Es ist schon eine Weile her, dass ich zuletzt von einem Buch begeistert war. Nun ist es wieder passiert mit Der Anthologist von Nicholson Baker. Bakers „Held“ und Ich-Erzähler Paul Chowder ist ein amerikanischer Dichter jenseits der 50, der noch auf den großen Durchbruch wartet. Nun hat er eine Anthologie zusammengestellt und muss das Vorwort dafür schreiben. Daran scheitert Chowder, der im „normalen Leben“ ein Chaot und Tolpatsch ist. Seine Frau verlässt ihn, er muss Gelegenheitsarbeiten für Nachbarn übernehmen, um finanziell über die Runden zu kommen, und der Verleger wird wütend.
Paul Chowder, der selbst freie Verse schreibt, ist ein Liebhaber von gereimten Gedichten, weshalb die Anthologie auch Reim Allein heißt. Vor allem vierhebige Verse haben es ihm angetan und er findet sie überall. Sogar dreihebige Zeilen sind seiner Theorie nach eigentlich Viertakter, da man am Ende eine Pause mitsprechen muss. Um dies zu verdeutlichen, denkt er sich Melodien dazu aus. Und so sitzt er Tag für Tag auf seinem weißen Plastikstuhl lautstark singend in der Scheune, statt endlich das Vorwort zu schreiben.
Vor sich hin schwadronierend breitet Chowder seine eigenwilligen Vorstellungen zur Geschichte der englischsprachigen Dichtung seit Shakespeare und zur Verslehre aus. Seitenlang erklärt er spezifische Termini um dann zu sagen: „Vergessen Sie das, das muss man nicht wissen.“ Auch wenn das Buch wegen des spezifischen Themas wohl kein Bestseller werden kann, ist es sehr amüsant. So erklärt Chowder beispielsweise, was Enjambement ist: „Das Enjambement ist der Schlüssel zum ganzen Schlamassel. Das Wort leitet sich vom altfranzösischen „jambon“ ab. „Jambon“ ist der Schinken. Wann immer nämlich Pierre Ronsard oder einer der anderen französischen Troubadoure ein Enjambement verwendete, bewarf man sie mit Schinkenstücken.“ So ganz nebenbei bekommt der Leser trotzdem einiges an Fachwissen vermittelt, aber auch Anekdoten aus dem Leben mehr oder weniger bekannter Autoren. Noch nie habe ich so eine unterhaltsame Literaturtheorie gelesen. Erwähnt werden müssen aber auch Matthias Göritz und Uda Strätling, welche die komplizierte Aufgabe gemeistert haben, die englischen Verse adäquat ins Deutsche zu übertragen.
Nicholson Baker
Der Anthologist
München: C.H. Beck 2010
ISBN 978 3 406 59838 8