Ich bin wütend. Am vergangenen Mittwoch war Voreröffnung des Konsum-Marktes im Westwerk. In der Nacht wurden da 52 Scheiben eingeschlagen. Am ersten Tag des offiziellen Betriebs bewarfen sogenannte Punks einen Kassierer mit Kartoffeln, waren aber wohl schon zu besoffen, ihn zu treffen. Das alles läuft unter dem Label „Kampf gegen die Gentrifizierung“. Offensichtlich wurden Fabrikarbeiter, die bisher in der Halle hausten, zwangsvertieben. Was für ein Schnulli.
Nach Ende der Produktion stand die heute als Westwerk bezeichnete Armaturen-Gießerei etwa zehn Jahre leer. Dann wurden mit diversen Nutzern, darunter Künstler, Mietverträge zu günstigen Konditionen abgeschlossen. 2017 begann die Sanierung, zeitgleich die Proteste gegen diese „Gentrifizierung“. Zur Erinnerung: Der Begriff bezeichnet die Verdrängung einer angestammten Bevölkerung aus einem Stadtgebiet, das „hip“ geworden ist. Im Westwerk gab es keine Stammmieter, die vertrieben wurden. Nur Zwischennnutzer, die selbst dazu beigetragen haben, die Umgebung „hip“ zu machen. Das soll kein Vorwurf sein, nur eine Feststellung.
Die Kampagne gegen die Sanierung wurde vor zwei Jahren vom Medien-Verbund L-Iz und LZ aktiv mit unsachlichen Argumenten unterstützt. Dazu habe ich damals was geschrieben. Im Kreuzer aber veröffentlichte Chefredakteur Andreas Raabe einen bemerkenswert ausgewogenen Artikel, der dann von den Westwerk-Aktivisten (oder außenstehenden Polit-Radikalen) beim Presserat erfolglos verklagt wurde.
Nun schreitet die Sanierung voran. Wo die Galerie Westpol war, gibt es jetzt einen Billardclub namens Mensa. Wo ein Getränkehandel war, wird heute schicke Interieur-Ausstattung angeboten. Wo ein Späti in einem Waggon stand, drehen sich heute Bau-Kräne. Verdrängung? Ja! Aber nicht der proletarischen Stammbevölkerung von Plagwitz, sondern der Pioniere der Aufwertung, ob sie sich nun selbst so sehen mögen oder wahrscheinlich auch nicht.
Nach den Ereignissen der letzten drei Tage, die mich indirekt auch selbst betreffen, habe ich etwas um mich geschlagen und diverse Personen oder Institutionen gefragt, was sie denn davon halten. Besonders solche, die bisher radikalen Widerstand gegen Gentrifizierung gut fanden. Rechtsanwalt und grüner Politaktivist Jürgen Kasek hat klar geantwortet, dass er es für eine Straftat hält und verurteilt. Die Landtagsabgeordnete der Linken Juliane Nagel hingegen fragt, warum ich sie denn anspreche. Warum wohl? Weil sie sich zu vorgeblich linker Gewalt selten distanziert. Also kommt da auch nur: Ich halte es für fatal dass d Westwerk jetzt Ort der Erweiterung – und Vergrösserungspläne eines Supermarkts ist und würde auch die progressive Gründungsidee einer Genossenschaft infrage stellen. Trotzdem stehe ich für Kommunikation stattEskalation. Und dann noch: Hat aber leider der Verwalter abgelehnt. Schade Wirklich? Kommunikation mit unbekannten Steine- und Kartoffelwerfern hat der Verwalter abgelehnt? Kann ich irgendwie verstehen.
Die Konsumgenosssenschaft wurde 1884 als eine Initiative der Arbeiterbewegung in Plagwitz begründet, hat an der Karl-Heine-Straße 1912 den respektablen Josef-Komsum errichten lassen, 1929-32 die gewaltige Zentrale an der Industriestraße gleich nebenan, als sie mehr als 60.000 Mitglieder hatte. Im Unterschied zu anderen ostdeutschen Regionen hat der Konsum Leipzig überlebt und sich im Konkurrenzkampf gegen die großen profitorientierten Ketten behaupten können. Erweiterungen stellen also die progressive Gründungsidee einer Genossenschaft infrage, Frau Nagel? Bitte beschäftigen Sie sich etwas mit der Geschichte der Genossenschaftsbewegung.
Als im Oktober letzten Jahres hinter dem Felsenkeller ein neuer Rewe-Markt eröffnete, wurden keine Scheiben eingeschlagen. Die Proteste beschränkten sich darauf, dass die versprochene Begrünung des Parkplatzes ausblieb. Das hat sich unterdessen verlaufen. Warum ist gerade das Westwerk Ziel idiotisch agierender Gentrifizierungsgegner (aka besoffene Punks)? Der Verwalter hat offenbar den Fehler gemacht, eine Zwischennutzung zuzulassen. Sollte man nicht tun. Besser gleich abreißen und Brachflächen für noch potentere Investoren schaffen, so wie nebenan beim Jahrtausendfed. Wer so etwas für sinnvoll hält, sollte sich aus meiner persönlichen Sicht nicht als links bezeichnen.
Warum ich wütend bin, bezieht sich zunächst auf diese asozialen Idioten, die dort ihren Frust auf was auch immer ungezielt ablassen. Danach aber auch auf die Politiker und Medienleute, die das Ganze angeheizt haben, jetzt aber unschuldig fragen: Warum ich? Warum nicht?