Jetzt geht´s los

Die öffentliche Ankündigung baut einen inneren Druck auf. Nun muss ich durch. Unterdessen bin ich mit Pynchon auf Seite 45 angekommen, ausreichend also für ein erstes Exzerpt. Eigentlich war ich schon am Donnerstag so weit, aber dann sind eben andere Sachen dazwischen gekommen, unter anderem gestern abend der Poetry Slam im Jenaer Kassablanca, der wie immer dort beeindruckend war (356 Besucher!).

Mit Thomas Pynchon hatte ich erste Berührungen in den Achtzigern, als mir das kleine Bändchen „Die Versteigerung von No. 49“ in die Hände kam. Und dann erwarb ich das von der Stadtbibliothek Chemnitz ausgesonderte grandiose Werk „V“ für drei Mark. Nun also ein spätes Wiedersehen mit „Gegen den Tag“.Im Jahr 1893 hebt das Luftschiff mit dem sicherlich selbst für diese Zeit ziemlich merkwürdigen Namen „Inconvenience“ (also Unbequemlichkeit oder so ähnlich) ab in Richtung Chicago, wo am Rande der Weltausstellung eben auch ein Luftschifftreffen stattfindet.

Es klingt sicherlich ausgesprochen besserwisserisch, gleich rumzumäkeln. Doch mir scheint, dass dem Übersetzer da schon auf der ersten Seite zwei Nachlässigkeiten unterlaufen sind. „Hurra! Wir fliegen!“ lautet einer der ersten Sätze. Nun wird aber jeder, der mal in einen Ballon oder ein anders durch leichte Gase aufgetriebenes Himmelsgefährt gestiegen ist, vom Lenker dieses Dingsbums umgehend darauf hingewiesen, dass es „fahren“ heißt und nicht fliegen. Und dann steht im nächsten Satz, das Luftschiff sei  wasserstoffbetrieben. Dieses Gas ist zwar in der Hülle, aber doch wohl nicht gleichzeitig zum Antrieb der Motoren?

Das Personal bleibt, solange die Inconvenience noch fährt, naturgemäß ganz überschaubar. Fünf sehr junge, teils noch minderjährige Kerle stellen das Team der „Freunde der Fährnis“: Commandant Randolph St. Cosmo, der Offizier Lindsay Noseworth (der als kleiner Fiesling eingeführt wird), der aus den Südstaaten kommende „Probekandidat“ Chick Counterfly (passender Name für einen Luftschiffer) und die beiden Gehilfen Darby Suckling und Miles Blundell. Letzterer erweist sich als ziemlicher Trottel. Außerdem gehört noch der Hund Pugnax zur Mannschaft. Der scheint schon ein richtiger Profi zu sein: „Mittlerweile selbst ein alter Hase der Luftschiffahrt, hatte Pugnax wie der Rest der Mannschaft gelernt, einem menschlichen Rühren dergestalt nachzugeben, dass er sich an die dem Wind abgekehrte Seite der Gondel verfügte, was Überraschungen unter der Bevölkerung am Boden zur Folge hatte, freilich nicht oft oder auch nur auffällig genug, als dass irgendwer den Versuch unternommen hätte, Berichte über diese urinalen Angriffe aus der Luft aufzuzeichnen oder gar zu koordinieren. Sie gingen vielmehr in das Reich der Folklore, des Aberglaubens oder vielleicht auch – wenn man den Begriff nur entsprechend weit fasst – des Religiösen ein.“

Außerdem liest Pugnax angeblich Bücher oder legt zumindest den Kopf auf wechselnde Seiten solcher.

Pynchon tut so, als wäre der Roman die Fortsetzung einer ganzen Reihe mit den Abenteuern jener Freunde der Fährnis und verweist immer wieder auf frühere Folgen. Ein erster Kunstgriff also.

Nach der Ankunft in der „weißen Stadt“, von der zunächst vor allem Schlote und riesige Schlachthöfe sichtbar werden, dröselt sich der Handlungsfaden auf, die Personnage vermehrt sich. Während Miles und Lindsay sich noch abends auf den Weg zur großen Ausstellung machen, treffen sich die Wache schiebenden Darby und Chick mit der Besatzung der „Blindlestiffs of the Blue A. C.“, darunter die hübsche und selbstbewusste Penny Black, die gerade zur Kapitänin des Schiffs aufgestiegen war. „Unser“ Kapitän letztlich ist auch in die Stadt gegangen. Doch nicht wegen der Expo, er sucht vielmehr eine zwielichtige Anwaltskanzlei auf. Dies wird zweifellos für die weitere Handlung des Romans noch von Belang sein. Ebenda fällt auch der so modern klingende Satz: „Antiterroristische Sicherheit wird hier mehr denn je großgeschriebn werden.“ Bezugspunkt ist dafür ein anarchistischer Bombenanschlag auf dem Haymarket.

Ich sehe mich gezwungen, von Jochen Schmidt zunächst die Kategorie „Unklares Inventar“ zu übernehmen, wo vorläufig zu finden sind:

Stag (an einen Stag gelehnt); Alfanzereien; levitieren; fintieren; Mr. Pivetts Embonpoint

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Eine Antwort auf Jetzt geht´s los

  1. Frank sagt:

    Hallo,

    seit 01.01.10 gehöre ich ebenfalls in die Riege der Pynchon-Leser und befinde mich im Sog von GdT (Gegen den Tag).
    Wie im Leben, so empfinde ich auch bei meiner Lektüre als überaus reizvoll, vor Herausforderungen zu stehen … Umfang und Komplexität des Textes, Satzstruktur, Vokabularien, … Da kommt mir das Opus Magnum von Pynchon gerade recht, dachte ich mir und schmökerte mich fest. Es war kein Fehler, dies zu tun!
    Bei der Recherche nach „Orangenphosphat“ stieß ich dann auf diesen Blog hier.

    Meine Frage ist zwar noch offen, aber ich kann bei der Klärung o. g. behilflich sein:

    Stag: feststehender Teil eines Segelschiffes
    Alfanzereien: Possenreißerei, [leichter] Betrug
    levitieren: sich erheben und frei schweben
    fintieren: eine Finte (Vorwand, Täuschung, Scheinmanöver) ausführen
    Embonpoint: Wohlbeleibtheit, Körperfülle; auch (scherzh.) für dicker Bauch

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