Schlachtenlärm ums Westwerk

Rettet das Westwerk! Das klingt dramatisch. Wann soll denn die Abrissbirne anrollen? Offensichtlich gar nicht. Dennoch gibt es Plakate und FB-Seiten mit diesem eindringlichen Appell. Eine Diskussion soll ebenso stattfinden wie eine Demo.
Im Dezember musste der Westpol Airspace ausziehen, nun haben auch Sublab und einige andere Mieter die Kündigung bekommen. Ja, das sind Verluste. Für das unmittelbare Umfeld, nicht die Stadt. Sebastian Denda bespielt unterdessen schon andere Lokalitäten und wird sicherlich auch mal den Westpol wieder eröffnen, wenn auch nicht mit solch einem großzügigen Platzangebot. Das Sublab wird ebenso eine Bleibe finden, Hacker sind ja eigentlich sowieso ortlos.
So sehr der Ärger der Betroffenen verständlich ist, so befremdlich klingt das Getrommel rundherum. Welche Forderungen wird die Demonstration verbreiten? Dass bei einem privaten Eigentümer weiterhin diverse Akteure quasi mietfrei bleiben können, nur die Nebenkosten zahlen? Und dass er außerdem auf die dringend nötige Sanierung verzichtet? Begleitet werden die Proteste von der üblichen revolutionsromantischen Phraseologie. Ein Ort von selbstorganisierter Kunst und Kultur sei das Westwerk. Selbstorganisiert? Auf meinen Kommentar mit dieser Frage bei Kreuzer online bekam ich die Auskunft, dass die Inhalte der jeweiligen Räume selbstorganisiert seien. Gleichermaßen selbstorganisiert ist dann das Leben in meiner Wohnung, wo ich bestimme, was gekocht wird. Trotzdem gehört die Wohnung einem badischen Eigentümer und ich muss marktübliche Miete bezahlen.
Wie bei manchen Wächterhäusern wird vom Begriff Zwischennutzung der Bestandteil “zwischen” unterschlagen. So nett es ist, Räumlichkeiten eine Zeit lang zu ausgesprochen günstigen Konditionen zu bekommen, so kann daraus kein einklagbares Gewohnheitsrecht abgeleitet werden.
Das herrschende System nennt sich Kapitalismus. Hier werden nun sozialistische Inseln eingefordert. Solche sind tatsächlich machbar, etwa in Form von Genossenschaften oder wie bei der unweit gelegenen Schaubühne Lindenfels als gemeinnützige Aktiengesellschaft. Selbstorganisation geht tatsächlich, fordert aber viel Engagement und Verantwortung ab. Denn ganz schnell wird klar, dass schon die Instandhaltung zu Mindestanforderungen Mittel verlangt, die irgendwie erwirtschaftet werden müssen. Wenn es dann um das ungeliebte Geld geht, kommen gerade von den ach so autonomen und freiheitsliebenden Selbstverwirklichern Forderungen nach einem Eingreifen der öffentlichen Hand.
Ganz schnell steht dann auch das böse Wort Gentrifizierung im Raum. Schon bei der unvermeidlichen Sanierung des Blocks an Grünewald- und Windmühlenstraße vor wenigen Jahren wurde es gehypt. Beim erzwungenen Westpol-Auszug stand es wieder in jeder Stellungnahme, nun natürlich erneut. Ja, hier findet Gentrifizierung statt. Das ist nicht zu leugnen. Doch die ursprünglichen Betroffenen solch eines Prozesses, die sozial Schwachen des einst arg heruntergekommenen Viertels, äußern sich nicht dazu. Vielmehr die Leute, die auf der Suche nach bezahlbarem Freiraum zugezogen sind. Das Gejammer erinnert an das Bonmot: Liebe Autofahrer, ich steht nicht im Stau, ihr seid der Stau! All die Pioniere, die Ateliers, Galerien, kleine Läden, Werkstätten, Cafés usw. eröffnet haben, sind der erste Schritt zur Gentrifizierung. Instinktiv haben das viele der Alteingesessenen schon vor zehn Jahren gespürt, ohne diesen Begriff überhaupt zu kennen. Mit Freibier und kostenlosen Stadtteilrundfahrten wurden sie bei den ersten Westbesuchen getröstet, dass sie garantiert keine Angst vor diesem neuen bunten Völkchen haben müssten. Nun lamentiert dieses Völkchen, dass es im Verdrängungswettbewerb unterliege. Wer Gentrifizierung anprangert, gehört mit 90-prozentiger Sicherheit zu deren Schrittmachern. Die restlichen zehn Prozent sind gut bezahlte Stadtsoziologen.
Ich habe das Wort zum ersten Mal vor fast 25 Jahren in einem Buch des damals noch existenten Verlages Reclam Leipzig gelesen. Da ging es um New York. Der Autor schilderte, wie diese Pioniere der Erschließung verlotterter Quartiere dann weiterziehen. Nun ist zwar Leipzig ein bisschen kleiner als NY, doch auch hier findet man noch Ausweichmöglichkeiten. Es wird eng in Plagwitz kann man gerade lesen. Na ja, sogar in Plagwitz und Lindenau scheint es weiterhin Alternativen zu geben. Geht man von der Westkarli Richtung Lindenauer Markt, sieht man viele wunderbar leere Räume, mit denen sich noch was machen ließe. Und dort findet man auch die Leute wieder, die sich vor zehn Jahren im Karl-Heine-Park zum Sterni-Leeren trafen.
Das wird nicht lange so bleiben. Schon entsteht an der vorderen Georg-Schumann-Straße der nächste Hotspot der alternativen Szene. Mit großer Sicherheit wird die Umgebung der Eisenbahnstraße der übernächste sein. Die Karawane zieht weiter, auch wenn einige ausreichend finanzkräftig gewordene Kameltreiber in den bisherigen Oasen verbleiben. Was danach kommt, kann man an der Südkarli betrachten. Günstige Mieten sind da nicht mehr zu haben, aber die Südvorstadt ist auch kein durchgestylter Erlebnispark für Wohlhabende. Keep calm.
Am 20. August 2016 erschien in der LVZ ein für solch ein Thema ungewöhnlich großer Artikel von Andreas Tappert unter dem Titel Was ist los in Lindenau?. Anlass war die Soziale Kampfbaustelle an der Gießerstraße. Darin beklagt ein arbeitsloser Teilnehmer dieses Camps, dass es hier immer mehr Läden mit teuren Angeboten gäbe. Stimmt. Aber Fairtrade-Angebote oder ökologisch erzeugte Nahrungsmittel sind nun mal teurer. An der Ecke Merseburger / Lützner gibt es Kik. Wunderbar billig. Auf Kosten nicht nur der Umwelt, sondern der Produzenten in Asien. Protestiert ihr dagegen? Nein? Dann seid ihr ehrenwerten Revolutionäre nichts anderes als dreckige Neokolonialisten.
Apropos dreckig. Vor einigen Monaten hatte ich mich ja hier schon über diesen Rap-Clown namens Rasputin aufgeregt, der Plagwitz bleibt drecksch in schickem Outfit proklamierte. Graffitis verhindern Mietsteigerungen, las ich vor Kurzem an einer frisch gestrichenen Lindenauer Hauswand. Nein, das tun sie nicht. Vergebliche Mühe. Damit machen sich die Weltverbesserer nur unnötig Feinde, die eigentlich ihre Verbündeten sein müssten.
Genug gekotzt. Was könnte man tun?
1. Differenzieren. Nicht jeder Privatinvestor ist ein skrupelloser Profitjäger. Wo das doch der Fall sein sollte, ist Widerstand berechtigt. Mit den anderen aber müssen Kompromisse unter der Prämisse einer ökonomischen Tragfähigkeit gesucht werden.
2. Investieren. Dort wo noch Freiraum ist, sollte man sich nicht auf lange Möglichkeiten der Nutzung zum Minimaltarif verlassen. Gemeinschaften bilden, um Immobilien zu erwerben, solange sie noch bezahlbar sind. Das ist dann wirklich Selbstorganisation.
3. Interagieren. Der Bio-Laden um die Ecke ist nicht der Feind der Besetzer von Bruchbuden. Feinde sind die gewissenlosen Ketten von Ramschware, die höchstens für den deutschen Schulabbrecher sozial verträglich sind, nicht aber für die Produzenten, die nie eine Schule gesehen haben. Darüber kann man sich im Austausch ohne Vorverurteilungen klar werden.

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12 Antworten auf Schlachtenlärm ums Westwerk

  1. g.h. sagt:

    < Selbstorganisation geht tatsächlich, fordert aber viel Engagement und Verantwortung ab.

    Der Schlüsselsatz dieses Artikels – danke dafür!
    Und diesen Satz allen ins Stammbuch, die jetzt rummaulen.
    Ja, man kann was tun:

    < 2. Investieren. Dort wo noch Freiraum ist, sollte man sich nicht auf
    < lange Möglichkeiten der Nutzung zum Minimaltarif verlassen.
    < Gemeinschaften bilden, um Immobilien zu erwerben,
    < solange sie noch bezahlbar sind.

    Genauso siehts aus.

    GH

  2. TG sagt:

    1. Es gibt kaum einen Unterschied zwischen den von Ihnen genannten „sozial Schwachen“ und den Künstlern/Kulturschaffenden, welche den Weg für die nachfolgende Kolonne aus Bars, Restaurants, Spekulanten und Wohlfühl-Wessis geebnet hat.
    1.1. Eben diese Künstler/Kulturschaffenden haben mitnichten die „sozial Schwachen“ verdrängt, sondern zumeist seit geraumer Zeit leerstehende Gebäude mit Leben erfüllt bzw. durch ihre Nutzung vor dem drohendem Verfall gerettet.

  3. admin sagt:

    In der finanziellen Situation mag es kaum einen Unterschied geben, mental aber schon. Und verdrängt haben die Künstler tatsächlich niemanden, das habe ich auch nicht behauptet. Aber sie haben einen Prozess der Aufwertung in Gang gesetzt, der schließlich zur Verdrängung führt – auch für sie selbst, weil die meisten eben nach wie vor nicht sehr finanzstark sind.

    • werner sagt:

      Die – für mich -wesentliche Frage bei all dem Gentrifidingsbums ist: wie können die stadtteilaufwertenden Künstler und engagierten, gestaltenden Kleinunternehmer es schaffen, die finanziellen Lorbeeren umwelt(=Stadtteil)verträglich zu kultivieren und selbst zu ernten?

      • admin sagt:

        Wenn es darauf eine einfache Antwort gäbe …. Einige schaffen es ja. Doch neben guter Arbeit ist dafür immer auch viel Talent in der Selbstvermarktung nötig. Insgesamt gesehen gibt es aber offensichtlich kein Rezept, kreative Anarchie und Freiräume dauerhaft zu sichern. Der Prenzlauer Berg ist heute völlig anders als vor 20 Jahren. Da hilft wohl nur weiterziehen.

      • G.H. sagt:

        Gründet Genossenschaften!
        Das ist eins der langlebigsten Geschäftsmodelle überhaupt.
        Jeder zahlt eine Einlage und besitzt damit einen Anteil.
        Jeder zahlt eine Umlage (die wird verbraucht) und hält damit den Laden am Laufen.
        Sowas in der Art meinte ich weiter oben mit dem Hinweis auf Selbstorganisation.
        Aber: man muß das WOLLEN, und es müssen viele wollen. Wenn aber, wie es dort scheint, viele jammern, gibt es da sicher Potential.

  4. kein Revolutionär sagt:

    Nur für die Vollständigkeit und da sie das bestimmt auch nicht gut finden, aber zu ihrem Abschnitt:

    „An der Ecke Merseburger / Lützner gibt es Kik. Wunderbar billig. Auf Kosten nicht nur der Umwelt, sondern der Produzenten in Asien. Protestiert ihr dagegen? Nein? Dann seid ihr ehrenwerten Revolutionäre nichts anderes als dreckige Neokolonialisten.“

    „Angriff auf Kik-Filiale in Lindenau“ – > https://linksunten.indymedia.org/de/node/137189

    • admin sagt:

      Das ist bezeichnend: Scheiben einschlagen und einen Feuerlöscher entleeren. Toll! Das werden die typischen Kik-Kunden garantiert verstehen. Das Netzwerk Leipzig fair kleiden hat zur Eröffnung von Primark im April vor dessen Türen einen Kleidertausch organisiert und Infomaterial verteilt. Das macht natürlich mehr Arbeit und ist nicht so erhebend wie Scheiben einschlagen.

  5. admin sagt:

    Auf der Internetseite „Leipzig – Stadt für alle“ wurde der Beitrag teilweise zitiert, verlinkt und kommentiert: http://leipzig-stadtfueralle.de/2017/01/30/schlachtenlaerm-ums-westwerk-jens-kassner/ . Meine zwei Kommentare, die ich geschrieben habe, wurden nicht freigeschaltet. Darum möchte hier etwas dazu sagen.
    Im Text heißt es „Diese kulturalistische Auffassung von #Gentrifizierung und diese Haltung, Künstler_innen und andere „Pioniere“ seien selbst schuld, wenn Mieten teurer werden und sie vertrieben werden, halten wir für ausgemachten Unsinn.“ Was in diesem Zusammenhang mit kulturalistisch gemeint ist, verstehe ich nicht. Ich habe nachgeschlagen und finde unter den verschiedenen Auslegungen des Begriffs keinen, der annähernd passen könnte.
    Von „selbst schuld“ habe ich nichts geschrieben. Schuld ist ein moralischer Begriff, den habe ich nicht benutzt habe. Die Künstler etc. tun das, was naheliegend ist: Sie suchen sich dort Räume, wo sie bezahlbar sind. Und wo eventuell schon Kollegen da sind, mit denen man dann auch mal schwatzen oder feiern kann. Ist eine kritische Masse erreicht, wird die Umgebung durch diese Konzentration aufgewertet. Nicht unbedingt durch Ateliers, aber auf jeden Fall durch Galerien, Kneipen und kleine Läden. Dann werden Investoren aufmerksam. Das ist ein nachweisbarer Fakt in etlichen Städten der Welt, kein Unsinn, auch keine Schuldfrage. Nur werden Fakten heute eben gern weggewischt.
    Ein Gegenbeispiel: Die Chemnitzer Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig wünscht sich die Gentrifizierung für Stadtteile wie den Sonnenberg herbei. Aber bitte gleich die zweite Phase, die mit den Investoren. Dieses unkontrollierbare Volk mit bunten Haaren braucht man nicht erst. Da aber die alternative Szene in Chemnitz schon lange ziemlich schwach ist, und Ansätze wie das Alternative Karree schnell plattgemacht werden, will und will die Gentrifizierung nicht wie gewünscht einsetzen. So bleibt Chemnitz eine „Stadt für alle“ mit Leerstand und günstigen Mieten, so wie die Redakteure von „Leipzig – Stadt für alle“ das wünschen. Bitte macht mal eine Dienstreise dahin!

  6. admin sagt:

    Noch eine Ergänzung. Gestern ließ eine sich Herderpark nennende Person bei Twitter ein ganzes Stakkato an Tweeds zu meinem Text los, war sich dabei auch nicht zu schade, in meiner Biografie zu wühlen. Da ich mir angewöhnt habe, nicht näher zu identifierende Kommentatoren sicherheitshalber in der weiblichen Form anzusprechen, hier eine knappe Entgegnung zu Frau Herderpark.
    Ich habe tatsächlich mal für die Immobilienwirtschaft gearbeitet, speziell für Wohnungsgenossenschaften, in Leipzig hauptsächlich für die Unitas und die Plattform von vier Genos, in Chemnitz für die SWG. Mir fällt gerade nicht ein, was mir daran peinlich sein muss. Im Moment habe ich keine Aufträge aus dieser Richtung, würde aber wieder welche annehmen.
    Ich würde Westwerk und Karl Heine zuspammen, steht da noch. Gemeint sind Plakate für einen Laden, der „Öko-Shirt-Kram im Off“ anbietet. Nette Formulierung. Was hier mit Off gemeint sein soll, weiß ich zwar nicht, aber ist ja auch nicht so wichtig. Danke der Nachfrage. Die Werbung ist nicht da, weil es nicht läuft. Vielmehr läuft es wegen der Werbung für diesen Öko-Kram. So wird eine Kausalkette draus. Alle möglichen Einrichtungen, sogar das kommunale Gewandhaus, pflastern die KH mit Werbung zu. Aber es gibt eben gute Werber und fiese Spammer. Apropos Spam. Auch wenn meine Internetseite Kunstszene Leipzig wegen des Zeitaufwandes für diesen politisch korrekten Ökoscheiß eingeschlafen ist, verbreite ich nach wie vor über die gleichnamige FB-Seite Werbung für Westpol und viele andere Galerien an gegenwärtig 1080 Abonnenten, wöchentlich kommen durchschnittlich 10 dazu.
    Mal sehen, wie ich denn helfen könnte, die Argumentationskette von Frau Herderpark wasserdicht zu machen. Also: Stasi-IM war ich nie, aber habe marxistische Politikwissenschaft studiert. Wäre das was? Oder so: Ich bin monogam heterosexuell, also stockkonservativ. Ist das nicht die passende Steilvorlage?

  7. admin sagt:

    Ach, ich hatte was vergessen. Ob denn unser Ökokram nicht selbstbestimmt sei, fragt Frau Herderpark. Klar, wir bestimmen selbst, welche teuren, da nicht aus Kinderarbeit stammenden, Textilien wir einkaufen und mit welchen Motiven wir sie bedrucken. Wir dürfen sogar festlegen, welche Kleiderstange wo steht. Ob aber Balkone angebaut werden sollen, wurden wir nicht gefragt. Andersherum müssen wir den Eigentümer, einen Jenenser Professor , fragen, wenn wir irgendwelche Werbemittel an der Fassade anbringen wollen oder auch nur idiotische Schmiererei beseitigen möchten. Nein, das Haus ist definitiv kein selbstorganisiertes Projekt, sondern ein privatwirtschaftliches, auf Rendite des von uns hier noch nie gesichteten Eigentümers ausgelegtes.

  8. Pingback: Zu den Guten gehören | Jens Kassner

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