Dass Autoren der Spokenwordszene sich an größere Formate wagen als die üblichen Fünfminuten-Tracks, ist schon keine Ausnahme mehr. Jochen Schmidts sechshundertseitiges Monumentalwerk Schmidt liest Proust ist da nur ein besonders auffälliges Beispiel. Frank Klötgen, Mitglied von Berliner Wald und Sänger von Marilyn´s Army, hat nun mit Der Fall Schelling einen „richtigen“ Roman veröffentlicht, nachdem schon 2004 sein interaktiver Krimi Spätwinterhitze auf CD erschien.
Ein erfolgreicher Schriftsteller, der jung an einem Hirnschlag starb, wird nach 17 Jahren auf Eis wieder ins Leben geholt, gerade in dem Moment, als der Sohn des leitenden Arztes Selbstmord begeht. Neben Schilderung der Fortschritte beim Rückerlangen der motorischen und psychischen Funktionalität des Erweckten scheint es in den ersten hundert Seiten des Buches um Fragen der ärztlichen Verantwortung wie auch um diverse Beziehungsgefüge zu gehen – zwischen dem Arzt Böger und seiner Ex-Gattin, zwischen ihm und dem konkurrierenden Kollegen, zwischen der Tochter des Schriftstellers und ihrem Teilzeitgeliebten ebenso wie zum auftauenden Vater etc. Doch dann passiert Überraschendes. Das Happy End fällt aus. Eigentlich gibt es gar kein wirkliches Ende, ähnelt doch der letzte Satz Ich war wieder zurück auffallend dem ersten Und ich war wieder da. Wer eigentlich lebt und wer tot ist, bleibt dem Leser überlassen.
Im Unterschied zu seinen düster-humorigen langen Gedichten und kurzen Stories bedient sich Klötgen in Der Fall Schelling einer betont sachlichen, fast trockenen Sprache ohne jeden Anflug von Satire. Auch das im ersten Abschnitt verwirrend erscheinende Gefüge schnell wechselnder Erzählperspektiven und Rückblenden löst sich bald auf zu einem übersichtlichen Tableau. Die Spannung resultiert also einzig aus der Handlung.
Wie üblich beim Verlag Voland & Quist liegt dem Buch eine CD bei. Was bei den Lesebühnen- und Slam-Anthologien essentiell ist, erscheint bei solch einem Roman aber verzichtbar. Allerdings sind neben Ausschnitten aus dem Buch als drei Bonus-Tracks auch Gedichte Klötgens enthalten, die eine seiner anderen schriftstellerischen Seiten demonstrieren.
Frank Klötgen
Der Fall Schelling
Voland & Quist Dresden/Leipzig 2010
ISBN 978-3-938424-47-6