Als vermutlich einziger hauptberuflicher Schriftsteller von Chemnitz hat es Hans Brinkmann eigentlich nicht schwer, der Beste der Stadt zu sein. Leicht macht er es sich trotzdem nicht, arbeitet intensiv an den Texten. Leicht macht es ihm auch diese Stadt nicht. Schon im zweiten Gedicht des neuen Buches Despotie geht er auf einige (nicht die einzigen) Probleme ein: Ist hier noch ein Bewohner nicht im Ruhestand? Was für die ganze Kommune mit immer noch rund 440.000 Menschen gelten könnte, bezieht sich aber nur auf den Plattenbau am Rande von City und Kaßberg mit der China-Küche im Erdgeschoss (Es stinkt herauf zum zehnten Stock, pikant, pikant.).Larmoyanz ist allerdings nicht Brinkmanns Grundton. Häufiger greift er an und ist dabei nicht zimperlich: Wörter wie Finger im Schlund sind´s. Erbrich dich!
Er bekennt sich zu einer gewissen Altmodischkeit. Zwar sind weder die Romantiker noch die Klassischmodernen seine Bezugspunkte. Doch nicht nur äußerlich erscheint er als ergrauter Hippie mit strähniger Mähne und runder Brille. Er mokiert sich über Handytöne und andere Geräusche des Zeitgeistes. Und er hat keine Angst vor Strophen, Endreimen, Rhythmen, Sonetten.Hinzu kommt eine Vorliebe für das Sezieren von Redewendungen, Sprichwörtern und Floskeln. Er entkleidet sie bis auf ihren (Un-)Sinn, auf dass dieser sicht- und hörbar werde. Mitten im Leben stehe ich im Wald. / Vor lauter Bäume stehe ich, die Vöglein schweigen.
Hans Brinkmanns Hauptthema ist das Gesellschaftliche auf einer angehobenen Ebene, nicht in den unmittelbaren Beziehungen von Menschen mit konkreten Namen zu suchen. Was heißt SM – Soziale Marktwirtschaft? Es ist kein Mitleid mit den „Sklaven“, die morgens aufstehen, um Dienst zu schrubben. Und mit den Sklaventreibern noch viel weniger. Auch wenn er feststellen kann, dass sich Lyrik nicht den Vorwurf der Warenförmigkeit gefallen lassen müsse, da sie unverkäuflich sei, will er auch nicht tauschen mit den vom Wertschöpfen Erschöpften, kann seiner Lage etwas abgewinnen: Das Prekäre an meinem Beruf / hat eine Auszeit genommen.
Auch wenn manche Gedichte lebenden Personen gewidmet sind wie den Malern Osmar Osten und Uwe Mühlberg, lässt sich aus der Auswahl von Texten aus vier Jahren, sauber datiert, herauslesen, dass die unmittelbaren Kontakte Brinkmanns zu Mitmenschen nicht all zu intensiv sein können. Die Emotionen des Hochhausbewohners verbleiben auf einer ziemlich abstrakten Ebene, der Sarkasmus richtet sich gegen soziale Gruppen, nicht Individuen von nebenan. Die Personalpronomen sind Chiffren für Rollenspieler.
Rund ein Drittel des Bandes nimmt das sogenannte Nachwort ein. In dem Essay beschäftigt sich Briknmann, ganz naheliegend, mit Sprache. Mit der Sprache der „Bildungsfernen“, mit der der Leistungsträger, der Computerexperten, der Werber und auch der dichtenden Kollegen, deren Sound lediglich durch Dichte beeindrucke. Dichte, ja, wirklich: Dichte. Sprachspiele pro Minute, die den anderen Monaden beweisen sollen, wie gut man darin ist, aus Kohlendreck Diamanten zu pressen. Bis nichts mehr brennt. Auch die eigene Sprache wird zum Gegenstand. Er erinnert sich an die schulische Aufforderung, Gelerntes mit eigenen Worten wiederzugeben und wundert sich immer noch darüber, dass Worte, die doch der Verständigung dienen sollen, jemanden gehören können, und sei es auch ihm selbst.