Ich bin wütend. Gestern konnte ich vom Fenster des Arbeitszimmers beobachten, wie die Innenstadt und angrenzende Gebiete ab 14 Uhr dicht gemacht wurden. Wanne an Wanne, Stoßstange an Stoßstange. Raus durfte man noch, rein nur, wenn man sich als echte Leginelle darstellen konnte. Freunde, mit denen wir uns verabredet hatten, brauchten bis zu uns über weite Umwege von Schleußig aus etwa eine Stunde. Andere kamen gar nicht, hatten aufgegeben.
Wir liefen dann über Nürnberger und Querstraße zum Wintergartenhochhaus. Halb sechs waren da noch nicht sonderlich viele Leute. Als aber gegen halb acht die Leginellen vorbeimarschierten, war es voll und laut. Zuvor waren schon kleine Gruppen und auch einzelne Personen der Hoyer-Anhänger von mehreren Polizisten wohlbehütet zum Augustusplatz geleitet worden.
Durch das dichte Spalier von Wannen und Ninja Turtles waren dann heutige und ehemalige deutsche Fahnen zu sehen, auch russische und polnische und die sogenannte Stauffenberg-Fahne. Nach zehn Minuten war es vorbei, es können nicht mehr Leute gewesen sein als bei der Demo am Montag, wo wir auch waren.
Zur alten Hauptpost mussten wir einen weiten Umweg in Kauf nehmen, alles abgesperrt. Dort waren aber immer noch sehr viele Menschen.
Noch am Abend lese ich dann im Internet, dass nach Angaben von Stadt und Polizei bei Legida 15.000 Demonstranten gewesen sein sollen, bei den Gegenkundgebungen 20.000. Wie bitte? Wer hat Interesse an solch schamlosen Lügen? Die sächsische Gewerkschaft der Polizei hatte schon am Beginn der Woche klar gemacht, dass sie die Gefahr im „Aufstand der Anständigen“ sieht, also im Widerstand gegen Legida. Fein. Ist doch mal eine klare Ansage von den Vertretern der Exekutive.
Und dann diese ganz offensichtliche Fälschung der Zahlen. Auf Facebook sind schon bald Fotos zu sehen, aus denen klar wird, dass es kaum mehr als 5000 auf dem Augustusplatz gewesen sein können, während die Zahl der Gegendemonstranten, den von der Polizeigewerkschaft gefürchteten „Anständigen“ weitaus höher als die angegebenen 20.000 gewesen sein muss. Ich schaue in die FB-Seite von Legida rein. Da wird dann gleich mal von 18.000 geschwärmt und gefragt: Herr Jung, Frau Nagel, wann endlich pfeifen Sie ihre Roten Kampfbazillen zurück und hören auf unsere Kultur des friedlichen Gedankenaustausches zu verpesten? Kultur des friedlichen Gedankenaustausches. Das ist ein toller Witz, nur kann ich nicht lachen.
Heute morgen sehe ich auf der Internetseite des rechtsaußen-intellektuellen Kampfblattes Sezession rein, deren Chef Götz Kubitschek zu den Legida-Rednern gehörte. 20.000 hat er gezählt. Das ist bisheriger Rekord. Aber auch die LVZ übernimmt brav die offizielle Angabe von 15.000. Wäre es so schwer gewesen, eigene Fotoreporter auf umliegende Gebäude zu schicken, und dann mal Überschlagszählungen anzustellen?Das Zentrum von Leipzig gehört zu den am dichtesten von Videokameras überwachten Gebieten in der ganzen Bundesrepublik. Innovativer Journalismus könnte auch darin bestehen, diese angeblich zu unser aller Sicherheit getätigten Aufzeichnungen auszuwerten.
Fakt ist nun, dass ich mir lange Unterhosen kaufen muss. Habe gestern ziemlich gefroren. Und dank der unverfrorenen Lügen der Polizei werden die Nazis, die zu Recht den Staatsorganen ihren Dank aussprechen, nächste Woche wieder aufmarschieren. Die Innenstadt wird erneut zum No Go Area für Leute wie mich, die sich dem „friedlichen Gedankenaustausch“ verweigern. Wieder stundenlang rumstehen wegen einer Handvoll Rechtsradikaler. Dann werde ich aber erstmals ein Schild mitnehmen. Nicht für die Leginellen, die es sowieso nicht sehen können dank großzügiger Absperrung. Sondern für unsere Freunde und Helfer. Darauf steht: „Ich bin als 0,2 Personen zu betrachten. Die Leute hinter eurem Rücken sind jeweils fünffach zu erfassen.“
Ich bin wütend.