… ein weiterer Artikel. Und ein angehängter Widerruf. Volker Zschäckel hat zum Posting „Lüpertz und die Meinungsfreiheit“ einen Kommentar geschrieben, den ich auch freigeschaltet habe. Warum ich denn nur meine Mail an ihn veröffentlicht hätte, nicht aber seinen vollständigen Leserbrief an die LVZ, steht darin. Warum wohl? Weil er mir zuerst als private Mail zugeschickt wurde, nicht als Kommentar zum Posting. Kunstkritiker Jürgen Henne hat mal einen vollständigen privaten Mailwechsel zwischen mir und ihm ohne meine Zustimmung veröffentlicht. Solche Scheiße, die eigentlich strafbar ist, mache ich nicht.
Nun zum Inhalt. „Wenn Kunst privat finanziert wird, dann darf dem Autor nach alles im städtischen Raum aufgestellt werden – ein Glück, dass es vor vielen Jahren schlauere Leute gab, die den unsäglichen Entwurf der Frau Tucker-Frost nicht als Geschenk in Leipzig realisiert haben wollten. Da fehlte nämlich auch ein gewisses Können – für mich noch immer Voraussetzung für Kunst.“ ich bin auch froh, dass der Kitsch von Frau Tucker-Frost nicht aufgestellt wurde. Ebenso stimmte ich Volker Zschäckel zu, dass der in der LVZ protegierte Vorschlag einer Riesenkerze auf dem Augustusplatz einfach nur unsäglich ist.
„Wenn Kunst privat finanziert wird“, wie Zschäckel schreibt, dann muss man allerdings Kröten schlucken. Wenn ein privater Immobilien-Eigner oder Investor wieder einmal Michael Fischer-Art beauftragt, bunte Männchen an eine Fassade zu malen, kann man leider auch nichts dagegen unternehmen. Eigentlich geht es auch nicht um die Frage der Finanzierung, sondern um die des öffentlichen Raumes. Gerade in Leipzig, der Stadt unzähliger Passagen, ist die Definition problematisch. Lüpertz´ Beethoven steht im öffentlichen Raum, klar. Was ist aber mit dem Deckenbild im Café des Bildermuseums von Willikens? Man muss keinen Eintritt bezahlen, um in den Raum zu gehen. Also ist er öffentlich. Andere Kunstwerke sind noch öffentlicher. So Sylvie Fleurys Leuchtschrift an der GfZK. Ebenso Olaf Nikolais Besengarten nebenan. Wurde darüber eine Volksabstimmung oder zumindest eine im Stadtrat durchgeführt? Und zu den weiteren Kunstwerken im öffentlichen Raum, deren Zahl dreistellig ist? Sogar Gilles Gemälde im Gewandhaus-Foyer wirkt in den öffentlichen Raum, auch wenn man das Gebäude nicht betritt.
Wer darf über diese öffentlich sichtbaren Werke entscheiden? Bei öffentlicher Finanzierung natürlich ein demokratisch zustande gekommenes Gremium. Dieses ist dann allerdings nicht vor Irrtümern geschützt, siehe Leuschner-Platz-Denkmal.. Volksabstimmungen sind aber trotzdem nicht die bessere Wahl. Nicht bei Kunst, auch nicht bei Architektur. Sonst würden wir noch Zelten und Höhlen leben. Es sei nur an den Aufruhr erinnert, als der Eiffelturm errichtet wurde. Oder daran, dass van Gogh zu Lebzeiten nur ein Bild verkauft hat, heute aber in jedem zweiten Arzt-Wartezimmer hängt.
Darum kann ich auch nicht Britt Schlehahn zustimmen, die in der Februar-Ausgabe des Kreuzer schreibt: „So gehören Kunstwerke immer und zu jeder Zeit zum Gradmesser für Geborgenheit oder Unbehagen. Da legt sich dem kritischen Geist wahrscheinlich schon die Stirn in Falten, weil allein die Wahloption vor Ort zwischen Gut und Schlecht nicht zu existieren scheint.“ Wie schon die Autoren des Leserbriefes, Anlass meines ursprünglichen Artikels, macht sie keinen Unterschied zwischen Balkenhohls Wagner und Lüpertz´ Beethoven. Eben beides schlecht. Hat also nichts im öffentlichen Raum zu suchen, weil dort Geborgenheit simuliert werden muss, kein Unbehagen sein darf. So etwas in einem Medium der selbsternannten Gegenöffentlichkeit zu lesen, erstaunt mich als LVZ-Schreiberling. Der Autorititätsbeweis mit einem Zitat des Zeit-Kunstkritikers Hanno Rauterberg geht ziemlich daneben. „Stadtdekoration, die nicht stört“ wäre der Balkenhol-Wagner. Von wegen. Er stört gewaltig. Und das ist gut so. Was hingegen überhaupt nicht stört, ist beispielweise Lewandowskys Demokratie-Ei am Augustusplatz. Es sollte stören, unter anderem benachbarte Legida-Aufmärsche, tut es aber nicht.
Volker Zschäckel führt das künstlerische Können als Argument an. „Es druckt auch kein Verlag ein Buch, wenn im Manuskript nur pennälerhaftes Gestammel steht.“ Lesen Sie bitte in Kurt Schwitters´ Ur-Sonate hinein.. „Ich jedenfalls möchte mir kein Konzert anhören, bei dem die Solistin ihre Violine nicht beherrscht, selbst wenn es Anne-Sophie Mutter wäre – vergeigt ist vergeigt.“ Das Exempel ist nun typisch für ein Phänomen, dass ich in Ermangelung besserer Begrifflichkeit als selektiven Konservatismus bezeichnen möchte. Musik ist ganz selbstverständlich klassische Musik, Stichwort „Hochkultur“. Ich hänge mal einen Link zur Aufnahme eines bedeutenden Musikwerkes des 20. Jahrhunderts an. Zwischen fünfter und sechster Minute trifft da leider Lou Reed nicht ganz genau die Noten, die auf dem Papier stehen. Bitte finden Sie diese Fehlgriffe heraus!
Warum ich auf Volker Zschäckels Bemerkungen ausführlich eingehe, auf andere Leserbriefe nicht, steht da noch als Frage. Auf den Herrn Baake mit seinem Geschmackskonsenz bin ich doch auch eingegangen. Soll ich mich etwa noch mit Kornelia Mücksch beschäftigen, die das Bauhaus-Prinzip der Gleichmacherei in Bildermuseum und anderen Leipziger Bauten erkennen will, das sich nicht mit „Schönheit, Liebe, Heimkehr und Nestbau“ verträgt. „Mir sinn das Folg!“ dröhnt es mir da gleich in den Ohren. Nein, darauf will ich nicht ausführlich reagieren.
Doch auf das Argument des Könnens als Voraussetzung von Kunst im Brief von Zschäckel muss ich noch mal zurückkommen. Gerade wird 100 Jahre Dada gefeiert. Fast zeitgleich malte Malewitsch sein Schwarzes Quadrat, stellte Duchamp einen gekauften Flaschentrockner als Kunstwerk aus. Diese Konkordanz der Ereignisse geschah nicht voraussetzungslos, aus einem Zufall heraus. Auf den untalentierten Versager van Gogh habe ich schon hingewiesen.
Nun habe ich noch einmal in die Internetseite der Galerie am Sachsenplatz reingesehen und finde da unter anderem Arbeiten von Blinky Palermo. Herr Zschäckel, bitte erklären Sie dem besorgten Bürger, der diesen Beethoven eingeschmolzen sehen möchte, was das spezifische Können Palermos ist. Erklären Sie es ihm, der nie im Bildermuseum war und auch nie in der Galerie am Sachsenplatz, bitte wirklich überzeugend! Genauso überzeugend, wie die falschen Noten bei Velvet Underground. Ich bin gespannt. Das meine ich mit selektivem Konservatismus. Und das meine ich auch mit dem Legida-Duktus der (Unter-)Schreiber dieses Offenen Briefes. Die da oben haben uns, dem Volk hier unten, was vorgesetzt, was wir nicht wollen! Weg damit!
Schließlich gibt es noch einen Nachsatz zum Leserbrief, speziell an mich gerichtet: „Wenn Sie mögen, lieber Herr Kassner, können Sie mir gern noch erklären, wieso die Galerie am Sachsenplatz eine widerständige gewesen sein soll.“ Ich kann mich zwar genau erinnern, wie zum Beispiel Michael Morgnee nach 1990 das Herumwedeln mit Stasi-Akten für wichtiger hielt als die Kunstproduktion. Aber ein wirklicher Insider der Geschichte der Galerie bin ich tatsächlich nicht. Darum widerrufe ich hiermit offiziell meine Aussage, die Galerie am Sachsenplatz sei jemals widerständig gewesen und werde dies nie wieder behaupten.