Befreit von Pynchon, kann ich mich endlich kleineren Werken zuwenden, was ich zunächst mal mit lokalen Schriftstellern tue. Da Jan Kuhlbrodts Buch „Schneckenparadies“ (Plöttner-Verlag 2008) autobiografisch angelegt ist, kann ich es aber nicht ausschließlich nach dem literarischen Eindruck bewerten. Ich kenne den Autor seit mehr als 20 Jahren und auch manche der auftretenden Personen.Der Einstieg in die Refektionen (als „Versuche“ überschrieben) verdeutlicht, dass Jan Kuhlbrodt diplomierter Philosoph ist: Vergangenheit beginnt. Und was wir erfahren, gehört ihr schon an, aber das, was wir Vergangenheit nennen, beginnt mit einem Verschwinden, mit dem Verschwinden eines Körpers vom Ort seiner Vergangenheit. Glücklicherweise geht es dann zumeist profaner in einer schnörkellosen Sprache weiter. Kuhlbrodt erzählt über sich selbst, nimmt aber Freunde, die ihm in den verschiedenen Lebensphasen wichtig waren, als Aufhänger. Thilo in der Karl-Marx-Städter Schulzeit, Bernd während des Studiums in Frankfurt. Im Mittelpunkt steht immer wieder die Politik – das Zerfallen der DDR, das Reiben am neuen großen Deutschland. Mit sanfter Ironie erinnert sich der Autor an seine Aktivität in linksradikalen Zirkeln, zunächst in Leipzig im Herbst 89, dann in der Bankenmetropole am Main. Ich habe selbst mal so eine hitzige Diskussion im Frankfurter Asta miterlebt und nicht ganz verstanden, worüber sich die jungen Aktivisten so ereiferten.
Insgesamt scheinen die biografischen Anekdoten nur die Folie für das Nachdenken über die Gesellschaft darzustellen. All zu fragmentarisch sind die Rückblicke, um ein rundes Bild der Persönlichkeit abgeben zu können. Und auch selektiv. Mit Ausnahme der Mutter, die in ihrer Plattenwohnung im Chemnitzer Yorkgebiet verharrt, spielen beispielsweise Frauen im Buch gar keine Rolle, anders als im realen Leben Kuhlbrodts.
Bezeichnend für die Schreibweise ist die titelgebende Metapher – die Schnecken wollen nicht in dem von Kindern in einer Zinkbadewanne für sie eingerichteten Paradies bleiben und brechen immer wieder aus. So wie hier eine kleine Alltagsgeschichte zum Symbol für große Politik wird, sind die Schnappschüsse aus dem Leben Jan Kuhlbrodts Hintergrundrauschen für die geistigen Konstruktionen.