There’s a new guitar in town

Leipzig bekommt eine neue Zeitung! Gedruckt! Auf Papier! Ok, eine andere verschwindet dafür, doch die bisherige Leserschaft von 3Viertel wird die Expansion auf das ganze Stadtgebiet und prospektiv darüber hinaus in die Weiten Mitteldeutschlands mit Wohlwollen zur Kenntnis nehmen. Genau dahin will das Blatt, das bisher einmal pro Quartal für Lindenau, Plagwitz und Leutzsch erschienen ist, nun wöchentlich unter dem Titel Leipziger Zeitung ausstrahlen. Das braucht Partner. Diese wurden mit Weltnest und Leipziger Internetzeitung gefunden.


 

Der Trend zur Wochenzeitung ist zeitgemäß. Bei einer Diskussionsveranstaltung des Kreuzer im Juni 2013 in Halle 14 wurde laut darüber nachgedacht, das Stadtmagazin in der Erscheinungsweise auf den Wochenrhythmus umzustellen. Die im Podium anwesende Chefin der Taz pries die neue Wochenendausgabe ihres Blattes auch als die mögliche Rettung für kriselnde Tageszeitungen an. Die Süddeutsche Zeitung erprobt unterdessen ein vergleichbares Format.

Eine Wochenzeitung für Leipzig – unabhängig, gut recherchiert, vielseitig – das hört sich toll an. Haben aber die drei Koalitionäre das journalistische wie auch wirtschaftliche Potential dazu? In Bezug auf das journalistische Können dürfte in diesen Trio wohl die L-Iz das meiste Gewicht einbringen

Doch auch da sind bisher die Rubriken spürbar verschieden gewichtet. Während es zu lokal- und regionalpolitischen Themen fundierte Recherchen und auch Meinungsäußerungen mit Biss gibt, sieht der Kulturteil doch ziemlich dürftig aus. Volly Tanner mag als Interviewer von Popmusikern zwar durchaus kompetent sein, wagt er sich aber ins Gebiet der Bildenden Kunst, wird es bescheiden. Und auch die Beiträge von Chefredakteur Ralf Julke auf diesem Gebiet sind eher harmlos. Natürlich kann er sich nicht auf allen Gebieten gleichermaßen auskennen. Doch gerade bei problematischen Themen wie der Image-Show der Deutschen Bank im Bildermuseum oder der umstrittenen Ausstellung „Die Schöne und das Biest“ am gleichen Ort verließen ihn doch seine kritischen Qualitäten in auffälliger Weise. Zudem werden in der L-Iz Preesemeldungen von Immobilienunternehmen wiedergegeben, ohne dass „Anzeige“ darüber steht.

Ok, vorab über ein Projekt zu urteilen, das an sich auf jeden Fall zu begrüßen ist, macht keinen Sinn. Allerdings geschah Merkwürdiges, nachdem ich auf der Internetseite dieser im Entstehen begriffenen „Leipziger Zeitung“ einen Kommentar postete, der nicht vollkommen in die Euphorie der anderen Kommentatoren einstimmte, sondern vor allem Wünsche nach einem starken Feuilleton und zugleich Zweifel an dessen Machbarkeit äußerte. Als ich paar Stunden später erneut in die Seite reinschaute, fand ich den Kommentar plötzlich nicht mehr, fragte deshalb in einem neuen Posting nach, ob denn das die neue Qualität des Journalismus sei. Ein User namens René antwortete, dass ich schon schauen müsse, unter welchen Artikel ich da eigentlich kommentiert hätte. Ich brauchte etwa eine Viertelstunde um herauszufinden, dass da wirklich zwei Beiträge ohne Überschrift aufeinander folgen. Als ich das dann erkannt hatte, gab ich den Lapsus zu, verbunden mit einer Kritik an der unübersichtlichen Benutzerführung. Es folgte ein Kommentar der Redaktion, dass dieser René gar nicht zu ihr gehöre, man meine kritischen Anmerkungen aber ernst nähme. In Ordnung.

Heute schaute ich nochmals in die Seite rein, nahm zur Kenntnis (nun wissend, wie  man da Grenzen zwischen Artikeln unterscheidet), dass sich auch beim ersten Beitrag die Zahl der Kommentare erhöht hatte und durfte feststellen, dass einer davon mir galt. Nicht von irgend einem Möchtegern-Redakteur, sondern in Versalien hervorgehoben als REDAKTION. Nun wird es spannend. Das scheint nicht die gleiche Redaktion von gestern zu sein. Offensichtlich besitzt das Hochhaus des neuen Verlages schon mehrere Etagen und der Fahrstuhl dazwischen hat Macken. Oder ein gestern gerade den Sonntag genießender Mitarbeiter kam heute aufgeregt hinzu um mitzuteilen, dass dieser Kassner doch ein ganz schlimmer Schreiberling dieser LVZ sei, also der Feind an sich. Und so heißt es nun unter anderem: Statt an der Erweiterung einer Medienlandschaft teilzuhaben oder Wohlwollen zu üben, sind ihre Unterstellungen unglaublich, dreist und mit Verlaub eine Frechheit. Ihre Unabhängigkeit haben Sie uns damit leider nicht unter Beweis gestellt.

„Wohlwollen üben“. Klingt gut. Klingt dämlich. Nein. Ich übe tatsächlich kein vorauseilendes Wohlwollen. Für 69 Euro soll man schon mal ein Abo abschließen, ohne klaren Erscheinungstermin, ohne Angaben zum Umfang der Zeitung oder deren Gliederung, ganz zu schweigen von einem erkennbaren Konzept. Bisher wird nur erläutert, wogegen man ist: die LVZ. Und ich als freier Journalist, der neben anderen Kunden auch die LVZ beliefert, bin ich eben Teil des Systems, das es zu bekämpfen gilt. Die einzige Tageszeitung ist am Ende, selbst die Bild Leipzig ist in vielen Belangen besser, sagt Moritz Arand von 3Viertel im ersten Leitartikel der Internetseite. Zu dieser Aussage bin ich eigentlich nicht kompetent genug mich zu äußern. Zum letzten Mal hatte ich BILD in der Hand vor etwa drei Jahren. Einer meiner damaligen Kunden, selbst Volksreporter des Blattes, drängte mich dazu. Nach zwei Minuten war ich immer fertig mit der Lektüre. Wenn das aber ein Qualitätsmaßstab der „Leipziger Zeitung“ ist, fällt mir das Einüben von Wohlwollen noch schwerer.

Statt an der Erweiterung einer Medienlandschaft teilzuhaben … steht da noch in der höchstredaktionellen Antwort. Ach ja, googeln Sie doch einfach mal, was ich außer der systemerhaltenden Schreiberei für die LVZ noch so tue.

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