Von Jahr zu Jahr verschiebt sich meine Rezension der aktuellen Tippgemeinschaft, dem Jahrbuch der Schreiblehrlinge am DLL. 2013 habe ich mir das Buch erst im Herbst gekauft, häppchenweise abends begleitend zu Crossing Jordan und anderen Aufregern gelesen. Nun, wo vermutlich schon die nächste Ausgabe in der Endredaktion ist, will ich mich endlich an das Durchhecheln machen.
Der Umschlag verheißt Mut zum Experiment. peng case impft hit steht da, die Buchstaben des Titels durcheinandergewirbelt, blau durchgestrichen. Auch das aus lauter Zitaten, entnommen den Einzeltexten, kompilierte Editorial deutet auf Lockerheit hin. Darum bemüht sich gleichfalls Clemens Meyer mit seinem Vorwort, doch es wirkt eben genau so: bemüht. Vielleicht musste er mit seinem neuen preiswerten Roman fertig werden, hatte nicht viel Zeit für solche Kinkerlitzchen.
Die Texte, die den eigentlichen Gegenstand der Anthologie ausmachen, kommen nur zäh in Gang. Wieder einmal banale Studien, wieder sterbende Großmütter, wieder ausgebreitete Befindlichkeiten. Mancher Text fängt gar an wie ein Schulaufsatz: Richard saß am Steuer seines Lkws, das Funkgerät knackte und aus dem Radio drang die Stimme eines Moderators. Es war früher Nachmittag, aber draußen war es düster … (Jens Eisel) Hauptperson, Ort, Zeit, Stimmung fein säuberlich aufs Tableau gestellt. Dass ein Komma fehlt, ist da schon unwichtig.
Die erste interessante Arbeit mit der Sprache kommt dann ausgerechnet von einer Ausländerin, der Polin Dagmara Kraus. Sie dekliniert die Namen der Wochentage auf originelle Weise in einer Art von Gedicht durch. Apropos Gedichte. Es sind erfreulich wenige in der Anthologie. Doch bis auf die gerade erwähnten ist es zumeist das übliche Geraune im Nebel. Wenn es dann doch einmal handgreiflich werden soll, geht es ins Auge: ein mädchen starrt beim oralsex aus dem fenster. Manuel Stallbaumer hat offensichtlich von Tuten und Blasen wenig Ahnung. Das Mädchen müsste bei derartigem Multitasking nämlich die Augen am Hinterkopf haben. Wie ich schon früher nicht nur einmal schrieb, sollten die Literaturstudenten mehr selbst ausprobieren, statt sich alles nur vorzustellen.
Auffällig ist bei unzähligen Texten die Zeile unter dem Titel: Auszug aus … Ich würde als Dozent den Schutzbefohlenen untersagen, Romane und andere Monumentalwerke anzugehen, solange sie die kleine Form nicht beherrschen. Um dies nachzuweisen ist solch ein Werkstattbuch genau der richtige Platz. Wer sucht denn hier Fragmente, die verkaufsfördernde Wirkung für Künftiges haben sollen?
Doch es finden sich auch lesenswerte Texte. Manche sind dies aus formalen Gründen, so das schräge Dramolett über einen Kommissar und ein altes Kind von Juliane Stadelmann. Andere sind es wegen der Story, beispielsweise die Beschreibung einer trinkfesten russischen Buchverkäuferin von Yuriy Nesterko.
Leider gibt es im Buch nur einen Beitrag, den man mit etwas guten Willen als Essay bezeichnen kann: Oliver Klucks Querverbindungen zwischen Effizienzmanagement bei VW und der Theaterarbeit. Kluck ist einer von sieben Ehemaligen, die mit einbezogen wurden. Wie schon im Vorjahr verstehe ich den Sinn dieser Ausweitung nicht. Ist die durchschnittliche Qualität der Arbeiten von noch Studierenden so mies, dass sie damit angehoben werden soll? Das gelingt nur bedingt.
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