In der LVZ ist in den Abdruck meines Interviews mit Thomas Locher, dem designierten neuen Rektor der HGB meine Einlassung nach der dritten Frage so abgedruckt worden, als wäre sie Teil der Antwort. Darum hier noch einmal das Interview in Originalform.
Anfang Februar wurde Thomas Locher als neuer Rektor der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig gewählt. Die Führung der Akademie wird seit fast einem Jahr kommissarisch ausgeführt. Locher, Jahrgang 1956, ist bekannt als Konzeptkünstler, eine Arbeit von ihm ist im Pressezentrum der Messe Leipzig zu sehen. Er lebt und arbeitet gegenwärtig in Berlin.
Was hat Sie als aktiven Künstler daran gereizt, solch eine Aufgabe zu übernehmen, die mit viel Verwaltungsarbeit verbunden ist?
Viele Kollegen haben mich gefragt, wieso ich das Amt des Rektors anstrebe. Es ist für mich kein Positionsonswechsel, eine Kunsthochschule zu leiten. Das haben Künstler schon über Jahrhunderte gemacht. Ich will weiterhin die Entwicklung junger Künstlerinnen und Künstler begleiten, ihre Methodenfindung unterstützen. Es ist sicher eine intensive Aufgabe, aber man ist nicht allein, hat ein Team, hat Prorektoren, es gibt Gremien und Ausschüsse.
Mich reizt auch, darüber nachzudenken, was eigentlich Schule ist. Damit habe ich mich schon in den letzten Jahren aus dem Lehrverhältnis heraus beschäftigt. Was ist Lehre? Und wie muß sie in der Zukunft aussehen? Schule ist ein Thema, weil die gegebenen Bedingungen für künstlerische Praxen nicht so einfach sind. Daher liegt ein starker Fokus auf der Ausbildung, die noch der einzige glückliche Raum innerhalb des Kunstfeldes zu sein scheint. Allerdings sind Kunsthochschulen auch ganz konventionell Institutionen und Teil dieses Feldes der Kunst. Trotzdem gibt es ein Moment des Unvorhersehbaren und des Experimentellen, der ein Versprechen auf Zukunft darstellt.
Wie vertraut waren Sie mit der HGB und darüber hinaus der Leipziger Kunstszene, als Sie sich beworben haben?
Vertraut war ich nicht. Aber ich kenne einige Kolleginnen und Kollegen, habe mit Joachim Blank ein Projekt gemacht, war auch in einer Findungskommission. Die HGB strahlt weit über Leipzig hinaus. So glaubte ich schon, eine sehr interessante Schule vorzufinden. Die Leipziger Szene kenne ich nicht im Detail. Ich habe gelegentlich Ausstellungen hier besucht, ich kenne die Spinnerei, habe selbst auch an kleineren Ausstellungsprojekten teilgenommen. Ich werde mir die Szene in Leipzig anschauen, denn die HGB ist ein Teil davon. Großartig ist, dass die Stadt ein Interesse an der HGB hat, Leipzig aber auch noch etwas anderes bietet als Institutionen, nämlich eine lebendige, produktive Szene mit Galerien und Off-Spaces. Berlin ist zwar nicht weit, aber die Distanz ist gerade groß genug, um als Stadt eigenständig zu sein und zu bleiben.
Sie sind Konzeptkünstler. Das ist ein Genre, das an der HGB keine große Tradition hat. Ist Ihre Wahl eine Richtungsentscheidung zum weiteren Umbau der Schule?
Ich selbst komme aus dem Neokonzept der 80er Jahre, das in ganz verschiedene mediale und künstlerische Praxen eingegangen ist. Ich bin gar nicht so weit entfernt von dem, was an der HGB passiert. Es gibt hier die Kunst allgemein, das Fotografische, einen starken Theoriebezug, den Bereich der Gestaltung, also die Arbeit mit Text und Typografie. Das Naheverhältnis war ein Grund für meine Empathie zur HGB. Die künstlerische Ausbildung bleibt natürlich ganz in Hand der Experten, die in diesem Hause tätig sind. Die sollen unabhängig und frei bleiben. Ich interessiere mich für Begriffe wie Wissen, Bildung, Öffentlichkeit und Institutionskritik. Jetzt müssen wir die Institutionen stärken, die stark in die allgemeine Schusslinie geraten sind. Wir erleben destruktive und faschistoide Formen der Ablehnung alles Institutionellen, weil das eine Schnittstelle zwischen Staat und Gesellschaft ist. Institutionen regeln auch sozialen Verhältnisse.
Ein Hintergrund der Frage war, dass die HGB neben den angewandten Bereichen auch als Malereischule bekannt ist, und zwar Malerei der narrativen Art, auf einem Naturstudium beruhend. Seit 25 Jahren bemüht man sich, das zu verdrängen.
Die Malerei wird uns erhalten bleiben und soll – wie alle anderen Bereiche – gefördert werden. Einige denken meine Praxis habe ein distanziertes Verhältnis zur Malerei. Aber auch in der Malerei kommen Konzeptualisierungen vor. Narrative oder mehr abstrakte. Wie sich das an der Hochschule abbildet, ist Aufgabe der Studierenden und der Lehrenden. Ich trete nicht an, um etwas runterzufahren, sondern um alles hochzufahren. Wie das im Einzelnen läuft, kann ich noch nicht sagen. Ich muss die Hochschule erst einmal kennenlernen.
Dann ist es wohl verfrüht zu fragen, welche Baustellen dringend angegangen werden müssen?
Es ist etwas zu früh, da eine klare Antwort zu geben. Ich habe einen Blick von Außen, der nicht so spezifisch ist. Die Kommunikation innerhalb der HGB ist wichtig, nicht nur die nach Außen. Ich habe auch gehört, dass es ein Bedürfnis der Studierenden gibt, sich jenseits der Strukturen innerhalb der Hochschule zu bewegen. Die intermediale Praxis bedingt Wissen in mehreren Medien. Zu studieren heißt, sich der Komplexität von handwerklicher und medialer Praxis und deren Inhalten auszusetzen. Die Menge dieser Diskurse ist angeschwollen. Wir können zwar nicht alles lehren, aber wir versuchen die Entwicklung des Navigierens im Raum des Wissen und der Kunst zu fördern. Fähigkeiten, die übrigens Studierende wie Lehrende benötigen. Studienabgänger müssen sich in der Realität zurechtfinden, sich selbst strukturieren um produktiv zu sein. Man muß sich ein glaubwürdiges Sprechen über Kunst und die eigene Praxis aneignen. An der HGB gibt es dafür ein interessantes Fundament, weil die Studierenden auch eine schriftliche und theoretische Arbeit bewältigen müssen. Das sind sehr gute Bedingungen, und das ist auch etwas, was mich an der HGB gereizt hat.