Wegen einer Lesetour des amerikanischen Autors Mark Greif, die auch in Leipzig Station machte, gab es kurzzeitig eine Welle in hiesigen Medien zu Greif und auch der Zeitschrift n+1, zu deren Gründern und Stammautoren er gehört. Von einer Neuerfindung des Essays war da die Rede und auch, wie schal doch hierzulande die Essayistik im Vergleich zu n+1 wäre.
Unterdessen habe ich die bei Suhrkamp erschienene Anthologie Ein Schritt weiter gelesen. Die Themen sind sehr breit aufgestellt – vom Abgewöhnen des Rauchens und dem Fitnesswahn bis zu Folter im Irakkrieg und zur Mimik des George W. Bush (wer war das doch gleich?). Die Auswahl der Texte stammt aus den ersten fünf Ausgaben der völlig abbildungsfreien Zeitschrift, erschienen zwischen 2004 und 2007. Nicht jeder Artikel hält der unterdessen eingetretenen historischen Entfernung stand. So erscheint es heute etwas seltsam, wenn da über die damals noch ziemlich neue Welle des Bloggens geschrieben wird: Es ist unbestritten, dass jeder die Möglichkeit hatte, vielen anderen seine besten Gedanken mitzuteilen. Jeder hätte ausführliche Rezensionen seiner besten Bücher und Platten ins Netz stellen können. Nur: es ist nicht passiert, zumindest nicht oft genug. Überhaupt geht die betonte politische Progressivität mit einer betulichen Abneigung gegen Emails, Handys und so weiter einher.
Am interessantesten wird es da, wo literarische Themen behandelt werden, vielleicht, weil Literatur per se etwas zeitloser ist als die neueste Kommunikationstechnik. Am besten finde ich Diana Abbott. Ein Lehrstück, worin Benjamin Kunkel die Bemühungen einer kalifornischen Teilzeit-Kritikerin aus gutem Hause darstellt, einen Artikel über J. M. Coetzees neuestes Buch zu verfassen, und wie auf diesem Umweg selbst die Literatur des südafrikanischen Nobelpreisträgers respektlos seziert.
Ansonsten sind es gerade die kleinen Alltagsbeobachtungen, die ab dem zweiten Heft unter der Überschrift Zur intellektuellen Lage erschienen. Die haben etwas von Blog-Postings der besten Sorte, aber das Bloggen mögen die Autoren ja nicht. In diesen Tagebucheinträgen treten sie nicht namentlich, sonder als das Kollektiv n+1 Research auf. Auch diese Marotte hat eigentlich etwas von der Anonymität des Netzes. Übertrieben selbstbewusst erscheint aber das „Research“ in diesem Titel, handelt es sich doch eher um literarische Miniaturen in der Nachfolge eines Walter Benjamin.
Ich kann mir vorstellen, dass die Zeitschrift frisch nach dem Erscheinen von den amerikanischen Intellektuellen verschlungen wird. Und auch diese Auswahl in Buchform lässt sich ohne Langeweile lesen. Aber eine Revolution des Essays? Vermutlich ist die gar nicht notwendig.