Die Null-Nummer

Am 20. März ist sie erschienen, die lange angekündigte Probeausgabe der Leipziger Zeitung. Auch wenn man diese Ausgabe Null nicht an den üblichen Zeitungsverkaufsstellen bekommt, habe ich eine erwerben können. Und ich habe sie gelesen von vorn bis hinten ohne Lücken, was ich fast nie mit irgendeiner Zeitung mache.

Die erste Überraschung dabei ist, dass die LZ gar nicht so straff lokal ausgerichtet ist, wie eigentlich angekündigt. Es geht um Theorien zum Geld, Syrienkrieg, Post-Wachstum, Weimarpedia, deutsches Kino oder auch die Technik des Diskuswerfens. Zwar wird zumeist versucht, durch entsprechende Gesprächspartner einen Leipzig-Bezug hinzubekommen, doch nicht immer. Insgesamt macht es den Eindruck, als wolle man eine überregionale Wochenzeitung mit starker Leipzig-Bindung sein.

Ein Schwerpunktthema des Heftes ist das Wohnen. Angesichts des Einwohnerwachstums der Stadt ist dies ganz berechtigt, wurde gerade deswegen aber auch von anderen lokalen Medien immer wieder beleuchtet. Und das zuweilen professioneller, unter anderem in der L-Iz, die eigentlich als Partner des neuen Projektes LZ fungiert. Gleich auf der Titelseite philosophiert Moritz Arand „Zusammen ist man weniger allein“ und beschwört einen Zusammenschluss von Bürgern, um kollektives Wohneigentum zu bilden. Das nennt man eigentlich seit langem Genossenschaft. Die älteste derartige Kooperative im Wohnungswesen Sachsens existiert noch heute – in Leipzig. Seit 1873. Davon ist im Artikel keine Rede. Stattdessen: „Einige Einzelprojekte haben in Leipzig bewiesen, wie selbstbestimmtes und selbstverwaltetes Wohnen funktioniert.“ War nicht bei der Propagierung des Vorhabens LZ die Rede davon, dass man sich durch gründliche Recherche auszeichnen wolle? Schlimmer aber ist die fast eine ganze Seite einnehmende Übersicht zu den Durchschnittsmieten der verschiedenen Stadtteile, für deren Datenbasis man keine bessere Quelle gefunden hat als das Immobilienportal immonet. Der Stadtverwaltung misstraut der kritische LZ-Journalist so sehr, dass deren wesentlich verlässlichere Erhebungen offenbar auf keinen Fall benutzt werden dürfen. Die waren ja ohnehin schon sowohl in L-Iz als auch LVZ nachzulesen. Das Thema Wohnen wird abgerundet durch ein Interview mit dem Sprecher der KSW GmbH, die durch aggressive Methoden der Entmietung Schlagzeilen machte. Zwar wird der Fall Holbeinstraße 28a angesprochen, doch Jörg Zochert erhält viel Platz, die Sache schönzureden, ohne dass nachgehakt wird. „Bildet Eigentum!“ lautet die einfache Botschaft an alle armen Schlucker.

Auch jenseits des Kernthemas Wohnen fehlt das, was man von so einer lange vorbereiteten Erstausgabe eigentlich erwartet – Exklusivität. Wo sind die Aufreger, die zu einer Flut von Leserbriefen reizen könnten? Wo sind die Entdeckungen mit Aha-Effekt?

Parallel mit dem Erscheinen der Probeausgabe der LZ brachte die taz ein Interview mit Moritz Arand, einem der drei Gründungsväter. Unter Berufung auf Nietzsche brandmarkt dieser das „Schweindedeutsch“ der Zeitungen. Der anderen Zeitungen natürlich, nicht der LZ. Doch wo ist in dieser Nullnummer die besondere Sprache zu finden, die sich von den etablierten Medien abhebt? Schwierige Frage.

Beim Layout fällt zunächst die Großzügigkeit auf. Es gibt tatsächlich Weißraum, nicht alles wurde vollgestopft. Soweit so gut. Doch im Detail zeigen sich erhebliche Mängel. Ob die Leerzeilen zwischen den Absätzen des Fließtextes gut sind für den Lesefluss, ist fraglich. Vor allem aber werden sie willkürlich gesetzt oder weggelassen. Schon im Editorial fehlen drei solcher Einschübe. Auch die Zitatkästen erfüllen nicht immer die Funktion der Auflockerung. Auf Seite 5 ist solch ein Kasten mitten in eine nur dreizeilige Interviewfrage eingebaut, diese zerreißend. Und auf Seite 15 kommt sogar ein einzelnes Wort unter dem Kasten zu stehen.

Beim Lesen habe ich mit dem Bleistift Fehler angestrichen. Es sind ziemlich viele Striche geworden, in unterschiedlicher Intensität bei den einzelnen Autoren. Spitze ist Cesare Stercken, der es in einem ziemlich kurzen Artikel auf Seite 6 gleich auf sechs Fehler bringt. Ein Lektorat wurde offensichtlich komplett eingespart.

Gegenwärtig zeigt der Zähler auf der Internetseite der LZ 733 Abonnenten. Das sind immerhin fast 150 mehr als vor der Herausgabe der Nummer Null. Aber drastisch weniger als das angestrebte Minimalziel von 5000, die angeblich einen Dauerbetrieb ermöglichen würden. Schade, denn eigentlich könnte Leipzig ja tatsächlich mehr mediale Vielfalt vertragen. Aber gut gemachte Medien bitte.

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2 Antworten auf Die Null-Nummer

  1. Kobold sagt:

    Ich habe mir die Ausgabe Null der Leipziger Zeitung gekauft und gleichzeitig die aktuelle Ausgabe des Kreuzer. Der Kreuzer hat ein Lektorat, ein gutes Layout und lesenswerte Artikel – Dinge, die ich bei der Leipziger Zeitung vermisse. Das finde ich wirklich schade, denn auch ich wünsche mir eine gute Wochenzeitung in Leipzig. Aber bei der Leipziger Zeitung klaffen nicht nur hinsichtlich der Abonnentenzahl Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander.
    „Ein anderer Beginn“ wird auf der Titelseite versprochen, doch Vieles hat man so oder ähnlich schon in der Stadtteilzeitung „3Viertel“ gelesen, beispielsweise über die Mietpreisentwicklung (im Juni 2013). Den dreispaltigen Artikel auf Seite 1 würde ich Cesare Stercken zuordnen, dem Herrn der Kommas und Meister des erweiterten Infinitivs. Herr Stercken hat Schwächen, aber immerhin beweist er auf Seite 18, dass er etwas von Vögeln versteht.
    Übrigens: Wer bisher dachte, alle Kommentare der Redaktion wären auf der Website der Leipziger Zeitung als solche gekennzeichnet, sieht sich durch einen Blick ins Impressum der gedruckten Ausgabe eines Besseren belehrt, wo sich vermeintliche Leser nun als Redaktionsmitglieder entpuppen.
    Mein Fazit: Diese Ausgabe der Leipziger Zeitung wird allen Bedeutungen des Wortes „Nullnummer“ gerecht.

  2. g. haase sagt:

    Bedauerlicherweise kann die lVZ die weitere Entwicklung der Leipziger Zeitung gelassen abwarten.

    GvH

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