Ende September war ich bei Clauss Dietel (an den reaktivierten anderen Vornamen habe ich mich nie so richtig gewöhnen können). Es war freundliches Wetter. Zuerst saßen wir im Garten, Maria, seine so freundliche Frau, kam dazu. Dann zogen wir ins Atelier um. Tee und Kekse gehörten zum üblichen Angebot für Gäste. Schon seit Mai, als ich den Job bei der Freien Presse in Chemnitz angetreten hatte, wollte ich ihn besuchen. Das endliche Treffen war schließlich auch aus einem beruflichen Anlass erwachsen. Ich bat ihn um ein persönliches Statement zu 50 Jahre Marx-Monument, was er auf seine eigenwillige Art dann auch machte. Er erzählte mir, dass er wegen seines chronischen Asthmas gerade drei Wochen auf einer Nordseeinsel war und sich da gelangweilt habe. Einen kranken Eindruck machte er aber nicht.
Anfang Dezember rief er mich an. Nichts Dringendes. Er wollte mit mir über einige meiner Artikel sprechen. Ich stand aber gerade im Bahnhof, der Zug nach Leipzig fuhr ein. Er versprach, in den nächsten Tagen noch mal anzurufen. Er hat es nicht gemacht. Ich habe nicht zurück gerufen. Schade. Jetzt ist es zu spät.
Heute nachmittag gegen halb drei rief mich mein Chef an. Ich war gerade in meiner Sonnenberg-Absteige, wegen eines weiteren Versuchs, da Internet-Empfang hinzukriegen. Es gäbe noch unbestätigte Meldungen, dass Dietel gestorben sei, sagt er. 15 Minuten später war ich in der Redaktion, die Nachricht war unterdessen verifiziert. Das erschütterte mich, aber Job ist Job. Also einen offiziellen Nachruf schreiben.
Persönlich kennengelernt habe ich Dietel in den fortgeschrittenen 1990er Jahren. Ich war in einer ABM in der Neuen Sächsischen Galerie. Werner Ballarin, Gründungsdirektor der NSG, hatte eine kleine Buchreihe über Chemnitzer Künstler begonnen. Für das Heft zu Dietel suchte er einen Autor und fragte mich. Ich fuhr zu Clauss Dietel in sein Haus am Zeisigwald, wir unterhielten uns und wurden uns einig. Nicht viel später, ich hatte unterdessen eine selbstständige Existenz begonnen, erwuchs daraus der viel größere Auftrag, für die Retrospektive in der Sammlung Industrielle Gestaltung in der Kulturbrauerei auf dem Prenzlauer Berg den Katalog zu erstellen. Eigentlich sollte ich nur einen von mehreren Beiträgen schreiben. Aber die Zeit drängte. Hein Köster, Direktor des Museums, bat mich deshalb um die Gesamtherstellung. Dafür war dann natürlich eine noch viel intensivere Beschäftigung mit Dietels Werk und allgemein mit der jüngeren Designgeschichte nötig. Draußen versank die Welt im Jahrhunderthochwasser 2002, ich saß am Computer und schrieb und schrieb. Zuvor war ich auch nach Gera gefahren, um mit Lutz Rudolph, seinem langjährigen beruflichen Partner, zu sprechen. Irgendwie klappte es am Ende, das Buch war pünktlich fertig.
Was ich aber bei diesem Projekt schon feststellen musste, war die umwerfende Ignoranz des Westens gegenüber ostdeutscher Formgestaltung. Für eine Podiumsdiskussion zur Ausstellungseröffnung wurde Dieter Rams angefragt. Er reagierte empört, will sich doch nicht mit so einem Hinterwäldler auf eine Ebene begeben. Köster hatte mir gesagt, alle großen Medien würden über die Ausstellung berichten. Taten sie nicht, außer Design Report.
Mit Clauss Dietel blieb ich in Kontakt, es gab weitere Kooperationen und so etwas wie eine persönliche Freundschaft. Nicht in allem waren wir uns immer einig. Er hatte auch, wie jeder, bestimmte Marotten. Seine am Bauhaus orientierte Angewohnheit, alles klein zu schreiben und Hervorhebungen in Versalien machte seine originalen Schriftstücke schwer lesbar.
Dass er Feinde hatte und hat, musste ich auch erfahren. Manche warfen ihm vor, sich Gestaltungen zuzuschreiben, so beim Wartburg 353, die eigentlich von anderen stammten. Dazu soll es sogar gerichtliche Auseinandersetzungen gegeben haben. Andere warfen ihm seine Funktionen als Direktor der Schneeberger Fachhochschule und als letzter Präsident des DDR-Künstlerbundes vor. Ich glaube ihm, dass er in diesen Posten Freiräume erkämpfen wollte, war aber nicht selbst dabei. Manche behaupten das Gegenteil.Dass er ein Talent der Selbstdarstellung war, ist nicht zu bestreiten. Aber als freiberuflicher Produktgestalter in der DDR, einer von ganz wenigen, war das auch zum Überleben unverzichtbar.
Bis zuletzt hat er sich eingemischt, war streitbar. Doch meine Erfahrung war, dass man sich auch bei Meinungsverschiedenheiten immer sachlich auseinandersetzen konnte.
Es tut mir leid, dass ich in meiner neuen Tätigkeit in Chemnitz nicht die Zeit genommen habe, intensiver mit ihm zu diskutieren.
Ich hatte ihn noch kurz vor Weihnachten in der Stadt getroffen. Wir sprachen über die Bazillenröhre, dass die Eröffnung leider ohne ihn stattfinden musste wegen Corona, was wir aber nachholen würden. Über die Fertigstellung hat er sich gefreut.
Lieber Jens Kasssner, vielen Dank für den heutigen Artikel in der FP zum Tod von Clauss Dietel und auch für den vorigen, sehr persönlichen Text. Ich habe gestern noch in der rundmail des Stadtforums ihn als unser Mitglied und Mitstreiter, Freund und Lehrer gewürdigt. Er hatte uns im Juli durch seine Ausstellung geführt und das war ein wichtiger, bleibender Eindruck. Die letzte Zusammenkunft war coronabedingt im Freien bei einem Rundgang vom Roten Turm, entlang der neuen eins energie-Zentrale. Er hat sich wie auch wir über die abweisende Architektur dort aufgeregt. Unser Weg führte bis zum Bahnhof, wo wir über den Busbahnhof diskutierten. Seine letzte Äußerung zu den Stelen zu BERTOLT BRECHT in der Bückenstraße war leider daneben. Die dortigen Beschädigungen regten mich und Herrn Weingart auf, er meinte das wäre eben Patina. So war eben Clauss auch, er war immer bestrebt sich einzubringen… Wir werden sein Andenken in Ehren halten.
Dietel war
Mitglied des Zentralkomitees der SED und Vorsitzender des Verbandes bildender Künstler der DDR – mithin der höchste Kulturfunktionär nach Politbüromitglied Hager
Dietel war viele Jahre Mitglied der Bezirksleitung Karl-Marx-Stadt der SED – sicher seiner Karriere sehr förderlich
Dietel war von 1986 bis 90 Direktor der Fachschule für angewandte Kunst Schneeberg, erhielt dazu den Titel Prof.
Dietel sollte im Ehrenhain der Sozialisten auf dem Städtischen Friedhof begraben werden – er hat diesen schließlich gestaltet
Die Fakten, die Sie aufführen, sind bekannt und wurden weder von Dietel noch von mir je negiert. Soweit es Fakten sind. Wie seine Mitgliedschaft in der Bezirksleitung der SED seiner Karriere genützt hat, müssten Sie belegen. Mir ist dazu nichts bekannt. Professor wurde er bereits 1984. Und der Ehrenhain der Sozialisten ist keine Grabstätte, sondern eine Ehrung für Antifaschisten. Antifaschismus ist meiner Meinung nach heute immer noch sehr wichtig und gerade auch in Chemnitz nötig. Ihren Kommentar muss ich als Neid gegenüber einem Erfolgreichen werten, der sich seinen Erfolg allerdings hart erarbeiten musste.