Plädoyer für den Schulschluss

Die Ausstellung muss warten, der sehenswerte Katalog „Antipoden? Neueste Leipziger Schule“ ist aber erschienen

Es war nur eine Frage der Zeit, bis jemand den Begriff Neueste Leipziger Schule in die Welt setzt. Ob die Welt ihn braucht, wäre zu prüfen. Dafür muss man unvermeidlich ein kleines bisschen in die Geschichte gehen. Wer zum ersten Mal die Bezeichnung Leipziger Schule benutzt hat, wird sich wohl nicht mehr eindeutig klären lassen. Der Kunsthändler Claus Baumann reklamiert dies für sich. An dieser Darstellung darf man zweifeln, war das Etikett doch bereits in den 1970er Jahren gebräuchlich. Von einer Neuen Leipziger Schule sprachen jedenfalls zuerst Journalisten zu Beginn der 2000er Jahre, als die Gruppierung um die Galerie Liga Aufmerksamkeit erregte. So wie man die erste Staffel nicht auf das Trio Heisig, Tübke, Mattheuer reduziert werden kann, so besteht auch die Zweitauflage nicht nur aus Rauch, Weischer, Ruckhäberle und Schnell. Und was ist mit den Malern sowie – nicht zu unterschlagen – Malerinnen der Zwischenperiode, etwa Annette Schröter?

Zwölf Malerinnen und Maler wurden nun von einem Kunsthistoriker-Team um Frank Zöllner, Experten also, ausgewählt, um eine Neueste Leipziger Schule zu etablieren. Schon seit rund sechzig Jahren gilt Leipzig als ein starker Standort der Malerei. Galt dies nach 1990 als ein zu überwindendes Zeichen tiefster Provinzialität, so war es ein reichliches Jahrzehnt später eher ein Exotenstatus. Wie Zöllner im Vorwort des Kataloges betont, wird nach dem mehrfach verkündeten Tod der Malerei heute in der ganzen Welt wieder gemalt, auch figurativ und erzählerisch.

Ein lokales Alleinstellungsmerkmal ist die Arbeit mit Leinwand und Pinsel also nicht mehr. Doch die Qualität der Ausbildung an der HGB mit Grundstudium und hervorragenden Werkstätten ist untypisch für heutige Kunsthochschulen.

Alle in der Ausstellung Versammelten, mit zwei Ausnahmen in den 1980ern geboren, sind Absolventen dieser Akademie. Dass aber nicht von einer stilprägenden Schule die Rede sein kann, wird schon beim schnellen Durchblättern des Kataloges deutlich. Allerdings galt diese Vielfalt schon für die vorhergehenden Generationen.

Die Überschrift „Antipoden?“ bezieht sich auf den vermeintlichen Gegensatz von Abstraktion und Figuration. Auch wenn es früher schon immer einige Künstler gab, die sich der dominanten Narration verweigerten, so hat tatsächlich die ungegenständliche Malerei in Leipzig in den letzten Jahren zugenommen. Als Beispiele dafür werden hier Benedikt Leonhardt und Henriette Grahnert gezeigt. Für den anderen Pol stehen Titus Schade, Markus Matthias Krüger, Sebastian Nebe und Malte Masemann. Dann gibt es ein breites Zwischenfeld wo sich identifizierbare Dinge mit abstrakten Elementen mischen. Bei Maria Schumacher und Kristina Schuldt sind es Anklänge an menschliche Formen, bei Johannes Daniel, Sebastian Burger und Robert Seidel eher Objekte der Warenwelt. Und die großformatigen Kugelschreiberbilder Claus Georg Stabes verschmelzen dekorative Muster mit atmosphärischen Schwingungen.

Etwas wie „typisch Leipzig“ lässt sich aus dieser Zusammenstellung nicht herauslesen. Es ist Weltkunst. In der Wahl der Wohnorte sind heutige Künstler ohnehin nicht mehr all zu bodenständig.

Es ließen sich ohne Mühe noch zwei Dutzend oder mehr zurzeit in Leipzig ansässige Malerinnen und Maler dieser Alterskohorte anführen, die es genau so wert wären, bei dem Projekt dabei zu sein. Dann würde eine weitere Polarität erkennbar, die an der HGB schon zu Konflikten geführt hat – Malerei auf Grundlage des Naturstudium vs. Malerei nach Medienbildern, quasi aus zweiter Hand.

Mit solch einer Ausstellung wäre das Mädler Art Forum räumlich überfordert. Sein Verdienst ist es, dieser ausgewählten Gruppierung ein Podium zu geben und einen schönen Katalog ermöglicht zu haben. Eine weitergehende Darstellung wäre Aufgabe des MdbK. Jenseits aller Schul-Schubladen gibt es nach dem kurzen Einbruch der 1990er in der Stadt eine bemerkenswerte Vielfalt der Handschriften allein in der Malerei. Und es gibt eine Kontinuität. Jahr für Jahr verlassen gute Malerinnen und Maler die HGB. Bleibt zu hoffen, dass es nach dem Auslaufen der Professur Christoph Ruckhäberles und der Emeritierung Annette Schröters so weitergeht.

Antipoden? Neueste Leipziger Schule

Herausgegeben von Frank Zöllner

Verlag E.A. Seemann Henschel Leipzig 2020

88 Seiten, ISBN 879-3-86502-442-8

Dieser Beitrag wurde unter kunst, leipzig veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.