Im Sommer vorigen Jahres las ich Hans Beltings Buch „Das unsichtbare Meisterwerk“, in dem er unter Berufung auf Baudelaire das Verschwinden der öffentlichen Wahrnehmbarkeit von Kunst als ein Paradigma der Moderne darstellt.
Dabei erinnerte ich mich daran, dass ja im Herbst zuvor die Shopping Mall „Höfe am Brühl“ eröffnet wurde, deren Betreiber immerhin Geld in die Auschreibung eines Wettbewerbes zur Bekunstung dieses Klumpens gesteckt hat. Gewonnen wurde die Ausschreibung vom Leipziger Kollektiv FAMED. Die Pressemitteilung von Höfe-Herr mfi war überschrieben: „Als wäre nichts gescheh’n!“
Höfe am Brühl bekommen ein Aufsehen erregendes Kunstwerk.“
Also wollte ich einen milden Sommerabend nutzen, einen Klappstuhl mitnehmen, um gegen Mitternacht zu erleben, wie in den Höfen auf künstlerisch determinierte Weise das Licht ausgeht: Diese Choreographie des Lichtes läuft in drei Phasen ab: In der ersten Phase wird die gesamte Fassadenbeleuchtung himmelsrichtungsweise abgeschaltet. In der zweiten Phase erlöschen sämtliche Logos gleichzeitig. Ausgehend von der Plauenschen Straße / Ecke Brühl wird in der dritten Phase das Licht der Schaufenster im selben Takt und nach festgelegtem Raster nacheinander abgeschaltet. Dieser Teil der Choreographie orientiert sich am Achsraster des Gebäudes und visualisiert zugleich die für gewöhnlich unsichtbare Statik hinter der Fassade. Das so definierte Lichtband bewegt sich entlang beider Höfe und löst sich sequenziell von zwei Seiten her auf. Es trifft zur selben Zeit am gegenüberliegenden Ende der Plauenschen Straße ein und läuft von dort beidseitig auf den Ausgangspunkt zu – analog zu der Bewegung mit dem Taktstock eines Dirigenten, der einen Impuls ins Orchester setzt und wieder zur Konzentration zurückführt.
Nun war ich aber, da ich in den mir vertrauten Medien noch nichts über die Einweihung des Kunstwerkes gehört hatte, so clever, zunächts eine Mail an das Center-Management zu schreiben. Die wurde auch schnell beantwortet. Es gäbe noch Verzögerungen wegen der wirklich komplizierten Installation dieses Lichtausknipsens. Aber zum ersten Jahrestag der Eröffnung der Mall im September 2013 solle es soweit sein. Ich würde natürlich in den Verteiler der Pressemitteilungen aufgenommen und eine Nachricht erhalten.
Nun ist ein halbes Jahr vergangen. Ich habe trotz des ungewöhnlich milden Wetters keine Lust auf eine Klappstuhlaktion. Zwar wird nach wie vor in den „Höfen am Brühl“ abendlich das Licht ausgeschaltet, aber eben nicht künstlerisch intendiert. Ich hoffe, die drei Jungs von FAMED haben ihr Honorar bekommen.
Aber auch dann, wenn eventuell parallel zum Flughafen BER das Kunstwerk doch in Betrieb geht, wird sich die Resonanz des Publikums in Grenzen halten. Weder Leipziger noch Touristen werden in Massen herbeiströmen, um gegen Mitternacht die Energiesparaktion live zu erleben. Falls doch, bleibt es eben trotzdem ein unsichtbares Kunstwerk. Ein Höhepunkt der Moderne. Das ist es auch jetzt schon. Wozu noch weitere Verzögerungen und Bemühungen? Als wäre nichts gescheh’n! Kann es denn einen besseren Titel für ein unsichtbares Kunstwerk geben? Die Nichtumsetzung ist offenbar Teil des Werkes. Ach Quatsch, Werke gibt es ja sowieso in der neueren Kunst nicht mehr. Nichts geschehen, ist schon in Ordnung.