Wegsehen und schweigen?

Ein Nachtrag zur Causa Bruhn

Dass mein Blogbeitrag ernsthafte Resonanz finde, hatte ich nicht erwartet. Die Zugriffe auf den Blog sind bescheiden, auch meine Follower-Zahlen auf Facebook und Twitter sind weit entfernt von dem, was man Influencer nennt. Doch durch Retweets einiger Nutzer mit hoher Reichweite kam eine Lawine ins Rollen. Das Archäologiemuseum Chemnitz hat die Zusammenarbeit mit Ines Bruhn aufgekündigt. Die Westsächsische Hochschule Zwickau, zu der die Abteilung Angewandte Kunst Schneeberg gehört, hat die Überprüfung arbeitsrechtlicher Schritte angekündigt.

Dazu muss ganz klar gesagt werden: Es gibt definitiv KEINE Konsequenzen, weil Frau Bruhn sich nicht impfen lassen will und das öffentlich darstellt, SONDERN weil sie Vergleiche der gegenwärtigen Freiheitsbeschränkungen mit Diffamierungs- und Vernichtungsmaßnahmen im NS-Regime gleichsetzt.

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Eine Stimme der Volksgemeinschaft

Es gibt Trottel und es gibt intelligente Menschen. Natürlich etliche Zwischenstufen. Zu den intelligenten Menschen habe ich mal den Chemnitzer Künstler und Hemdendesigner Gregor Torsten Kozik gezählt. Vor drei Jahren musste ich dann eine andere Erfahrung machen. Obwohl er mit einer dunkelhäutigen Venezolanerin verheiratet war (dass sie gestorben ist, habe ich erst später erfahren), hat er sich nach Rechtsaußen begeben. Pegida und Pro Chemnitz, vom sächsischen Verfassungsschutz als rechtsextrem eingeordnet, gehören zu seinen politischen Favoriten.

Noch etwas mehr überrascht war ich heute am Morgen, als ich von Prof. Ines Bruhn auf Facebook einen Post sah, den ich nicht glauben konnte. Ich trank erst mal noch einen Kaffee, schaute noch einmal hin. Tatsächlich. Sie postet ein Bild aus dem NS-Regime, eine Frau mit dem Schild um den Hals „Ich bin aus der Volksgemeinschaft ausgestoßen“, auf einem öffentlichen Platz an den Pranger gestellt. „Für alle, die 3G, 2G oder 1G gut finden“, schreibt Bruhn dazu.

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Eine endlich erlaubte Frage

Am 14. September veröffentlichte das Renk-Magazin eine „Öffentliche Stellungnahme“ zu der einen Monat zuvor begonnenen Kontroverse zwischen den Schriftstellern Max Czollek und Maxim Biller. 278 Intellektuelle unterschrieben die Stellungnahme. Wer sie initiiert und verfasst hat, wer angefragt wurde wegen einer Unterschrift, weiß ich nicht. Manche der Unterzeichner kenne ich persönlich, andere schätze ich als Autorinnen und Autoren. Ich hätte nicht unterschrieben.

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Drei Monate später

Vor drei Monaten habe ich den neuen Job bei der Freien Presse in Chemnitz angetreten. Der Start war etwas holprig, den Arbeitsvertrag habe ich aus verfahrenstechnischen Gründen erst am ersten Arbeitstag gekriegt. Nun war eigentlich nicht vorgesehen, dass ich nun sofort was abliefern soll. Doch am Wochenende war bekannt geworden, dass der Architekt Helmut Jahn gestorben ist. Also wurde es doch ein Aufmacherartikel am ersten Tag.

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Neun erstaunliche Wahrheiten über Leipzig

  • Im Leipziger Hauptbahnhof fahren auch Züge ab
  • Leipzig ist nicht Berlin
  • Leipzig ist kein Vorort der Europäischen Kulturhauptstadt Chemnitz
  • Im Gewandhaus kann man keine Klamotten kaufen
  • Leipzig ist nicht Klein-Paris
  • Die Höfe am Brühl haben keine Höfe
  • Michael Fischer-Art heißt eigentlich Michael Fischer, ist kein Künstler und wohnt nicht in Leipzig
  • In der Leipziger Schule kann man kein Abitur machen
  • Der Erfinder des Begriffs Hypezig ist Hallenser
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Wörterbuch des Protests

Auf dieser Seite gab es mal eine Rubrik mit ähnlichem Namen. Die ist nun verschwunden, weil daraus ein gedrucktes Buch geworden ist. Es erscheint als Book on Demand mit der ISBN 9-783753-491936.

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Chemnitz–Leipzig und zurück

Abends gegen sieben, das Handy klingelt. Ein Redakteur der LVZ ist dran. Ob ich nicht morgen schnell einen Nachruf auf Erasmus Schröter schreiben kann. Kann ich, aber nur deshalb, weil ein Gespräch mit meinem neuen Arbeitgeber gerade abgesagt wurde. Es gibt noch Verzögerungen beim Vertrag. Also liefere ich am nächsten Tag 120 Zeilen ab, pünktlich und exakt. Wie gewohnt in den letzten zehn Jahren. Der vorletzte Text. Den letzten über Frenzy Höhne in der ODP-Galerie hatte ich selbst eingerührt.

Dass ich anfing für die LVZ zu schreiben, war eher Zufall. Ich erwähnte 2011 auf Facebook, dass ich gerade meine letzte Ausstellungsrezension für den Stadtstreicher Chemnitz abgeliefert habe. Da fragte mich Meinhard Michael, ob ich nicht auch in Leipzig mal was schreiben wolle. Gern. Ironie der Geschichte war, das Michael einige Wochen später vom damaligen Chefredakteur geschasst wurde. Das wollte ich nicht, aber ich profitierte davon.

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Die neue Inquisition

Caroline Fourest setzt sich scharf mit den linken Identitären auseinander

Sie ist Frau, lesbisch, links. Eigentlich könnte es sich die Französin Caroline Fourest bequem in der Opferrolle einrichten und rumjammern. Doch sie hat schon zu viele Idiotismen der dogmatisch-linken Identitären erlebt und über noch viel mehr sorgfältig recherchiert und legt mit Generation beleidigt eine scharfe Abrechnung mit diesen Sektiererinnen und Sektierern vor.

Gestern kämpften Minderheiten gemeinsam gegen Ungleichheiten und patriarchale Herrschaft. Heute kämpfen sie, um herauszufinden, ob der Feminismus „weiß“ oder „schwarz“ ist. Bei all diesem Differenzieren in immer kleiner Opfergrüppchen, die in den Wettbewerb miteinander treten, gerät die Frage der sozialen Ungerechtigkeit immer mehr in den Hintergrund, auch wenn gerade von Leuten, die wohl Marx nie gelesen haben, der Begriff Klassismus als neuester Scheiß in die Welt gesetzt wurde. Caroline Fourest sieht diese neue Spaltung als einen Generationenkonflikt. Kann sein, das würde aber nichts Gutes bedeuten. Bei dem Konflikt um Wolfgang Thierses Äußerungen deutet sich solche ein Kampf Alt gegen Jung aber tatsächlich an.

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Oberhalb der maschinenbetriebenen Rußstadt

Patricia Holland Moritz widmet dem Ort ihrer Kindheit und Jugend, dem Chemnitzer Stadtteil Kaßberg, einen Roman

Der Kaßberg war bis 1945 das Chemnitzer Stadtviertel der „besseren“ Schichten, ist heute wieder das beliebteste Wohngebiet der Stadt. Diese hat vor dreißig Jahren den übergestülpten Namen des aus Trier stammenden Theoretikers der Arbeiterbewegung wieder abgelegt, welcher jene Stadt „wo jeder Auswärtige sagte, er sei mal durchgefahren und sie habe eine schöne Umgebung“ nie betreten hatte. Die Schriftstellerin Patricia Holland Moritz, Jahrgang 1967, ist auf dem Kaßberg aufgewachsen, doch nur bedingt mit dieser Ulrike identisch, die zu Beginn ein unbeschwertes Kindergartenkind, zum Schluss eine dicke Teenagerin ist. Es ist ein Roman, keine Autobiografie. Und erst recht keine Dokumentation.

„Man musste etwas mitbringen, um hier leben zu können, es hier auszuhalten, ohne verrückt zu werden“, sagt die Autorin schon auf den ersten Seiten über Kaßbergen, wie der über dem Talkessel schwebende Stadtteil bei ihr heißt. Später wird aber klar, dass die Dichte an Verrückten da nicht höher war und ist als anderswo.

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280 Zeichen Poesie

Schriftsteller wie auch Nichtautoren nutzen Twitter als Experimentierfeld für literarische Miniaturen

Die ganz großen Namen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur wird man allerdings kaum mit einem eigenen Twitter-Account finden. Und wenn doch, dann nur um auf Neuerscheinungen, Lesungen oder Preisverleihungen hinzuweisen. Ein Marketinginstrument, nicht mehr. Dass ein Großmeister wie Peter Handke dennoch auf Twitter opulent vertreten ist, liegt an seinem Ausspruch, mit dem er die Kritiker an der Nobelpreisvergabe abfertigen wollte: „Ich bin ein Schriftsteller, komme von Tolstoi, ich komme von Homer, ich komme von Cervantes …“ Das war ein gefundenes Fressen für Häme und unzählige Abwandlungen.

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