Zugegeben: Ich empfinde als einen kleinen Verrat, dass Alfred Weidinger so schnell das MdbK wieder verlassen hat. In diesen knapp drei Jahren hat er aber vieles erreicht oder zumindest angeschoben, das hoffentlich Bestand haben wird.
In dieser Zeit habe ich vom Kunsthistoriker Frank Zöllner keine Kritik an der Museumsleitung gehört. Im Gegenteil. Vor einem Jahr durfte der Leonardo-Spezialist in dem Haus eine Schau mit dem vielsagenden Titel „Leonardo war nie in Leipzig“ zeigen, auf die man hier hätte verzichten können. Nun aber teilt er im Nachgang kräftig aus, gerade passend in der offenbar noch laufende Suche nach einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger. Was ihn dazu bewegt, verstehe ich nicht.
„Ein Museum ist kein Zirkus“ ist das gestern in der LVZ veröffentlichte Interview überschrieben. Bereits heute kontert Weidinger im gleichen Blatt „Ich bin lieber ein Zirkusdirektor als arbeitslos“. Arbeitslos wäre er sicherlich nicht geworden, hätte den Posten unangefochten bis zur Rente durchziehen können. Aber es hat ihn eben eine andere, noch größere Aufgabe gelockt.
Zöllner kritisiert bestimmte Vertragsklauseln (erfolgsorientierte Boni) als skandalös, obwohl heute auch Universitätsprofessoren wie Zöllner an der Fähigkeit zur Drittmittelakquise gemessen werden. Vor allem aber stört ihn der „Eventcharakter“ der schnellen Rotation von Dauerausstellungen. Wir leben im 21. Jahrhundert. Mit kleinbürgerlichen Kaffekränzchen vor einer Spitzweg-Idylle ist es vorbei. Ganz offiziell sind solche Einrichtungen, auch wenn sie kommunal oder staatlich sind, zu wachsenden Besucherzahlen gezwungen. Das hat er geschafft. Einerseits mit großen Namen wie Yoko Ono, auch mit etwas Populismus, wie der überflüssigen Lindenberg-Show, anderseits mit einer Vielzahl von neuen Formaten. Im Zündkerzenraum konnten sich ganz junge Künstlerinnen und Künstler ausprobieren, manche noch Studenten. Die zwei Ausstellungen zu Kunst in Zeiten von Social Media erregten überregionales Aufsehen. Auch die gegenwärtige Ausstellung „Zero Waste“ ist innovativ. Und „Point of no Return“ mit der überfälligen Aufarbeitung ostdeutscher Kunst in einer Zeit des Umbruchs wurde ein echter Erfolg, auch weil Weidinger es geschafft hatte, die sich konträr gegenüberstehenden Kuratoren Paul Kaiser und Christoph Tannert zur fruchtbaren Reibung zu bewegen.
Als bekannt wurde, dass der Direktor schon wieder gehen wolle, habe ich mich sehr über den Twitter-Post eines Kreuzer-Redakteurs aufgeregt, der da meinte, Weidinger habe nie Neugier auf die lokale Szene gehabt. Genau das Gegenteil ist der Fall. Gleich nach Amtsantritt hat er dutzende Leute zu Gesprächen eingeladen, auch mich. Er ist durch unzählige Ateliers getingelt und hat Residenzprogramme wie die Pilotenküche besucht. Bei einer Vernissage in der Kunsthalle der Sparkasse fragte er mich, wer denn dieser Hähner-Springmühl sei. Ich sagt ihm paar Sätze. Wenig später war er in Chemnitz und hat dessen Nachlass für das Museum gesichert. Nicht wenige Leipziger Künstler sind durch ihn erstmals zu musealen Ehren gekommen. Doch auch so scheinbar trockene Aufgaben wie die Digitalisierung der Bestände hat Weidinger angeschoben. Ebenso die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen bis hin zum Schauspielhaus.
Dass er nicht mit dem Bestand gearbeitet habe, wie Frank Zöllner bemängelt, mag für das erste Jahr seiner Regentschaft stimmen. Doch dann gab es die drei Impressionisten-Dokumentationen, die noch laufende Klinger-Huldigung, die Sonderschau zum Menschen in der Arbeitswelt oder auch die von Britt Schlehahn kuratierte Überblicksausstellung zur Leipziger Kunst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Alles Bestandsarbeit.
Des weiteren stört sich Zöllner an der Neugestaltung der Dauerausstellung mit farbigen Wänden und großer Beschriftung. Als in den neunziger Jahren erstmals Museen Wände farbig strichen, war die Empörung groß. Heute gilt das als Standard. Vielleicht steht manchmal die Schrift in Konkurrenz zu den Werken. Aber dann sind die Werke eben nicht stark genug. Sowieso wird die Dauerausstellung in einigen Jahren mal wieder neu gestaltet werden müssen. Da kann man manches anders machen. Gerade hier wurden mit der Betonung der Privatsammlungen aber auch Leipziger Besonderheiten hervorgehoben.
Klar, nicht alles ist gelungen in der kurzen Ära Weidinger. Viele Kataloge erschienen lange nach der Eröffnung der Ausstellungen oder gar erst hinterher. Oder gar nicht. Wie der zu Nelly Schmücking. Das ärgert mich persönlich, da ich einen Text dafür geschrieben habe. Und dann die Sache mit der Übermalung des Randes von Ben Willikens „Firmament“, die in lokalen Medien kaum beachtet wurde.
Vielleicht hat er zu viel selbst gemacht, zu wenig delegiert. Doch dann hört man ja hintenrum immer wieder angebliche Klagen von Mitarbeitern wegen Überlastung. Von den Beschäftigten des Museums, die ich kenne, habe ich davon nichts gehört. Und wenn: Bei meinem persönlichen Arbeitsalltag habe ich für die Leiden der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst kein Ohr offen.
Frank Zöllner sagt, die Ära von Hans-Werner Schmidt sehe er heute in „einem deutlich milderen Licht“. Mir geht es genau anders herum. Ich war schon damals kein Fan von Schmidt, nach der Erfahrung mit Weidinger, was in diesem Haus so möglich ist, möchte ich auf keinen Fall eine Rückkehr in die Mentalität eines Schlafwagen-Schaffners.
Was ich mir von einer neuen Direktorin/einem neuen Direktor wünsche?
- eine Beibehaltung der Dynamik, wenn auch manchmal weniger überdreht
- eine weitere Öffnung des Museums für alle Altersgruppen und Bevölkerungsschichten
- eine gute Mischung von Leipziger und überregionaler Kunst
- weitere Kooperationen, zum Beispiel mit dem Literaturinstitut (könnte ein schönes Buch mit Interpretationen von Kunstwerken werden)
- noch engere Verknüpfung mit der digitalen Welt
Und auch freien Eintritt, nicht nur einmal im Monat. Aber das liegt nicht in der Entscheidungshoheit des Museums.