Quietschbunte Leichen

DAS IST ABER SEIT HUNDERT JAHREN SCHNEE VON GESTERN! Gemeint ist Malerei, speziell gegenständliche, sowie handwerkliches Können in der Kunst. Die Leipziger Galeristin, die das in Versalien ausruft, meint ganz genau zu wissen, was in der heutigen Kunstwelt angesagt ist, was nicht. Das Blöde daran ist nur: In gleich sieben benachbarten Galerien wird solcher Schnee von gestern ausgestellt. Malerei, groß und bunt, zuweilen mit dem Anspruch handwerklicher Perfektion, fast durchweg gegenständlich. Wenn ich wieder mal in Lindenau bin, werde ich die Galeristen fragen, was sie denn eigentlich zu solch einer Leichenschändung treibt. Und das auch noch im Rudel. Pfui!
Was sind nun aber jene Perlen, die besagte Galeristin nach ihren eigenen Worten vor solch hinterwäldlerischen Säue wie mich wirft, also die Speerspitzen der Innovation, voll von revolutionärem Potential, neue Welten eröffnend? Im Moment ist es ein englischsprachiger Schriftzug, hoch oben in die Wände eingraviert, über das Verhältnis von Möglichkeiten und Ereignissen sinnierend. Ähnliches hat Lawrence Weiner vor genau 45 Jahren schon gemacht. Damit hat er also die Revolten von 1968 ausgelöst? Die Gruppe, die in Leipzig ihren Spruch eingegraben hat, bekam gerade den Auftrag, eine Shopping-Mall zu bekunsten. So geht Revolte heutzutage.
Innovation und Revolution sehen für mich etwas anders aus und sind in der heutigen Kunst sehr selten geworden. Dann aber alle, die nicht an einem in die Leere gelaufenen Avantgarde-Glauben unbedingt festhalten wollen, als hinterwäldlerisch zu beschimpfen, ist schon ausgesprochen arrogant.
Die Galeristin gibt vor, sich Sorgen um die Zukunft von Leipzigs Kunstszene zu machen, da ja die vorwärtsstürmenden Neuerer nicht entsprechend gewürdigt werden. Immer mehr Künstler, Galerien und Ausstellungsformate würden die Stadt verlassen, die Szene sei am veröden. Da muss ich wohl am Wochenende in einer ganz anderen Stadt unterwegs gewesen sein oder halluziniert haben.
Dass ich keineswegs eine reaktionäre Handwerkelei promote, allerdings auch nichts gegen Vituosität habe, könnte sie schon an vielen Einträgen dieses Blogs erkennen, aber auch beim nicht-selektiven Lesen meiner Artikel für die LVZ. Die Kritzeleien eines Dan Perjovschi, fragmentarisch in der Werkschauhalle erhalten, finde ich interessanter als beispielsweise die angestrengte Feinmalerei eines Michael Triegel. Deswegen muss ich aber nicht jeden Pups, der mit dem Etikett Kunst versehen wird, auf Lunge nehmen. Die Provinz beginnt genau da, wo alles was geschieht unkritisch gutgeheisen wird, nur weil es passiert. Hinterwäldlerisch ist gerade der fortgesetzte Versuch, Kritik verhindern zu wollen, werte Kunstversteherin.
Und sich Sorge um die Stadt zu machen, alle Galerien und Kunsträume aber, die nicht die edle Adresse Spinnereistraße 7 tragen, als Trittbrettfahrer zu bezeichnen und sich den Begriff Rundgang auf ausgrenzende Weise aneignen zu wollen, ist ein Widerspruch in sich.
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8 Antworten auf Quietschbunte Leichen

  1. Arne Linde sagt:

    Hier schreibt die Galeristin: Mein Name ist Arne Linde, meine Galerie heißt ASPN und ist in Leipzig, Spinnereistraße 7, Halle 4.
    Hallo Jens Kassner.
    Schnee von gestern ist es (und da war meine Formulierung vielleicht unpräzise) auf handwerklichem „Können“ als Minimalvoraussetzung zu bestehen. Die Abwesenheit dessen wird seit x Jahren experimentell und progressiv in der Kunst praktiziert. Die Abwesenheit von Bildern grade in einer (Kunst-)Stadt, die die letzten 10 Jahre stark auf Malerei gesetzt hat, hat – wie am Wochenende zu erleben war – sehr viele Leute irritiert und zum Nachdenken gebracht. Und darauf sind wir total stolz! Kritik finde ich super! Kritik finde ich lebenswichtig, ich giere gradezu nach einem Diskurs! Aber was für ein Steilpass ist es, der Künstlergruppe FAMED, um die es hier geht, die Malerei zu empfehlen?
    Das nehme ich persönlich und DAS finde ich ausgesprochen arrogant!
    Und empfinde es keineswegs als Kritik in einem diskursiven, konstruktiven Sinne, sondern als krassen Affront.

    Zur Entwicklung von Leipzig als Kunststandort: inzwischen haben drei Leipziger Galerien Dependencen in Berlin eröffnet, eine ist gleich ganz dort hingezogen, weitere denken darüber nach. Zum Rundgang kommen viele Bratwurst-Liebhaber und es wird immer schwieriger, gegen etwa die „art week berlin“ zu bestehen und Sammlerinnnen und Sammler, Kuratorinnen und Kuratoren, die überregionale Presse etc. nach Leipzig zu lotsen. Dies wird mit immensem organisatorischen wie finanziellem Aufwand von der Galerien der Spinnerei betrieben. Und nach wie vor gelingt es uns recht gut, und nach wie vor profitieren Galerien und Kunsträume außerhalb der Spinnerei viel stärker von unserem Engagement, als dass es andersrum der Fall wäre.
    Für uns sind die überregionalen Besucher extrem wichtig, denn nach Leipzig selbst werden vorallem Bratwürste verkauft, wenige Privatpersonen, Museen und Firmen geben hier selten Geld für Kunst aus. Geld aber ist ein wichtiger Faktor, um als Galerie, als Künstler etc. zu exisiteren und zu bleiben. Das heißt, wir müssen überregional und international agieren. Anlass nach Leipzig zu kommen geben vorallem Formate, die nicht auf den letzten Zügen des abschwellenden Leipziger Schule Booms reiten, sondern neue Perspektiven aufzeigen (damit meine ich nicht nur FAMED, sondern auch z.B. die „Biographie der Bilder“ und den „Dilettantismus“ in Halle 14, Fock bei Hempel, ebenso Ruckhäberle, Schnell etc. die eine eigene, progressive Bildsprache entwickeln, die keine Referenzen in die „Leipziger Schule“ mehr bemühen müssen).

    Dem Satz „Die Provinz beginnt genau da, wo alles was geschieht unkritisch gutgeheisen wird, nur weil es passiert“ schliesse ich mich uneingeschränkt an!
    Malerei habe ich im übrigen auch im Programm, auch figurative! Von Leichen haben Sie jetzt angefangen, von Schändung gar. Da kann ich nun wirklich nichts zu sagen, da verschlägt es mir die Sprache.

    Gruß aus der Spinnereistraße 7,
    Arne Linde

  2. admin sagt:

    „Handwerkliches Können als Minimalvoraussetzung“ – ich weiß nicht von wem das stammen soll, jedenfalls nicht von mir und erst recht nicht aus dem Artikel, um den es geht. Aber es ist immer leichter, etwas zu postulieren, was sich einfach widerlegen lässt, als bei den nachweisbaren Fakten zu bleiben. Dass aber die Abwesenheit von handwerklichen Können in der Kunst seit Jahrzehnten praktiziert wird, ist völlig richtig und gerade deshalb schon lange kein Ausweis für Innovation mehr. Genau so wenig habe ich im Artikel nirgendwo von Leipziger Schule gesprochen, auch das ist eine erfundene Behauptung, ich habe gerade die Namen hervorgehoben, die hier nochmals wiederholt werden, so als hätte ich sie übersehen.
    Dass die Abwesenheit von Bildern in Ihrer Galerie Irritationen ausgelöst hat, glaube ich, nicht aber, dass daraus Anstöße für gesellschaftliches Handeln hervorgehen.
    Dass es Fluktuation bei Galerien gibt, ist ziemlich normal. Auch aus Berlin ziehen Galerien weg, andere kommen so wie auch in Leipzig. Und wenn welche gehen, liegt das am wenigsten an der provinziellen Presse als vielmehr an einer zu dünnen Käuferschicht.
    Dass Sie als Liebhaberin intellektueller Gedankenspiele nicht die Ironie in der Empfehlung mit dem Pinsel spüren, ist schon erstaunlich. Ebensowenig sind Sie in der Lage zu erkennen, dass im Text gerade versucht wird, die kommerziellen Interessen der Galerien vom teils banalen Jahrmarkt-Charakter des Rundgangs zu trennen. Stattdessen verbeißen Sie sich in die eigenlich metaphorisch gemeinte (auch das wird nicht erkannt)Bratwurst.
    „Zum Rundgang kommen viele Bratwurst-Liebhaber“. Hier wird es nun endlich konkret. Der Plebs als Störfaktor. Ja, es geht im Wirklichkeit um Kommerz. Das sage ich ohne Wertung. Das ist das Grundgesetz dieser Gesellschaft und für eine Privatgalerie ganz natürlich. Was sollen dann aber solche Phrasen: „Schreiben Sie über etwas, was nicht innovativ sein soll, was nicht das Potential hat, Gesellschaft zu verändern und den Blick zu öffnen, zu irritieren, zu revolutionieren und Menschen in neue Welten vordringen zu lassen.“ Ich bin mir nicht sicher, ob sich die ausgestellten Künstler darin überhaupt erkennen können. Aber danke für den Hinweis. Ich werde ihn natürlich nicht befolgen.

  3. Arne Linde sagt:

    Ach, als wir über Arthur Zalewski gesprochen haben, haben Sie nicht bemängelt, dass handwerkliche Präzision fehlen würde? Und dass das für Sie persönlich ein maßgebliches Kriterium sei? Aus den meisten Artikeln, die auf Ihrem Blog zu lesen sind, spricht genau diese Haltung, explizit formuliert etwa zum Fotofestival 2012. Und an Ihre Äußerungen aus dem persönlichen Gespräch erinnere ich mich genauso gut wie Sie sich an meine: Dass nämlich Trittbrettfahrerei keine Wonne für mich ist. Stand nämlich in keiner Mail. Da schliesse ich mich wiedermal einem Satz von Ihnen an: „es ist immer leichter, etwas zu postulieren, was sich einfach widerlegen lässt, als bei den nachweisbaren Fakten zu bleiben.“

  4. admin sagt:

    „Wegen der immensen Strahlkraft unserer Rundgänge fahren genannte andere Formate auf dem Trittbrett des Erfolgs und unserer
    Arbeit mit.“ Zitat aus dem Brief der Spinnerei-Galerien an die LVZ vom 17. Mai 2012

  5. Arne Linde sagt:

    Ja, das war ein Brief von allen SpinnereiGalerien.
    Sie haben Recht.
    Schönheit und handwerkliches Können sind das beste an der Kunst. Kommerz ist ganz schrecklich und Galeristen sind elitäre Kapitalisten, besonders die Spinnereigaleristen.
    Wir verkaufen demnächst Kunst zu Bratwurstpreisen und all die Künstler, Aufbauhelfer, Rahmenbauer und anderen nachgelagerten Gewerke können dann vielleicht für die LVZ schreiben. Sie müssen ja schliesslich auch von irgendwas leben.

  6. admin sagt:

    Und bezüglich des handwerklichen Könnens kann Ihre Recherchetiefe in meinen Texten auch nicht allzu tief gewesen sein. Bei Zalewski stimmt das: wenn weder Können noch Ideen bzw. Aussagen da sind, kann ich mit der Kunst nichts anfangen. Eines von beiden muss schon da sein, sonst ist es Beliebigkeit.
    Nur so ein paar interne Lesetipps: über Sophie Vollmars Denkmalentwurf, grob hingeklotzte Betonteile also, habe ich durchweg positiv geschrieben: http://www.jens-kassner.de/leipzig/auch-ein-denk-mal/
    über meinen zweitliebsten Chemnitzer Künstler Osmar Osten, der ziemlich grobmotorisch arbeitet, sowieso schon seit Jahren, u.a. hier: http://www.jens-kassner.de/chemnitz/neues-von-osten/ (mein allerliebster Chemnitzer, Jan Kummer, könnte fast unter die Kategorie Handwerk fallen, aber auf sehr spezielle Weise)
    oder aber mein Artikel über Thomas Kapielski, den ich Spitze finde, gerade weil er sich einer Könnerschaft verweigert: http://www.jens-kassner.de/chemnitz/neues-von-osten/
    Muss ich noch erwähnen, dass mich große Teile der Streetart mehr begeistern, als viele offizielle Ausstellungen?
    Und in meinem Text über F-Stop ist von Handwerklichkeit an keiner Stelle die Rede, wieder so eine Unterstellung. Wenn Sie Kategorien wie handwerkliches Können mit Abbildlichkeit oder gar Schönheit (die ich bewusst in Anführungszeichen gesetzt habe) durcheinanderwerfen, ist jeder Diskurs, den Sie so intensiv einfordern, zwecklos. Da kann einer auf chinesisch reden und der andere auf arabisch antworten.

  7. admin sagt:

    „Schönheit und handwerkliches Können sind das beste an der Kunst. Kommerz ist ganz schrecklich und Galeristen sind elitäre Kapitalisten, besonders die Spinnereigaleristen.
    Wir verkaufen demnächst Kunst zu Bratwurstpreisen und all die Künstler, Aufbauhelfer, Rahmenbauer und anderen nachgelagerten Gewerke können dann vielleicht für die LVZ schreiben. Sie müssen ja schliesslich auch von irgendwas leben.“
    Geht es noch dümmer? Sie disqualifieren sich mit jeder Äußerung selbst immer weiter.Wer hat angefangen, von revolutionärem Potential zu reden?
    Um noch einmal auf Ihre geliebte Bratwust und deren Preise zu sprechen zu kommen. In einem meiner letzten Artikel, den über 5 Jahre LIA, habe ich erwähnt, das manche Leute aus den großen Kunstzentren recht biedere Malerei abgeliefert haben, dafür aber positiv hervorgehoben, dass die ukrainische Konzeptkünstlerin Lada Nakonechna der Deutschen Bank eine Zeichnung für 10 Euro verkauft hat – böse Kapitalisten!
    Im übrigen finde ich es geradzu unterirdisch, dass Sie ein eigentlich persönlich gemeintes Gespräch für Ihre Kampagnen missbrauchen. Wird bestimmt nicht wieder vorkommen, dass wir auf direktem Wege miteinander reden. Kann ja alles gegen den Angeklagten verwendet werden.

  8. Arne Linde sagt:

    Schon wieder haben Sie Recht.
    Ich habe wohl mittendrin einfach aufgehört, mir Mühe um tatsächliche Verständigung zu geben. Irgendwas sagt mir, dass das wohl sowieso nicht eintreten wird.

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