Alienation klingt viel bedrohlicher als das entsprechende deutsche Wort Verfremdung. Zu verfremden ist ein Grundzug der Kunst. So liegt es nahe, die Interventionen von HGB-Studenten im Grassi Museum für Völkerkunde, Nummer 1 der Serie Grassi invites, den Titel „fremd“ bekommt. Doch die Leuchtschrift „Alienation“ am Eingang zur Ausstellung weist noch auf eine andere Ebene des Verfremdens hin, die nicht vordergründig ästhetischer Art ist.
Als vor einem Jahr Nanette Jacomijn Snoep von Paris nach Sachsen kam, um den Dienst als neue Direktorin der drei staatlichen etnographischen Museen des Landes anzutreten, war gerade Pegida auf dem Höhepunkt. Die Angst wie auch die Abneigung gegenüber dem Fremden erreicht seitdem Ausmaße, wie man sie sich noch vor kurzem nicht vorstellen konnte. Nun stecken völkerkundliche Museen per se in dem Dilemma, die „anderen Kulturen“ vermitteln zu müssen, dabei aber auf der fragwürdigen Unterscheidung zwischen uns und den Anderen aufzubauen und dazu noch einem Denk- und Sammelschema voriger Jahrhunderte zu unterliegen.
Die so freundlich Eingeladenen nutzen diese Diskrepanz zu einer Radikalkritik aus. Zwar gibt es auch halbwegs unverbindliche Spielereien zu sehen. Gregor Peschko deklariert vorhandene Ventilatoren einfach zu Exponaten um. Der Titel „Frischer Wind“ ist dennoch respektlos.
Mehrere andere Studenten gehen aber sehr direkt auf den Zwiespalt ein. So weist Julia Zureck in „Mitteilungen aus dem deutschen Schutzgebiet“ darauf hin, dass die Sammlung von Makonde-Masken des Museumsgründers Karl Weule der deutschen Kolonialpolitik diente. Jamal Cazaré erschwert den Blick auf die Exponate zum Königreich Benin. Wie ein Voyeur muss man durch Schlitze gucken, um die Tafeln mit geschichtlichen Reliefs zu sehen. Sie hingen einst in den Straßen der Hauptstadt, bevor sie zu europäischer Kriegsbeute wurden.
Andere Interventionen thematisieren die anhaltende Verklärung des Exotischen in den Medien und in der Tourismusindustrie. Juliane Jaschnow lässt Szenen aus der Traumschiff-Serie als Dauerschleife rotieren.
Zwei Räume sind Arbeiten vorbehalten, die nicht in die bestehende Sammlung eingreifen, sondern quasi neue „Exponate“ darstellen. Marius Land platziert Teile der Innenausstattung eines Luxusaustos so an einer Wand, dass es wie eine Darstellung alter Werkzeuge aussieht. Auch die Vasen von Deborah Jeromin scheinen antik zu sein. Doch sie hat sie selbst hergestellt und mit heutigen Szenen aus dem Flüchtlingsalltag bemalt.
Visionen, wie denn ein Völkerkundemuseum sich von der kolonialen Last befreien könnte, fehlen zwar in dem Projekt. Doch die geballte Ladung an Infragestellung der Einrichtung an sich ist durchaus bemerkenswert. Irgendwie hat die neue Direktorin da wohl an ihrem eigenen Stuhl und den vieler Kollegen gesägt.