Wenn der Postmann einmal klingelt, kann er ein gar nicht bestellten Päckchen in der Hand halten. So vor reichlich drei Wochen. Drin war die Nr. 15 des poet, jener Literaturzeitschrift, die wie ein Buch aussieht und im Poetenladen erscheint, der seinen Sitz an der Blumenstraße im Leipziger Norden hat, leider nicht am benachbarten Poetenweg.
Wie immer ist das Buch, ähh die Zeitschrift, ordentlich gegliedert in Lyrik pur, Lyrik mit Gebrauchsanleitung, Prosa und poetologischen Anhang.
Der Lyrik-Teil beginnt mit Gedichten der israelischen Autorin Tal Nitzan, die parallel auch in hebräisch abgedruckt sind. Das dürfte für den allergrößten Teil der Leser nur Dekoration sein. Der eigentliche Schwerpunkt liegt aber sowieso, entsprechend dem Thema des vierten Teils, auf einer Peripherie, konkret der sorbischen. Bei den vier dafür ausgewählten Poeten/Poetinnen ist es nun wiederum schade, dass hier kein Simultantext in ihrer Muttersprache vorhanden ist. Bei solchen kleine ethischen Gruppierungen ist zunächst die Unterstellung griffbereit, dass jeder, der da literarische Texte schreibt, eben wegen des Minderheitenbonus in halbwegs demokratisch organisierten Ländern bessere Chancen hat, gedruckt zu werden als ein Angehöriger des Hauptvolkes. Die ausgewählten Beispiele zeigen aber, dass sich die Autoren mit den originär deutschsprachigen Kollegen messen können. Doch nur bei Róža Domašcyna kommt der Luxus der Zweisprachigkeit im Sound der Texte zum Tragen, und nur bei ihr sind auch regionalspezifische Themen zu finden. Ein Vorgriff: Ganz am Ende der … ähh Zeitschrift findet sich ein sogenannter Essay von Elke Erb, der alten Dame vom Prenzlberg, welcher eher eine multiple Buchrezension ist. Da geht es ebenfalls um die sorbische Sprache und das zugehörige Völkchen, ohne dass eine tiefgründige Erörterung in diesem bescheidenen Umfang möglich wäre. Persönlich gefärbte Streiflichter allenfalls.
Den Teil des poet, in dem ich teilweise erklärt bekomme, was ich von manchen Dichtwerken denn halten soll, mag ich wegen meiner angeborenen Schwierigkeiten mit zeitgenössischer Lyrik am meisten. Und diesmal bin ich von den Handreichungen Brauns und Buselmeiers auch wirklich angetan (während es früher manchmal nur biografische Fakten zum Verfasser waren). Das kann möglicherweise an der Auswahl liegen. Es geht los mit einem experimentellen Text von Simone Kornappel in Kreisform. Insgesamt aber fällt auf, dass von den zwölf besprochenen Werken immerhin fünf offensichtliche oder versteckte Reime haben! Eine Trendwende kann man daraus garantiert nicht ableiten, denn manche Gedichte sind schon gut abgehangen. Doch allein das Auswahlverfahren könnte auf Verschiebungen von Schwerpunkten hindeuten. Nun ist zwar Gereimtes keineswegs per se besser als das Pendant. Doch der damit verbundene Zwang zur Rhythmisierung macht das Ganze verdaulicher, selbst wenn man es nicht versteht. Dann ist es eben Musik. Ein besonderer Leckerbissen in diesem Teil ist die Ausgrabung eines Gedichts von Günter Grass aus seiner Frühzeit. Keine Reime, aber gut. Doch dann, da stimme ich mit Michael Braun überein, ging es beim Großkopf nur noch bergab bis hin zu den peinlichen Politstümpereien des Vorjahres, wo sich nicht nur die Zeilen brechen.
Bei den Prosatexten überwiegt Kurzes bis hin zur Zweisatzminiatur. Und es gibt im Unterschied zu anderen Zeitschriften und Anthologien ziemlich viel Welthaltiges. So etwa der Kampf um die Hackordnung in einer provinziellen Clique bei Verena Güntner, oder das Treffen sehr verschiedener Schwestern bei Nora Wagener. Beeindruckt hat mich der dichte und intelligente Text von Paula Schweers, die nicht viel älter als 20 ist.
Bei den Interviews im vierten Teil geht es dann eben um die Peripherie. Also werden Schriftsteller befragt, die nicht in den Metropolen leben, sondern abseits. Das ist zu relativieren. Aachen beispielsweise ist keine Kleinstadt und liegt dazu im verdichteten Dreiländereck. Aber zweifellos ist der Blickwinkel aus der Provinz etwas anders. Leipzig dürfte da wohl eine Mittelstellung einnehmen.