedenen Seiten hervorrufen. Hinzu kamen die verbalen, visuellen und musikalischen Ausdrucksweisen. Da wurde auf das gesamte Vokabular – häufig als direktes Zitat – von Faschismus, Stalinismus und völkischer Romantik zurückgegriffen, vermengt mit dem Suprematismus (Malewitschs Schwarzes Kreuz dient Laibach als Logo) und Anleihen bei Heartfield, Gilbert & George, Cage und anderen Akteuren der künstlerischen Moderne in deren Blütezeit.
Kein Zweifel – das gesamte Erscheinungsbild wirkt ausgesprochen totalitär. Und es wird auch von den Akteuren selbst so bezeichnet. Auf die Gretchenfrage, ob Laibach & Co. nicht doch mit dem Rechtsextremismus sympathisieren, geht Monroe natürlich ein, die Auseinandersetzung damit zieht sich durch das ganze Buch. Er verschweigt nicht, dass zu Konzerten auch echte Nazis kommen und es schon Auseinandersetzungen zwischen Fangruppen unterschiedlicher politischer Ausrichtung gegeben hat. Doch die Band und die anderen NSK-Gruppierungen führen das Totalitäre durch die Übertreibung ad absurdum. Wunderbar sichtbar wurde das noch in den spätsozialistischen Achtzigern, als die Grafikgruppe Novi Kollektivizem einen Plakatwettbewerb für den „Tag der Jugend“ gewann, indem sie bei einer Vorlage aus der NS-Zeit nur einige Symbole austauschten. Es muss eine These bleiben, dass es in Slowenien nicht solche Auswüchse des Nationalismus gegeben hat wie in andern Territorien Ex-Jugoslawiens, weil jede derartige Bewegung wie ein schlechter Abklatsch von NSK hätte wirken müssen. Fakt ist aber, dass sich all das Martialische und Radikale von Laibach und den anderen Gruppierungen auf einer rein ästhetischen Ebene bewegt. Gegen die Unterstellung des Rechtsextremismus spricht schon der internationale Charakter des in den frühen Neunzigern ausgerufenen „state in time“, dem NSK-Staat mit Pässen, Briefmarken, diplomatischen Vertretungen, aber ohne Territorium und ethnisch definiertem Staatsvolk. Und ein wichtiges Argument ist auch, dass bei all der drastischen Rhetorik kein Feindbild zu finden ist – ein essentieller Bestandteil jedes rechtslastigen Weltverständnisses. Zwar muss die Hegemonie der westlichen Konsumkultur teilweise als ein solches dienen. Doch all zu ernst kann diese Gegnerschaft auch nicht gemeint sein, denn Laibach bedient sich des globalen Marktes nicht nur dekonstruierend, sondern durchaus apologetisch.
Alexei Monroe dröselt, soweit das möglich ist, das komplizierte Geflecht der verschiedenen Abteilungen der Neuen Slowenischen Kunst auf und weist angesichts des Organigramms darauf hin, dass dies als Parodie auf die jugoslawischen Selbstverwaltungs-Mechanismen gelesen werden kann. Er differenziert institutionell, nicht personell, denn die Individuen treten hinter den strikten Kollektivismus von NSK zurück, werden bis auf wenige Ausnahmen überhaupt nicht genannt. Da sind also zunächst die Band Laibach (auch bildkünstlerisch tätig) und die Künstlergruppe Irwin. Des weiteren das Grafikbüro Novi Kollektivizem, Theatergruppen mit wechselnden Namen, die Abteilung für Reine und Angewandte Philosophie sowie – ganz wichtig – der Immanente immerwährende Geist. Daneben sind zwecks Antiaufklärung im Organigramm noch etliche obskure Gliederungen zu finden, so etwa Dreihundertausend verschiedene Krawalle mit der Untergruppe Germania.
Ein kleines Manko des Buches ist, dass neben der ausführlichen Darstellung von Laibachs Arbeit die Produktion der anderen Gruppen etwas knapp wegkommt. Zumindest bezüglich der bildkünstlerischen Arbeit besteht aber ab Ende April die Möglichkeit, sich auf ganz unmittelbare Weise zu informieren und vielleicht auch Bürger das NSK Staates Lipsk zu werden. Werke zu volkstümlichen Preisen können schon jetzt online erworben werden.
1st NSK Folk Art Biennale „Past – Present – Future // 1984 – 2014 – 2045”, ab 25. April, Spinnerei und Kulturny dom B31, http://nsk-folk-art-biennale.com/
Alexei Monroe: Laibach und NSK. Die Inquisitionsmaschine im Kreuzverhör. Ventil Verlag Mainz, 344 Seiten, 24,90 €, ISBN 978-3-95575-001-5
Es ist auch möglich, die 300.000 vVerschiedenen Krawalle als Band zu betrachten – es gibt bisher 3 Tonträger:
http://www.discogs.com/artist/27419-300000-VK
GvH
Aha, dann gibt es den „Ideologischen Rat“ wohl auch realiter?
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