Als kleine Erholungspause im noch nicht ganz aufgegebenen KLP-Projekt habe ich erst einmal die Lektüre des Romans „Kalda“ von Edo Popovic eingeschoben. Zwar ist das Buch auch reichlich 280 Seiten dick, doch dafür brauchte ich deutlich weniger Zeit als bei einer vergleichbaren Seitenzahl Pynchon.Dabei ist der Text auch nicht gerade trivial. Die betont schnoddrige Sprache täuscht nur darüber hinweg, dass es sich um eine Gesellschaftsanalyse mit depressiver Grundtendenz handelt. Kalda – das ist der Familienname des Protagonisten und Ich-Erzählers. Seinen Vornamen erfährt man erst spät im Buch ganz beiläufig. So wird dieses „Kalda“ quasi zum Stempel. Er ist kein wirklicher Loser-Typ, aber auch das ganze Gegenteil der Machos seiner Umgebung, von denen er sich angezogen fühlt und dann doch ausreichend Distanz findet.
Kalda erzählt in verschränkten Zeitebenen von seinen Versuchen, sich im Leben des im Umbruch befindlichen Kroatiens zurecht zu finden. Da ist die kaputte Familie – eine schwache Mutter, ein irgendwo in Europa abgetauchter Vater, ein Stiefvater, dessen Hobby, aus Streichhölzern Bauwerke nachzubasteln Kalda für den Nachweis des totalen Proll-Status hält. Da sind die lange erfolglosen Versuche, sich Mädchen anzunähern, bei denen ihm offenbar das „Titten befummeln“ wichtiger ist als wirkliche Liebe. So ist es schließlich eine slowakische Nutte, die ihn spät in einem 50 Dollar teuren Quickie entjungfert. Verheiratet ist er dann mit Tamara, die er für eine armenische Inkognito-Königstocher hält und mit der er den Sohn David hat. Doch sie leben schon lange getrennt. Und es ist auch die berufliche Orientierungslosigkeit. Abgebrochenes Studium, Gastarbeiter in Deutschland, schließlich eher zufällig dann erfolgreicher Pressefotograf.
Kalda ist in psychiatrischer Behandlung, analysiert aber zugleich seinen Seelendoktor und durchschaut ihn besser als der ihn. Er scheint bemüht zu sein, schneller durchzudrehn als das kaputte Land um ihn herum, in welchem nach dem Zerfall Jugoslawiens über Nacht Klempner Minister und Fahrer Chefredakteure von Wochenzeitungen werden. Im Prozess des Verücktwerdens ist ihm sein Wohnungsnachbar, ein ehemaliges naturwissenschaftliches Genie, schon um einige Drehungen voraus.
Das Thema der Verwerfungen auf dem Balkan in den 1990er Jahren zwingt fast zum Vergleich mit dem Superroman „Wie der Soldat das Grammophon repariert“ von Sasa Stanisic. Doch diese Folie ist ungerecht. Popovic hat nicht die Eindringlichkeit und sprachliche Dichte von Stanisic, benutzt ganz andere stilistische Mittel.Der Krieg kommt erst ziemlich spät in das Buch hinein. Für den „Helden“ ist es eine hervorragende Verdienstmöglichkeit, als Fotograf das Elend zu verkaufen. Doch er ist sich des Zynismus bewusst, seine ohnehin nicht sonderlich starke Psyche bekommt einen weiteren Knacks. Gemeinsam hat Popovic mit Stanisic, dass sie sich jener Schwarzweißmalerei verweigern, die einseitig nur Serbien verurteilt. Und auch in diesem Roman wird nicht erklärt, wie denn dieser bescheuerte Krieg zustande kam. Kriege sind immer idiotisch, doch zumeist kann man die dahinter stehenden wirtschaftspolitischen Interessenlagen ausdeuten. Bei diesem Gemetzel unter ehemaligen Nachbarn, Freunden, Ehepartnern funktioniert das nicht. Auch Kalda findet keine Antwort.
Edo Popovic Kalda Voland & Quist Dresden 2008 ISBN 978-3-938424-27-8
Ebenfalls zu empfehlen: Popovics neues Buch „Die Spieler“. Das sind quasi drei kurze Romane mit mehreren Handlungsstränge in einem…