Plagwitz bleibt drecksch singt bzw. rezitiert der Rapper Rasputin. Da Rap trotz meiner Teilnahme an einem Workshop vor fünf Jahren noch immer nicht so zu den persönlich bevorzugten Musikrichtungen gehört, bin ich nur durch den Link auf Heldenstadt.de auf den Song aufmerksam geworden und hätte ihn vielleicht auch nicht angeklickt. Wäre ich nicht seit einem halben Jahr Teilzeit-Plagwitzer (wenn auch hundert Meter innerhalb Lindenaus positioniert).
Plagwitz bleibt drecksch. Stimmt irgendwie. Dass Sperrmüll einfach auf den Fußweg gestellt wird, kenne ich aus unserer Wohngegend nicht. Und auch nicht die Kackhaufen, die der Größe nach eher von Menschen als Hunden stammen. Bis vor Kurzem lagen gleich drei abgenutzte Matratzen an der Karl-Heine-Straße herum, allerdings nicht zum gemütlichen Niederlassen einladend.
Rasputin ist Rapper. Das sind ganz harte Jungs oder gelegentlich Mädels. Hart sein gehört zum Rap. Das hat schon Uli Hannemann in Links und rechts der Clay-Allee wunderbar dargestellt. Rapper Dosie aus Z North, also Zehlendorf, will aus dem Ghetto ausbrechen. Sein Riot besteht im Überqueren der Fußgängerampel bei Rot. Respect! Zum Muttertag zieht er sogar Flowers aus Nachbars Eigenheim-Garten. Super Respect!
Was bei Hannemann von der Lesebühne LSD Parodie ist, meint Rasputin offenbar ernst. Mit umgekehrten Vorzeichen. Plagwitz ist nicht Leipzigs neues Zehlendorf. Doch die Mietpreise steigen, je mehr Cafés, Bio-Läden oder Galerien links und rechts der KH-Allee öffnen. Also muss der Rapper, um hart zu sein, dagegen ankämpfen. Schauplätze des Videoclips sind unter anderem der Hotdog-Laden Beard Brothers und Die Fabrik. Das sind natürlich ganz und gar proletarische Ur-Plagwitzer Einrichtungen. Bei Die Fabrik gibt es den Hocker 086 für schlappe 355 Euro inkl. USt. Und bei den Bärtigen geht der echte Arbeiter nach der Spätschicht an der Stanze ölverschmiert einen Der Rijö mit Preiselbeersoße reinschieben. So sindse, die Plagwitzer, ganz bodenständig.
Rapper Rasputin unterscheidet sich vom verlausten, zerlumpten russischen Wunderheiler, dessen Namen er geborgt hat, im Outfit. Er ist adrett gekleidet, der Bart ist ordentlich gepflegt. Auch die Jeans hängen nicht in den Kniekehlen wie bei seinen Chicagoer Rap-Paten.
Er liefert eine Akkumulation von Klischees ab und verwechselt zwei Attribute, die beide mit A anfangen. Antikapitalistisch und asozial sind nicht dasselbe. Bonzen an den Stadtrand. Ja doch, die Immobilienhaie, die in Plagwitz Altbauten aufkaufen, wohnen sowieso in anderen Lagen. Eh, die Probleme in diesem Viertel, wir regeln sie selber. Echt jetzt? Ich darf dich also anrufen, lieber Rasputin, wenn wieder mal ein Retro-Kühlschrank samt Inhalt vor unserer Tür steht? Du zauberst ihn dann mit deinen Wunderkräften weg oder versenkst ihn zumindest im KH-Kanal? Zieh dich um dafür, die schicke Lederjacke könnte drecksch werden.
Etwas anders, nicht weniger verwunderlich aber, geht die L-Iz die Gentrifizierung im Leipziger Westen an. Leipzigs Zukunft heißt der der Artikel von Karsten Pietsch. Das Datum der Veröffentlichung 1. April wie auch die Schreibweise lassen darauf schließen, dass es Satire sein soll. Der Leipziger Stadtrat hat beschieden, dass das Naturkundemuseum in einem Schuppen auf dem Gelände der einstigen Baumwollspinnerei gelagert werden soll. Im gleichen Schuppen soll dann auch noch Theater gespielt werden. Und jener Herr Pietsch, der mir als Autor der L-Iz bisher noch nie aufgefallen ist, fantasiert dann weiter, dass der Augustusplatz quasi zur Kuhweide werde, weil sich alle wichtigen Kultur- und Verwaltungseinrichtungen an den Stadtrand verlagern, also Plagwitz etc. Richtig lustig. Wo es doch dort so drecksch ist. Im Kontext mehrerer Artikel der L-Iz, in denen eine regelrechte Wut über die Verlagerung des Naturkundemuseums an den verwahrlosten oder auch gentrifizierten Stadtrand Plagwitz gegeifert wird, wirkt der Artikel plötzlich gar nicht mehr satirisch.
Seltsam nur, dass die Leipziger Zeitung, ganz eng mit der L-Iz verbandelt, ihren Redaktionssitz ausgerechnet im Westwerk gewählt hat, gar nicht weit von dem Schuppen, in dem künftig Off-Theater zwischen Saurierknochen gespielt werden muss. Zumindest können die Redakteure sich im angrenzenden Kaiserbad nach Arbeitsschluss einen Cuba Libre für 6,20 reinziehen und mit den vom Schichtdienst heimkehrenden Spinnerinnen anstoßen, um den Frust runterzuspülen.
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