Ziemlich überrascht war ich, als vor
etwa zwei Wochen eine Anfrage kam, ob ich eine Diskussion nach der
Lesung von Max Czollek aus „Desintegriert euch“ in den
Kunstsammlungen Chemnitz moderieren könne. Ich fragte erst einmal
zurück, ob denn Czollek damit einverstanden sei. Nein, war er nicht.
Keine Überraschung für mich.
Trotzdem war es ein Anlass, das Buch überhaupt erst mal zu kaufen und zu lesen. Im vorigen Jahr hatte ich mir vor dem Urlaub als Lesestoff „Gegenwartsbewältigung“ zugelegt und dann besprochen – kritisch, aber freundlich. Und in diesem Sommer habe ich ziemlich viele Artikel gelesen zur Auseinandersetzung Maxim Biller-Max Czollek, wer denn eigentlich ein Jude sei.
Zu Beginn dieser heftigen Kontroverse
habe ich auf Twitter Max Czollek direkt gefragt, warum es ihm denn so
wichtig sei, als Jude gelten zu wollen. Nach der Lektüre von
„Desintegriert euch“ weiß ich, dass dies eine ausgesprochen
naive Frage von mir war. Darum kam auch keine Antwort.
Jetzt weiß ich, dass Czolleks ganzes Weltbildbild darauf beruht, Jude zu sein und mit Infragestellung dieser Identität zusammenstürzt.
Das Laufen über geparkte Autos als Protest gegen den ausufernden individuellen Verkehr und speziell das Zuparken von Fuß- und Radwegen wurde vermutlich erstmals von Michael Hartmann 1988 in München praktiziert. Falls dabei Schäden am Fahrzeug entstehen, kann die Aktion strafrechtlich verfolgt werden. Hartmann bot deshalb Seminare an, um Interessierte im legalen Carwalking zu schulen.
Carrotmob
Bei
dieser Sonderform des >Smart Mob werden mittels heutiger
Kommunikationsmedien Teilnehmer aufgerufen, in einem bestimmten Laden
massenhaft einzukaufen. Mit dem Ladeninhaber wurde zuvor
abgesprochen, dass er einen Teil des so entstandenen Umsatzes in
ökologische Sanierungsmaßnahmen zu investieren. Im Unterschied zum
bestrafenden Boykott schafft dieser „Buykott“ positive Anreize,
so wie die Karotte vor der Nase eines Esels. Daher die Bezeichnung.
Clowning
Beim
G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 wurden erstmals in Deutschland
Demonstranten, die mit Seifenblasen und Wasserpistolen gegen die
Polizeikordons vorgingen, durch die Medien wahrgenommen.
International ist die Clandestine Insurgent Rebel Clown Army (CIRCA)
schon länger aktiv. Sie tritt, mit Staubwedeln „bewaffnet“, wie
eine militärische Formation auf, um Polizeifahrzeuge symbolisch
abzustauben.
Clownerie
oder zumindest die Verkleidung von Teilnehmern an Demonstrationen und
Kundgebungen in Clownskostümen haben ambivalente Wirkung. Wegen
ihres spaßigen Charakters können sie zur Deeskalation beitragen
oder genau das Gegenteil bewirken, weil die Vertreter der
Ordnungsmacht sich eben nicht ernst genommen fühlen.
Kauf-Nix-Tag
Der
letzte Freitag (USA) oder Samstag (Europa) im November wird seit
einigen Jahren von konsumkritischen Organisationen als Buy Nothing
Day begangen. Eigentlich ist dieser „Black Friday“ mit
Rabattaktionen der Handelsketten einer der umsatzstärksten Tage des
Kalenderjahres kurz vor Weihnachten. Durch Verzicht auf jeden Einkauf
an diesem Tag soll das kapitalistische Konsumverhalten in Frage
gestellt werden.
Masseneintritt
in Partei
1998
versuchten Berliner Studenten auf Initiative Rudi Hielschers,
massenhaft in die FDP einzutreten, um sie zu unterwandern und
politisch neu auszurichten. Der Versuch scheiterte zunächst. Drei
Jahre später setzte sich der Parteivorsitzende Guido Westerwelle für
die Aufnahme der Rebellen ein, die auch umgesetzt wurde. Zu einer
inneren Veränderung führte dies allerdings nicht.
Reclaim
the Street
Die
„Rückeroberung der Straße“ ist Protest gegen die Privatisierung
des öffentlichen Raumes oder die Vereinnahmung des Stadtraumes durch
den motorisierten Verkehr, kann aber auch darüber hinausgehende
politische Forderungen verbreiten. RTS findet zumeist in Form nicht
angemeldeter Straßenfeste, Karnevals, Konzerte oder auch als
Fußballspiel auf einer Straßenkreuzung statt.
Eine Sonderform ist >Critical Mass. Eine andere spezifische Aktion ist der No Parking Day, der in vielen Ländern am dritten Freitag im September begangen wird. Anwohner und andere Aktivisten verwandeln Parkspuren von Straßen temporär in öffentlich nutzbaren Raum. Manchmal wird Rollrasen ausgelegt, manchmal sind es nur Absperrungen, um auf dem gewonnen Platz Sitzgelegenheiten, Spielplätze und Picknicks zu organisieren und Feste zu feiern.
Jens Kassner: Wörterbuch des Protests. Von Ablehnung bis Ziviler Ungehorsam. Norderstedt: BoD 2021, 8,99 €. ISBN 978-3753491936
Dass mein Blogbeitrag ernsthafte
Resonanz finde, hatte ich nicht erwartet. Die Zugriffe auf den Blog
sind bescheiden, auch meine Follower-Zahlen auf Facebook und Twitter
sind weit entfernt von dem, was man Influencer nennt. Doch durch
Retweets einiger Nutzer mit hoher Reichweite kam eine Lawine ins
Rollen. Das Archäologiemuseum Chemnitz hat die Zusammenarbeit mit
Ines Bruhn aufgekündigt. Die Westsächsische Hochschule Zwickau, zu
der die Abteilung Angewandte Kunst Schneeberg gehört, hat die
Überprüfung arbeitsrechtlicher Schritte angekündigt.
Dazu muss ganz klar gesagt werden: Es gibt definitiv KEINE Konsequenzen, weil Frau Bruhn sich nicht impfen lassen will und das öffentlich darstellt, SONDERN weil sie Vergleiche der gegenwärtigen Freiheitsbeschränkungen mit Diffamierungs- und Vernichtungsmaßnahmen im NS-Regime gleichsetzt.
Es gibt Trottel und es gibt intelligente Menschen. Natürlich etliche Zwischenstufen. Zu den intelligenten Menschen habe ich mal den Chemnitzer Künstler und Hemdendesigner Gregor Torsten Kozik gezählt. Vor drei Jahren musste ich dann eine andere Erfahrung machen. Obwohl er mit einer dunkelhäutigen Venezolanerin verheiratet war (dass sie gestorben ist, habe ich erst später erfahren), hat er sich nach Rechtsaußen begeben. Pegida und Pro Chemnitz, vom sächsischen Verfassungsschutz als rechtsextrem eingeordnet, gehören zu seinen politischen Favoriten.
Noch etwas mehr überrascht war ich heute am Morgen, als ich von Prof. Ines Bruhn auf Facebook einen Post sah, den ich nicht glauben konnte. Ich trank erst mal noch einen Kaffee, schaute noch einmal hin. Tatsächlich. Sie postet ein Bild aus dem NS-Regime, eine Frau mit dem Schild um den Hals „Ich bin aus der Volksgemeinschaft ausgestoßen“, auf einem öffentlichen Platz an den Pranger gestellt. „Für alle, die 3G, 2G oder 1G gut finden“, schreibt Bruhn dazu.
Am 14. September veröffentlichte das Renk-Magazin eine „Öffentliche Stellungnahme“ zu der einen Monat zuvor begonnenen Kontroverse zwischen den Schriftstellern Max Czollek und Maxim Biller. 278 Intellektuelle unterschrieben die Stellungnahme. Wer sie initiiert und verfasst hat, wer angefragt wurde wegen einer Unterschrift, weiß ich nicht. Manche der Unterzeichner kenne ich persönlich, andere schätze ich als Autorinnen und Autoren. Ich hätte nicht unterschrieben.
Vor drei Monaten habe ich den neuen Job
bei der Freien Presse in Chemnitz angetreten. Der Start war etwas
holprig, den Arbeitsvertrag habe ich aus verfahrenstechnischen
Gründen erst am ersten Arbeitstag gekriegt. Nun war eigentlich nicht
vorgesehen, dass ich nun sofort was abliefern soll. Doch am
Wochenende war bekannt geworden, dass der Architekt Helmut Jahn
gestorben ist. Also wurde es doch ein Aufmacherartikel am ersten Tag.
Auf dieser Seite gab es mal eine Rubrik mit ähnlichem Namen. Die ist nun verschwunden, weil daraus ein gedrucktes Buch geworden ist. Es erscheint als Book on Demand mit der ISBN 9-783753-491936.
Abends gegen sieben, das Handy klingelt. Ein Redakteur der LVZ ist dran. Ob ich nicht morgen schnell einen Nachruf auf Erasmus Schröter schreiben kann. Kann ich, aber nur deshalb, weil ein Gespräch mit meinem neuen Arbeitgeber gerade abgesagt wurde. Es gibt noch Verzögerungen beim Vertrag. Also liefere ich am nächsten Tag 120 Zeilen ab, pünktlich und exakt. Wie gewohnt in den letzten zehn Jahren. Der vorletzte Text. Den letzten über Frenzy Höhne in der ODP-Galerie hatte ich selbst eingerührt.
Dass ich anfing für die LVZ zu schreiben, war eher Zufall. Ich erwähnte 2011 auf Facebook, dass ich gerade meine letzte Ausstellungsrezension für den Stadtstreicher Chemnitz abgeliefert habe. Da fragte mich Meinhard Michael, ob ich nicht auch in Leipzig mal was schreiben wolle. Gern. Ironie der Geschichte war, das Michael einige Wochen später vom damaligen Chefredakteur geschasst wurde. Das wollte ich nicht, aber ich profitierte davon.
Caroline Fourest setzt sich scharf mit den linken Identitären auseinander
Sie ist Frau, lesbisch, links.
Eigentlich könnte es sich die Französin Caroline Fourest bequem in
der Opferrolle einrichten und rumjammern. Doch sie hat schon zu viele
Idiotismen der dogmatisch-linken Identitären erlebt und über noch
viel mehr sorgfältig recherchiert und legt mit Generation
beleidigt eine scharfe Abrechnung mit diesen Sektiererinnen und
Sektierern vor.
Gestern kämpften Minderheiten gemeinsam gegen Ungleichheiten und patriarchale Herrschaft. Heute kämpfen sie, um herauszufinden, ob der Feminismus „weiß“ oder „schwarz“ ist. Bei all diesem Differenzieren in immer kleiner Opfergrüppchen, die in den Wettbewerb miteinander treten, gerät die Frage der sozialen Ungerechtigkeit immer mehr in den Hintergrund, auch wenn gerade von Leuten, die wohl Marx nie gelesen haben, der Begriff Klassismus als neuester Scheiß in die Welt gesetzt wurde. Caroline Fourest sieht diese neue Spaltung als einen Generationenkonflikt. Kann sein, das würde aber nichts Gutes bedeuten. Bei dem Konflikt um Wolfgang Thierses Äußerungen deutet sich solche ein Kampf Alt gegen Jung aber tatsächlich an.