Wollen nur spielen

Es muss Jahre her sein, dass ich mir das Journal Spiegel gekauft habe. Warum es nun doch wieder vorgekommen, ist Nebensache. Positiver Kollateral-Effekt ist aber die Lektüre in der Beilage KulturSpiegel, wo sich der Artikel „Die Spieltheorie“ von Maren Keller findet. Da geht es um Spielplätze, die als eine Ghettoisierung von Kindern beschrieben werden. Stattdessen sollte die ganze Stadt ein Spielfeld für die Bewohner jedes Alters sein. Beispiele werden angeführt, so Madrid. Das gefällt mir. Wäre es nicht nett, wären die Wegmarken der Leipziger Notenspur von verschiedenen Möglichkeiten, selbst Töne zu erzeugen, begleitet? Oder Schaukeln, die unter dem Dach des Querbahnsteigs im Hauptbahnhof aufgehängt sind.

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Kräftige Farbe

Die Bezeichnung Indigo für das eigenartige Symptom, das seit den 1990er Jahren etliche Kinder und Jugendliche haben, ist eher Zufall, von den Visionen einer deutschen Esoterikerin stammend. Die von der rätselhaften Krankheit Befallenen, im Jargon Dingos genannt, haben selbst keine Beschwerden, allerdings die Menschen der Umgebung, die sich zu lange in ihrer Nähe aufhalten.

Obwohl Clemens J. Setz´ Roman Indigo in der Gegenwart spielt, ist es Science Fiction. Da gibt es Details wie iBalls oder iSockets, die aber keine tragende Rolle spielen. Vor allem aber gibt es jenes Indigo-Syndrom, dessen Träger in einer isolierten Internatsschule, dem Helianau-Institut, von der Umwelt abgeschottet werden, die aber auch untereinander das fiese „Zonenspiel“ veranstalten.

Dass ein Schriftsteller selbst in der dritten Person in eigenen Texten erscheint, ist nicht ganz neu, auch nicht die negative Darstellung. So hat Houellebecq sich in Karte und Gebiet auch zum richtigen Ekel gemacht. Setz ist in Indigo teilweise der Ich-Erzähler, der als Lehrer-Praktikant in die Helianau geschickt wird. Später dann wird er von außen als ein zunehmend geistig Verwirrter dargestellt, der einem Menschen die Haut abgezogen haben soll. Zuvor aber, nach seiner Kündigung als Lehrer, hat er Recherchen zur Krankheit betrieben und Artikel verfasst. Das Buch ist eine Collage aus angeblich aufgefundenen alten und neueren Berichten über außergewöhnliche Erscheinungen, Gesprächnotizen, Erinnerungen und verknüpfenden erzählerischen Passagen. So ergibt sich ein dichtes, mehrschichtiges Gefüge unterschiedlicher Sichtweisen, das Happy End aber fällt aus.

Ich war überrascht festzustellen, dass der in Graz lebende Schriftsteller gerade mal 30 Jahre alt ist. Indigo hat solch eine sprachliche Reife und Kraft der Imagination, auch in der Ausarbeitung von Details, dass ich mir einen Autor mit Jahrzehnten mehr Schreib- und Lebenserfahrung vorgestellt hätte.


Clemens J. Setz

Indigo

Suhrkamp 2012

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Aus der Konserve

Zur Buchmesse gab mir Andreas Eichler, der vor über 20 Jahren mal mein Kollege war, ein kleines, selbst verlegtes Büchlein. „Innokonservation. Erneuern und Bewahren“ nennt es sich. Also eine weitere der gerade so hoch im Kurs stehenden Fortschrittskritiken. Doch dass gerade Zweifel an Wachstum, Moderne, Progress von Autoren unterschiedlichster politischer Ausrichtung in Buchform gebracht werden, kann er wohl nicht wissen. „Ich warte lieber ab, was wirklich bedeutsam ist, meide deshalb Neuerscheinungen grundsätzlich.“ Und ein Fernseher kommt ihm auch nicht ins Haus. Weiterlesen

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Trügerische Beruhigung

Am Donnerstag, erster Tag der Buchmesse, sah es ungewohnt leer aus in den Hallen. Am Ende wird nun doch ein neuer Besucherrekord gemeldet und die LVZ titelt sogar: Branche tankt neues Selbstbewusstsein. Gab es da mal eine Krise des Verlagsgewerbes? Auffällig und immer wieder wundersam ist jedenfalls, wie trotz des erschlagenden Überangebotes viele Veranstaltungen überfüllt sind. Außer an etlichen Lesenbühnen draußen im Messegalände habe ich das am Donnerstag in der MB zur Langen Lesenacht gespürt, dann auch am Sonnabend zur Diskussion von Harald Welzer und Daniel Cohn-Bendit. Ich dachte, fast allein im Saal des Neuen Schauspiels zu sein, als ich 20 Minuten vorher da ankam. Doch der war schon voll, ich konnte einen der letzten Stühle aus der benachbarten Gaststätte erwischen, die später Gekommenen mussten stehen oder auf dem Fußboden sitzen.

Überrascht war ich aber auch, dass das Thema Urheberrecht, das im Vorjahr so im Mittelpunkt stand, jetzt scheinbar uninteressant geworden ist. So als hätte es da eine sinnvolle Klärung gegeben statt des bescheuerten neuen Leistungsschutzgesetzes. Es lebe das Kurzzeitgedächtnis!

Aber Driftbewegungen sind schon unübersehbar. Die eine ist die immer stärkere Betonung der Gestaltung (nicht nur) von Büchern. Die erstmalige Vergabe eines Preises für Druckgrafik ist ein Symptom dafür, aber auch die vielen Stände von Kunsthochschulen, Illustratoren und so weiter. Die andere Bewegung geht logischerweise in Richtung E-Book und Selbstpublizieren. Auch dazu gab es einen neuen Preis für erfolgreiche Selbstvermarkter.

Im Gegensatz dazu habe ich von vielen Schriftstellern, darunter ganz jungen, in den Diskussrunden immer wieder die Beteuerung gehört, dass ihnen nie ein Lesegerät vor die Augen geraten werde, so beispielsweise einhellig von sämtlichen Podiumsgästen bei der Diwan-Sendung von BR2 am Freitag. Das wirkt dann ziemlich asterixmäßig.

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Noch so eine Generation

Die Liste der mit einem bestimmten Titel versehenen „Generationen“ ist um einen Eintrag reicher. Sabine Rennefanz hat ihr den Namen Eisenkinder gegeben. Der Untertitel nennt sich Die stille Wut der Wendegeneration. Ziemlich willkürlich wird damit die Altersgruppe eingegrenzt, die in der Zeit von Mauerfall und Vereinigung zwischen 8 und 16 Jahre alt war, im soziologischen Sinne also nicht einmal eine halbe Generation. Weiterlesen

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Bookzapping I

Er ließ das Badewasser ab, indem er ein Loch in die Wanne machte. Der geneigte hellgelbe Fliesenboden des Badezimmers leitete das Wasser zu einem Abfluß, der genau über dem Schreibtisch des Mieters in der unteren Etage lag. Dieser Colin, der nach dem Bad noch die Ränder seiner schlaffen Augenlider mit einer Nagelschere schräg schnitt, hat mich erschüttert. Vor 25 Jahren. Weiterlesen

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Theorie und Praxis

Statt immer nur Kunst zu kritisieren, habe ich mich am Sonntag mal selbst an der Produktion eines temporären Kunstwerkes beteiligt:

Tatort Clarapark

Tatort Clarapark

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Retrospekte Tiefen

1. Wollt zur Hauptpost gehn, Telegramm an Omi aufgebn. Beides nich finden könn. Omi ist tot.

2. Tamagotchi füttern! schreck ich nachts auf, sieben nach halb drei. Obwohl kein Gewimmer, wälz ich Stunden schlaflos.

3. Bin doch kein Deezuch, sag ich zur drängelnden Tochter. De, de, de? Ist wohl son Ostzeuch? sagtse, holt sich nen ICE-Tee.

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Schwillt er noch?

Als vor zwanzig Jahren, im Heft 6/1993 des Hamburger Journals „Der Spiegel“, ein Essay des Schriftstellers Botho Strauß unter dem Titel „Anschwellender Bocksgesang“ erschien, war die Aufregung groß. Nicht wegen der Sprache. Dass Bocksgesang eine Übersetzung des griechischen Terminus Tragödie ist, wussten klassisch Gebildete schon. Und einen Artikel mit mehreren Nebensätzen zu beginnen, denen der Hauptsatz fehlt, darf man einem Poeten zugestehen. Doch der apokalyptisch raunende Ton des Textes, dieses verschwommen-düstere Andeuten, gehören schon zur Aussage dazu.

Ein Skandal war der Text nun auch nicht wegen der impliziten Kritik am ökonomischen Wachstum. Das hatte der Club of Rome schon zwei Jahrzehnte zuvor präziser getan – viel beachtet, doch folgenlos.

Das Unerhörte bestand vielmehr darin, dass Strauß ausdrücklich in Anspruch nimmt, dass man in Deutschland sich wieder als Rechter bezeichnen darf, ohne dass automatisch das Prädikat extrem angehängt wird: „Der Rechte – in der Richte: ein Außenseiter. Das was ihn zutiefst von der problematischen Welt trennt, ist ihr Mangel an Passion, ihre frevelhafte Selbstbezogenheit, ihre ebenso lächerliche wie widerwärtige Vergesellschaftung des Leidens und des Glückens.“ Somit ist auch das Feindbild umrissen – die Linke. Damit ist nicht die sich damals PDS nennende Partei gemeint, sondern die gesamte liberale Mehrheitsgesellschaft inklusive der Medien, angeblich erfüllt von Hass auf alles Deutsche. „Intellektuelle sind freundlich zum Fremden, nicht um des Fremden willen, sondern weil sie grimmig sind gegen das Unsere und alles begrüßen, was es zerstört (…).“ So als wisse Strauß nicht um die geschichtliche Herkunft der parlamentarischen Gesäßgeografie, verlässt ihn hier sogar seine Sprachgewalt: „Seltsam, wie man sich `links´ nennen kann, da links von alters her als Synonym für das Fehlgehende gilt.“ Da es jedoch nur wenige unverbogene „Abgesonderte“ wie ihn gibt, die den „Gewalten des Blödsinns“ heroisch widerstehen, sieht Botho Strauß die Katastrophe schon wetterleuchten.

Was ist aus der Sicht des Jahres 2013 aus seinem Fanal geworden? Seiner persönlichen Karriere hat es, trotz vieler Anfeindungen und Boykottaufrufe, nicht ernsthaft geschadet. Strauß gehört zu den häufig gespielten Dramatikern und vielverlegten Erzählern des Landes.

Auch wenn er den Text wohl gar nicht als Manifest verstand, hatte er doch diese Wirkung. Ein reichliches Jahr später erschien mit „Die selbstbewußte Nation“ ein Sammelband, in dem sich die von ihm Inspirierten zusammenfanden. Die Liste der Autoren reicht von Rüdiger Safranski bis Hans Jürgen-Syberberg, von Ernst Nolte bis Michael Wolffsohn. Nur der Kunstkritiker der FAZ, Eduard Beaucamp, hat seinen Beitrag für die Zweitauflage zurückgezogen. Als Pendant zu den verhassten 68ern sah sich die Männerriege als die Generation der 89er, auch wenn erst in den Folgeauflagen des Buches mit Steffen Heitmann und Wolfgang Templin zwei Ostdeutsche hinzukamen, die einen individuellen Bezug zum Epochenumbruch haben, der mit dem Datum 1989 assoziiert wird. Dass man heute nachschlagen muss, was denn mal diese 89er waren, bedeutet nicht, dass sie keine Spuren hinterlassen hätten.

Die heutigen Neuen Rechten sind hin- und hergerissen zwischen dem romantisierten Dasein des einsamen Waldgängers, wie von Strauß wortreich ausgemalt, und dem Anspruch auf Vertretung der wahren Interessen des Volkes. An den Themen hat sich wenig geändert, auch wenn der 1993 noch nicht so relevante Anti-Islamismus heute im Vordergrund steht. Ansonsten aber die ewige Klage um den Verlust der Werte, die Dekadenz der Hedonisten, die Medien im Würgegriff der Linken, die Überfremdung der deutschen Kultur. Im Ringen um die Hegemonie im vorpolitischen Raum, einen beim Marxisten Antonio Gramsci entlehnten Begriff, sind sie keinen Schritt voran gekommen. Neuester Hoffnungsträger sind deshalb die „Identitären“, eine Jugendbrigade, die gleich wieder mal als eine Generation bezeichnet wird. Sieht man dann Berichte über deren öffentliche Aktionen, sind selten mehr als zwanzig Leute zu erkennen.

Wer nicht selbst mit den Neuen Rechten sympathisiert, könnte sich angesichts des verhallenden Bocksgesangs also beruhigt zurücklehnen. Doch der Blick zu Nachbarn zeigt, dass es nur einer charismatischen Persönlichkeit wie Le Pen, Haider oder Wilders bedarf, um Massen zu mobilisieren, die noch nie von Spengler, Jünger oder Botho Strauß gehört haben.

(Erstveröffentlicht in der Leipziger Volkszeitung)

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Großkopf

Da ich ja immer noch nicht weiß, was ich werden will, wenn ich mal groß bin, habe ich vorgestern mit Interesse festgestellt, dass „Global Head of Art“ eine Bezeichnung ist, die man auf der Visitenkarte stehen haben kann. So nennt sich bei einem großen, ganz großen Kreditinstitut dieses Landes der Mensch, der für Einkauf und Bewahrung von Kunstwerken zuständig ist. Ich würde es mit Erdiger Kunstkopf übersetzen.

In der bedeutendsten, da einzigen Fernsehzeitung der DDR, der „FF dabei“ gab es neben der Ankündigung mancher Radiosendungen ein Symbol, das wie dieser ägstliche Roboter bei Star Wars aussah. Es bedeutete Kunstkopf-Stereophonie. Da wurde dann ein Pappkamerad mit anatomisch korrekt geformten Ohrmuscheln, in denen sich Mikrofone befanden, in den Konzertsaal gesetzt. Die hohe Kunst des Abhörens! Der Arbeitstag jenes Global Head of Art ist vermutlich aufregender.

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