Sie wissen es nicht, können es nicht wissen, die Käufer von Eistüten am Epizentrum der Könneritzstraße. Auch nicht die Konsumenten bei Konsum gleich gegenüber, im Flagshipstore der an Rabattmarkeneinklebehefte gemahnenden Genossenschaft. Auch nicht die auf die nächste Linie 1 oder 2 der LVB Wartenden an der Haltestelle. Dass sie nichts über Herrn Könneritz, den verflossenen sächsischen Finanzminister wissen, ist unerheblich. Sie wissen nicht, dass sie sich an einer heiß umkämpften Front befinden. Das Erkenntnis wird dadurch erschwert, dass sich die Frontlinie nicht etwa in der Mitte der schnurgeraden, mehr als einen Kilometer langen Straße befindet. Auch nicht zwischen nördlichem und südlichen Abschnitt, obwohl die leichte Erhebung daran erinnert, dass hier mal der Bahndamm eines Anschlussgleises für die Plagwitzer Industrie die Straße querte.
Die Front verläuft unklar, Einbuchtungen und Inseln bildend. Die Avantgarde stellt sich manchmal hinten an. An einem anderen als dem zentralistischen Eisladen wird gluten-, ei- und laktosefreier Gefrierstoff angeboten, vegan sowieso.Die Neu-Schleußiger leben nicht nur bewusst, sondern sind auch sehr sensibel und allergisch gegen alles Mögliche. Schräg gegenüber lädt die Bauhütte ein. Da trinken Alteingesessene ihr Freiberger Bier mit all den Spurenelementen, die eben rein gehören. Und zum Frühstück ab 9 Uhr gibt es Rührei mit Schinkenspeck. Jawoll.
Das Seltsame der Gentrifizierungs-Front entlang der Schleußiger Magistrale ist, dass hier dem Einbruch der Alternativbürger ins proletarische Milieu offensichtlich keine Pionierarbeit eines buntbehaarten, arbeitsverweigernden Kreativvolkes vorausgegangen ist, wie ansonsten üblich bei solchen Modellen urbanen Umbruchs. Oder nur sehr punktuell. Das irgendwie noch (über)lebende Besser Leben mit seiner rotzigen Leistungsverweigerung ist eine Art von Denkmal für die bescheidenen Versuche, das Mietskasernenviertel aufzubrechen, ohne gleich den Investoren Anlaufspuren zu bieten. Ein gallisches Dörfchen.
Ansonsten hat die neue Bevölkerung die Innovation des Parkens in dritter Reihe eingeführt, vor allem an den spitzwinkligen Einmündungen von Brockhaus- und Holbeinstraße. Morgens, wenn Frühaufsteher schon weg sind zum Geldanschaffen, sieht man darum manchmal Fahrzeuge isoliert mitten im Straßenraum stehen. Sie haben ihre Herde verloren. Zur Strafe für die Hulding des Individualverkehrs seitens der ach so Alternativen bleibt der Zustand der Nebenstraßen auf dem Niveau des 19. Jahrhunderts.
Entlang der Kö kann man schon lange Latte Macchiato schlürfen, seine Rasseköter auf schick trimmen lassen oder sich selbst. Dabei ist aber die Branche der Läden nicht ausschlaggebend, Details machen den Unterschied. Da gibt es ganz normale Physiotherapeuten oder eben „Ethnomedizin“. Das schamanische Wissen welcher Volksstämme ausgebeutet wird, steht nicht dabei. Edelrausch hat andere Getränke und andere Preise als das Lösch Depot. Auch unter den multikulturellen Angeboten ist die Differenzierung sichtbar. An der Ecke zum Schleußiger Weg bietet McEno die beliebte Mischung von Döner, Pizza und China-Food. Mediterrano ist da schon eine andere Klasse, ebenso Amina mit original ägyptischen Produkten. Und bei Maza Pita im Mittelpunkt des Straßenzuges gibt es selbstverständlich auch veganes Schawarma.
Die verbale Aufrüstung tobt am heftigsten zwischen den Friseursalons, von denen es so viele gibt, dass vermutlich einer auf zehn Anwohner kommt. Salon Marcel, das muss ein Eingesessener sein. Familycut erscheint dagegen viel hipper. Die Spitze an überbordender Kreativität aber bildet Spectacoolhair. Die Haarschneider in diesem Laden haben sicherlich alle Hochschulabschluss.
Bunte, unregelmäßige Kacheln bringen etwas Hundertwasser in die Kö. Hier residiert ein Tatoo-Stecher namens Needleswing. Dieses Handwerk ist selbst symptomatisch für die Drift von ganz unten ins Herz des Establishments.
Wer die Schlacht gewinnen wird, ist sicher. Zum Glück wissen es die Eisesser und Biertrinker noch nicht.