Denkbare Bewegungsrichtungen der Mundwinkel

Die Möglichkeitsform heißt in der Grammatik Konjunktiv, haben alle mal gelernt, die nicht ausgerechnet an diesem Schultag mit Darmgrippe im Bett lagen. Viele Möglichkeiten zu Lächeln verspricht Udo Tiffert im Titel seines neuen Gedichtbandes, welcher im Eigenverlag der Veröffentlichung ausgewählter Lyrik in der berühmten Serie „Poesiealbum“ folgt.

Welche Möglichkeiten des Lächelns fallen einem auf Anhieb ein – das seelige, verträumte, ungläubige, schüchterne, entspannte, ängstliche … Wenn man Udo Tiffert auf der Bühne erlebt hat, weiß man, dass eher das laute Lachen seine Sache ist. Beim Publikum zumindest, er behält bei seinen trockenen Pointen eher ein unbewegtes Gesicht, damit den Effekt noch verstärkend.

Doch schon die vorherige Publikation zeigte, dass es bei ihm offensichtlich eine Aufgabentrennung zwischen den verschiedenen literarischen Genres gibt. Die Lyrik jedenfalls ist für das ganz Seriöse zuständig. Das Lächeln bleibt als Konjunktiv ein Versprechen. Das Lachen eher als zu erledigende Pflicht: Wenn du ihr Lachen liebst, / gib acht, daß sie lacht. Das müsste er eigentlich beherrschen, oder gibt es da auch noch eine Aufgabenteilung zwischen privat und öffentlich? Jedenfalls wirkt der Gesamteindruck mehr melancholisch als fröhlich. Klar, die Zeiten sind nicht gerade geeignet, vor Optimismus zu sprühen. Doch es sieht so aus, dass da in Udos Leben auch privat nicht alles rund läuft. Ich habe ihn schon paar Jahre nicht mehr persönlich gesehen, weiß nicht so genau, wie er sich fühlt. Sieht so aus, dass er nicht zu denen gehört, die im dauerregen / vögeln ohne zu verhüten. Ein Gedicht heißt „Der Liebe abschwören?“ Darin entschuldigt er sich mit Überarbeitung. Einschränken? / Den Trottel, der übrig bliebe / will keine Frau. Stimmt schon. Stimmt auch nicht, wenn man sich die Frauen erfolgreicher Trottel ansieht. Warum lebt er dann nicht einfach von der Stütze, tut sich den Aufwand an? was du kannst / was dein leben / bezahlen sie / dir nicht Schlichte, aber überzeugende Antwort. Wenn es das Leben ausmacht, zu schreiben, ist eine Bezahlung dafür durchaus wünschenswert, aber der Verzicht keine wirkliche Alternative.

Zwei Konstanten gibt es in den Gedichten. Eine ist die Nähe zur Natur. Kein Wunder, wohnt er doch in einem Nest nahe der Neiße, wo Görlitz schon als mondäne Metropole gelten muss. Nicht nur persönliche Befindlichkeiten sind in Metaphern aus Botanik, Zoologie und mehr noch Meteorologie eingekleidet. Die „Schlange im Schilf“ und der „Fisch im Himmel“ haben viele Verwandte in seiner Poetologie. Auch der kürzliche Sturm kann zur gerade hochaktuellen Frage nach Identitäten führen. Den Nachbarn am kaputten Zaum mit Handschlag und Vornamen zu begrüßen jedenfalls ist für ihn eine vorläufige Ablehnung dieser Fragestellung. Vielleicht hat er AfD gewählt? Möglich, in diesem Landstrich haben die Braunen mehr Stimmen als die Schwarzen geholt. Am Zaun spielt das erst einmal keine Rolle. In Udos Denken schon. Er hat mit Sicherheit weder braun noch schwarz gewählt. So wird auch der Flüchtlingsherbst 2015 zum poetischen Vergleich mit dem ungewöhnlich trockenen Sommer des Jahres in der Oberlausitz.

Eine zweite Konstante, weniger auffällig, dennoch unübersehbar, sind Bahnhöfe und Züge. Auch das muss nicht überraschen, entflieht Udo Tiffert seinem freiwilligen Eremiten-Status doch permanent mit öffentlichen Verkehrsmitteln, um an Lesebühnen und Poetry Slams teilzunehmen. Da kann es eben vorkommen, dass er eine junge Frau sieht, deren missionarischer Eifer ihn zwar nicht überzeugt, ihr Aussehen schon. Und auch die Schienenfahrzeuge transportieren für ihn viel mehr als Güter und Personen.

Im Vorwort verweist Udo mit sanfter Ironie darauf, dass er sich dem „verständlichen Traum vieler Lyriker“ hingibt, die Ernsthaftigkeit des Tuns durch Stilmittel wie Kleinschreibung und Verzicht auf Satzzeichen zu betonen. Das stimmt zum Glück nur partiell, ist auch höchstens scheinbar eine Aufwertung, nicht wichtig. Auffallend ist aber ein Verlust der Leichtigkeit zugunsten einer gewissen Resignation. Die Gedichte geben nur teilweise Aufschluss, was denn da passiert ist oder eben nicht. Das Lächeln jedenfalls verbleibt fast durchweg im Konjunktiv.

Udo Tiffert

Viele Möglichkeiten zu lächeln. 80 Gedichte

zu beziehen unter www.udotiffert.de

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