Wollte Michael Faber, wahrscheinlich nächster Leipziger Kulturdezernent, beim „bürgerlichen Lager“ Punkte sammeln, hat die Presse da etwas verkürzt wiedergegeben oder ist es tatsächlich sein Konzept, was da in der heutigen LVZ zu lesen ist? Nach einem wochenendlichen Gespräch Fabers mit den Fraktionen von CDU, FDP und Grünen sind nun erstmals Aussagen zu seinen kulturpolitischen Vorstellungen öffentlich geworden. Dass die Hochkultur ein Aushängeschild der Stadt ist und auf hohem Niveau bewahrt werden muss, kann man nicht bestreiten. Über die folgenden Detailaussagen zu Personalien und Ausrichtungen von Oper, Muko, Bildermuseum und Schauspiel kann man ernsthaft diskutieren. Deutlich unter der Gürtellinie ist aber die Meinung zur Freien Szene: Sie habe zumeist keine überregionale Ausstrahlung, sei weniger ein kultureller als vielmehr ein sozialer Raum. Sie habe vor allem die Funktion eines Kompensationsraumes für Problemgruppen. Zu Lasten der Hochkultur solle sie dennoch fünf Prozent des Kulturetats erhalten.
Kann das wirklich wahr sein? Ein von der Linkspartei favorisierter Bewerber um das Amt des obersten Kulturlenkers von Leipzig gibt so etwas von sich? Da sind einerseits objektiv falsche Aussagen drin, andererseits ist das eine Position des allerdüstersten Konservatismus. Oder vielmehr: Das ist reaktionär!
Selbst die von einer CDU-Politikerin geleitete Enquete-Kommission des Bundestages ist da zu ganz anderen Aussagen gekommen. Sicherlich hat Faber das Dokument von reichlich fünfhundert dichtbedruckten Seiten sowieso nicht gelesen, es ist ja keine schöngeistige Wortdrechselei. Allerdings würde es auch ausreichen, wenn er nur die Programm-Flyer der Einrichtungen von Leipzigs Freier Szene durchsieht oder Berichte in der Presse darüber zur Kenntnis nimmt. Er muss sich ja gar nicht persönlich in diesen düsteren Sumpf begeben, um vielleicht am Rande feststellen zu können, dass in der Nato, dem Werk II, der Schaubühne Lindenfels (um nur ganz wenige von sehr vielen Beispielen herauszugreifen) Woche für Woche Kultur von internationalem Niveau geboten wird. Und diese Sozialarbeiter wollen tatsächlich fünf Prozent vom Kulturetat zu Lasten der Hochkultur! Die hätte dann ja nur noch 95 Prozent, ist also in der blanken Existenz bedroht. Keine überregionale Ausstrahlung der Freien Szene? Dass ich bewusst von Chemnitz nach Leipzig wegen eben dieser Ausstrahlung gezogen bin, mag nun mein persönliches Problem sein. Dass aber Festivals wie Pup up, WGT, Designers Open oder F-Stop Zehntausende Besucher (mehrheitlich von außerhalb) anziehen, wohl kaum. Und dass Leipzig seit einigen Jahren wieder um bis zu 5000 Einwohner pro Jahr allein durch Zuzug gewinnt, ist – im Unterschied zum Tourismus, der tatsächlich auf der starken Hochkultur beruht – kein Verdienst von Gewandhaus, Oper, Museum. Sondern der bunten, unkonventionellen, breiten Szene an der Basis.
Ein Kompensationsraum für Problemgruppen. Das ist eine Unverschämtheit. Ich wende es aber ins Positive. Ab sofort firmiere ich als nichtgeförderte Ich-AG Problemgruppe Kontra-Faber. Und kündige nichtkonstruktiven Widerstand an. Nicht nur gegen diese Person, sondern auch gegen die nominierende Linksfraktion. Eine Frage bleibt aber. Wieso ist der heutige LVZ-Artikel mit Skepsis bei der CDU überschrieben? Das müsste doch deren Idealkandidat sein.
Nichts gegen Faber schrieb ich vor zwei Monaten an dieser Stelle, als ich meine Thesen zur Leipziger Kulturpolitik veröffentlichte. Das diesbezügliche Interview von Tobias Prüwer ist im Leipzig-Almanach nachzulesen. Wie die Zeiten sich ändern. Ich bin entsetzt.
Ich glaube, Herr Faber möchte eigentlich Schluss machen mit der Monotonie des Je-Je-Je, und wie das alles heißt.
Ich bekam gestern noch recht erboste Mails von Linke-Politikern, wie ich denn die CDU-Interpretation, gefiltert durch die LVZ, ernst nehmen könne. Heute wäre in dieser Zeitung eine Klarstellung zu lesen. Gegen meine Gewohnheit bin ich deshalb schon morgens zum Briefkasten gegangen. Na ja, was da an Klarstellung steht, ist nicht gerade überzeugend. Zwar sei Michael Faber für eine Anhebung des Etats der freien Szene. Aber zu der Äußerung „Kompensationsraum für Problemgruppen“, die mich am meisten aufregt, wird nichts gesagt.
Statt dessen taucht nun mit Michael Koelsch (früher CDU, jetzt Grüne) ein offizieller Gegenkandidat auf . Das was von ihm zu hören ist, klingt angenehmer als das, was über Faber kolportiert wird. Hier entsteht aber eine neue Frage. Er habe am 30. März seine Bewerbung abgegeben, steht da. Bewerbungsschluss war aber offiziell Anfang Februar. Haben Stadträte da Sonderrechte? Das ist alles so wunderschön superdemokratisch. Zwar wird noch vor der offiziellen Ausschreibung ein feststeheder Amtsnachfolger präsentiert, aber sein Programm darf er angeblich nicht veröffentlichen solange es andere Kandidaten gibt (also bis zur Wahl). Und dann kann sich eben auch noch jemand in letzter Minute bewerben, wenn er nur im Politikzirkus schon tief genug drin steckt. Mein Vertrauen in die parlamentarische Demokratie der BRD wächst gerade im Superwahljahr 2009 von Tag zu Tag.
Theoretisch darf jeder Stimmberechtigte der Ratsversammlung (also alle Stadträte und der Oberbürgermeister) bis zum Moment der Wahl aufstehen und sagen: „Ich bewerbe mich“ oder „Ich schlage xy vor“. Das ist in allen Verfahren so, wird aber üblicherweise nicht so gemacht, weil es eben im Vorfeld eine Art Findungskommission gibt, die zuerst a) die Bewerbungen sichtet, dann b) die Qualifikation gewichtet und danach einen ausgesuchten Teilnehmerkreis einlädt. Da finden dann c) Personalgespräche statt. In der Regel einigt man sich innerhalb dieser Kommission auf einen Kandidaten, der dann in der Regel vom OB vorgeschlagen wird. Davor/dabei ist es nicht unüblich, dass sich aussichtsreiche Bewerber den Fraktionen vorstellen, seltener – jedoch nicht unmöglich – findet auch Öffentlichkeitsarbeit der Kandidaten statt – Hearings, Foren, Journalistengespräche.
Beim Kulturbürgermeister war es so: Erster Anlauf vor einem reichlichen Jahr. Findungskommission, OB macht Linken und Grünen gleichermaßen Hoffnung auf ein Vorschlagsrecht, beide laufen los, finden honorige Kandidaten und es gab hinter den Kulissen Gespräche. In der Findungskommission merken Grüne und Linke plötzlich, dass ihnen beiden die gleichen Hoffnungen gemacht wurden. Beide Bewerber standen danach nicht mehr zur Verfügung, das Verfahren wurde als gescheitert abgebrochen. Georg Giradet machte 1 Jahr weiter.
Nun zweite Runde: Von vornherein mit der Ansage des OB, dass es nun ein Linker werden soll. Ausschreibung, denn das verlangt die Kommunalgesetzgebung nun mal, Findungskommission tagt einmal, die nicht am Deal beteiligten (also alle außer Linke und SPD) beklagen das Verfahren und man einigt sich nicht auf einen gemeinsamen Wahlvorschlag.
Daraufhin muss nun Herr Faber von irgendjemandem in der Sitzung am 22. April vorgeschlagen werden und bis dahin – siehe oben – können natürlich jederzeit einer oder mehrere Kandidaten antreten. Das ist auch sonst so, kommt halt nur so gut wie nie vor, weil eben ein gemeinsamer Wahlvorschlag natürlich die Chancen weiterer Bewerber erheblich minimiert.
Im Übrigen gab es eine ähnliche Situation schon einmal: bei der Wahl des Bürgermeisters für Umwelt, Ordnung, Sport. Da hatte der OB auch den Linken das Vorschlagsrecht eingeräumt. Seinerzeit hatten ebenfalls die Grünen (wenn ich mich recht erinnere) einen in ihren Augen geeigneteren Bewerber, den dann FDP und CDU unterstützt haben.
Dass ein Bewerber keine inhaltlichen Äußerungen tätigen darf, steht nirgendwo. Insofern wundert mich die strikte Weigerung von Herrn Faber, vor dem 22. April mit der Öffentlichkeit nicht zu sprechen (wenn man der Bild vom letzten Donnerstag) glauben kann, schon – vor allem, wenn er meint, er sei nach dem Wochenende verkürzt , unrichtig oder whatever widergegeben worden.
Bei der Ordnungsbürgermeisterwahl damals haben jedenfalls beide Kandidaten Interviews gegeben, so dass sich nicht nur die Stadträte, sondern auch die „normalen“ Leipziger ein eigenes Bild machen konnten.
Vielen Dank für die Information. Die ganze Vorgeschichte kenne ich ja, aber den Fakt, dass Ratsmitglieder sich noch bis kurz vor der Wahl bewerben können, wusste ich nicht. Seltsam finde ich dann eben tatsächlich, dass es legitim sein soll, wenn ein Kandidat noch vor der offiziellen Ausschreibung de facto als Nachfolger präsentiert wird, er aber angeblich keine öffentlichen Aussagen zu seinen Vorstellungen machen darf. Da habe ich andere Vorstellungen von Demokratie, Transparenz und Bürgerbeteiligung.
… Ergänzung: nicht nur jedes Ratsmitglied kann sich theoretisch bewerben, sondern auch jeder andere, der Lust dazu hat. Die Verwaltung ist verpflichtet, den Stadträten die Bewerbungen zugänglich zu machen. Im Prinzip kann ein Stadtrat in der entscheidenden Sitzung auch noch jemanden vorschlagen, der sich garnicht in der Frist beworben hat. Vom Gesetz vorgeschrieben ist lediglich, daß eine Ausschreibung zu erfolgen hat und wie lange vor Freiwerden der Stelle das geschehen muß. alle anderen Fristen dienen eher einem geordneten Verfahrensablauf, sind aber nicht wirklich bindend
…wer wird sich denn noch bewerben, wenn er nicht das richtige parteibuch hat…ein farbloser faber, der auf das ticket von sed-pds-linke ins rathaus kommt, ohne dafür irgendwie befähigt zu sein…und das im jahr zwanzig nach dem wunder von leipzig. und unsere schwache opposition im rathaus unterstützt einen cellospielenden architkten, der als bub einen malwettberb gewonnen hat (lvz-selbstdarstellung koelsch) in ermangelung einer alternative…glückwunsch, demokratie…
Man muss das auch mal anders sehen: Michael Faber, Spross des DDR-Verlegers Elmar Faber und stramm links, will weg aus dem Dunstkreeis seines Vaters, dessen unfreiwilliger Kompagnon er jahrelang war, der Verrlag „tümpelt“ und wirft nichts ab, da muss man, wenn man noch nicht 50 ist doch eine Perspektive suchen. Und wenn manm dann, wie Michael Faber, ein „Schöngeist“ von eigenem Gusto ist, und überall im Kulturbetrieb Leipzigs seine unbedarfte Nase reingesteckt hat, wenn man noch dazu ein Freund des OB ist, ja dann gibt es diese Perspektive eben. Die „Linke“ ist nur die Formalie, in Wahrheit ist Faber ein stockkonservativ und bürgerlich denkender Mensch – das werden die Leipziger bald merken, und im Übrigen sind die Gehälter auch nicht schlecht und der Pensionsanspruch, wenn man sich sonst, im eigenen Verlag, alles mühsam erarbeiten muss. Aber Geduld: Lange wird Leipzig diesen krausköpfigen „Linken“ nicht ertragen müssen. er wird sehr bald über die eigenen Füße oder über ein Stöcklein fallen, das man ihm hinhält.
Wirklich linke kulturpolitische Positionen kann ich in dem, was ich von Michael Faber bisher gehört habe, nicht entdecken. Eher ein: Weiter so! Sollte er also tatsächlich zu Fall gebracht werden (gerade unter den neuen Mehrheiten im Stadtrat nach der Wahl), dann nicht wegen inhaltlicher Sachen, sondern nur wegen einer Fortsetzung der parteipolitischen Ränkespiele, dann eben von anderer Seite ausgehend.