Farbloser Brief an einen keinesfalls Blauen

Herr Menzel,

da haben Sie also wieder mal (k)einen blauen Brief verschickt. Bisher waren die Adressaten ja normalerweise mehr oder weniger hochrangige Parteipolitiker. Nun ist es die Staatsanwältin Klenke. Die kannte ich bisher nicht, habe aber von ihr ebenso wie Sie vorige Woche ein Schreiben bekommen. So richtig traditionell, oder konservativ, wie sie zu sagen belieben, auf Papier ausgedruckt und per Post zugestellt. Da stand drin, dass Ihre Anzeige gegen mich wegen Beleidigung nicht von öffentlichem Interesse sei und darum fallengelassen wird. Das freut mich eigentlich, denn der Zeitaufwand für ein Gerichtsverfahren ist doch unproduktiv. Andererseits hatte ich mich schon darauf vorbereitet und für einen sehr wahrscheinlichen Freispruch gute Argumente gesammelt. Weiterlesen

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Schöner feiern

Meine liebsten Namen von Kneipen oder Clubs in Leipzig:

1. Ilses Erika

2. Noch besser leben

3. Besser leben

4. Schlechtes Versteck

5. Conne Island

6. Nato

7. Horns Erben

8. Wärmehalle Süd

9. Staubsauger

10. Kulturwirtschaft Waldfrieden

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Ja sie lebt noch (ein bisschen)

Kaum etwas bewegt die Chemnitzer derzeit mehr als der taz-Artikel Cui bono, Chemnitz? von Michael Gückel und die Reaktionen darauf. Etwas übertrieben fand ich aber die Einblendung unter den Kommentaren bei taz-online: Vorwurf der Leichenschändung. So ist das mit der eingeschobenen Werbung, da ergeben sich häufig nette Assoziationen.

Passender sind zum Thema zwei andere Medienfundstücke. In der ZEIT 52/2011 äußert die Chemnitzer Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig zu den Wünschen für das neue Jahr allen Ernstes: Das Etikett „Industriestadt“ ist heute kein Makel mehr, sondern ein Gütesiegel. Weiter: Und eine wichtige Botschaft für junge Leute lautet: Hier kann man inzwischen eine internationale Karriere starten, ohne seine Wurzeln dafür aufzugeben.

Wegen ihres Idealzieles, das Sächsische Manchester wieder aufleben zu lassen, sollte Frau Ludwig nochmal bei Friedrich Engels bezüglich der Nebenwirkungen nachlesen. Und wegen der Wurzeln war im Stadtstreicher, dem Chemnitzer Stadtjournal, ausgerechnet in der Jubiläumsausgabe zum Zwanzigsten eine düstere Karikatur mit vielen Grabsteinen zu sehen, auf denen unter anderen steht: Splash, Cube, ZV-Bunker, Konzerte im Kraftwerk …  So bleibt den jungen Karrieristen nicht viel anderes übrig, als nach der Schicht an der Stanze entweder in der Stadthalle zu volkstümlichen Weisen zu schunkeln oder mitzufiebern, dass der CFC die mühsam errungene Drittklassigkeit halten kann.

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Ein verlorenes Land namens BRD

Bie 2001 gab es einen ganzen Packen Bücher aus dem Verbrecher Verlag für wenig Geld. Auch wenn ich von den 10 Bänden erst die Hälfte geschafft habe, will ich nach und nach die Eindrücke vor dem gänzlichen Verblassen einfangen. Also ganz von vorn. Noch am Algarve-Strand – das passt – habe ich My private BRD von Ambros Waibel gelesen.

Eine Kindheit und Jugend im München der siebziger Jahre wird seziert. Das ist an sich nichts aufregendes, und  tatsächlich passiert bei Waibel nicht viel Spektakuläres. Sich mit Hilfe eines befreundeten Arztes vor der Wehrpflicht drücken wollen, dann aber doch gehen, ist ja nicht so außergewöhnlich. Doch der Autor findet einen angenehm selbstironischen Ton zur Schilderung dieses kleinbürgerlichen Milieus zwischen Nachbarschaft, Schule und Vereinen, das immer ein wenig auf der Kippe steht. Der Vater sondert sich ab, der Bruder schlägt eine linksradikale Karriere ein, und über sich selbst sagt Waibel: Meine einzigen Schwächen sind Feigheit, mangelndes Selbstbewußtsein und Größenwahn. Das Leben eckt immer wieder an, ohne wirkliche Schmerzen zu bereiten.

Eigentlich müsste es aus östlicher Perspektive eine fremde Welt sein, diese private BRD. Doch vieles kommt einem so sehr vertraut vor, nicht erst jetzt, da man auch die diversen Warenmarken aus eigener Anschauung kennt. Und was fremd erscheint, ist vermutlich wegen der Patina auch für viele Münchener schon etwas seltsam.

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Mut zum Zweithören

So ist das mit den Weihnachtsgeschenken: Hören wollte ich Lulu – die CD des seltsamen Teams Lou Ree & Metallica schon mal, nach der Lektüre einer vernichtenden Kritik in der ZEIT aber nicht unbedingt besitzen. Nun lag sie unterm imaginären Tannenbaum.

Easy listening lässt schon das Thema nicht erwarten, diese bluttriefende Story einer Teilzeitprostituierten nach Frank Wedekind bzw. Alban Berg. Doch auch die Musiker brachten ja bisher nur gelegentlich Stücke wie Nothing else matters (Metallica) oder Pefect day (Reed) auf den Markt, die zum Wunderkerzenschwenken taugen. Schwerwiegender ist vielleicht noch, dass Lou Reed, der in Kürze 70 wird, nicht mehr singen kann. Auf ZDF Kultur sah ich im Sommer die Übertragung eines französischen Rockfestivals, wo er in Begleitung junger, guter Instrumentalisten alte Songs vor sich hinbrabbelte.

Zwar lässt sich mit zeitgenössischer Studiotechnik einiges zaubern, doch auch das hat Grenzen. Insgesamt wirkt das Opus, die erste der beiden CDs ganz besonders, wie ein neues Lou-Reed-Album, zu dessen Produktion er paar zusätzliche Musiker benötigte. Da die harten Jungs von Metallica gerade im Nebenstudio auf den Pizzaservice warteten, sind sie eben eingesprungen. Also ein knorriges Rezitativ, schon von der Verstechnik her nicht immer mit Rhythmus belastet, auf dem Teppich gitarrendominierten Sounds, der zuweilen ins Kakophonische hinübergleitet. Neben einigen sehr schrägen Passagen sind es aber gerade Hetfield, Ulrich, Trujillo & Hammett, die für einprägsame Melodiebögen sorgen und etwas Versöhnung aufkommen lassen.

Kurz: zu meinen Lieblingsscheiben wird Lulu wohl nicht gehören. Doch es stimmt auch nicht, dass man – wie es in der ZEIT stand – sie kein zweites Mal hören kann. Das tue ich nämlich gerade.

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Der elfte Poet

Vier Monate ist es schon her, als ich die Nr. 11 des Leipziger Literaturmagazins (in Buchform) namens poet zugeschickt bekam. Höchste Zeit nach der kleckerweise gestreckten Lektüre für eine kleine Rezension.
Wieder ist der Band mit den fast 300 Seiten spartenmäßig unterteilt, aber mit Besonderheiten. Weiterlesen

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Amtlich schadensfrei

Das Amt sei beschädigt, lamentieren gegenwärtig die Medien mit Vehemenz. Ja was ist denn kaputt da bei Wulffs in ihrem Berliner Zweitwohnsitz? Das Telefon scheint ja zu telefonieren. Oder hat er sich eines geborgt, als er auf Shakehand-Tour bei befreundeten Diktatoren war, um nicht mehr befreundete Redakteure auf diese Drehung des „Gefällt mir“-Daumens hinzuweisen? Angekratzt hat er damit jedenfalls bei Intellektuellen vorherrschende Abneigung gegen ein bestimmtes Boulevardblatt, mit dem sie nun leider solidarisch sein müssen.

Oder ist im Schloss Bellevue die namensgebende schöne Sicht beschädigt, etwa durch den Bau der A 100? Der Ausblick auf die weitere Amtszeit könnte immerhin getrübt worden sein.

Aber es geht doch nicht um dem Amtssitz, sondern das Amt, das die Person mit jenem Titel ausfüllt, werden Nörgler nun sagen. Wieso denn? An einer unweit gelegenen Immobilie steht doch drangeschrieben „Bundeskanzleramt“. Und wenn Frau Merkel von einer ihrer Spritztouren nach Paris zurückkehrend die Garageneinfahrt zu schwungvoll nimmt, dann hat sie das Amt beschädigt, ist doch ganz eindeutig.

Aber das Amt des Präsidenten steht noch etwas über dem der Kanzlerin, formal gesehen. Ein Hochamt also, da gibt es keine Garageneinfahrten, nur Himmelstore. Welchen symbolischen Schaden hat denn Wulff nun angerichtet? Sein Vorgänger musste zurücktreten, weil er die Wahrheit gesagt hat wegen der Kriegsgründe in Afghanistan. Davon hat der jetzige Amtsleiter doch hervorragend gelernt – bloß nicht zu viel sagen oder zu zeitig. Ein Wahrheitsgelübde kann also nicht zur Hausordnung gehören, die er nun verletzt haben soll.

Oder hat gar das Frollein vom Amt, die von den Medien unisono als attraktiv bezeichnete Reisebegleiterin des Präsidenten, einen Schaden? Davon wurde nichts bekannt.

Möglicherweise irren sich alle mit ihrer hohlen Floskel. Gibt es da überhaupt was zu beschädigen? So stromlinienförmig, luftig, fast unsichtbar wie dieses Amt ist, so unkaputtbar ist es doch auch. Jedes Bauamt kann mehr Schaden anrichten.

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Zeit der Abrechnung

Schaun wir doch mal, was aus den persönlichen Vorhaben für 2011 geworden ist:

1. bleibt zur Wiedervorlage, nur dass jetzt die Version 3.3. aktuell ist

2. naja, was heißt lernen? ungefähr 10 Akkorde kann ich schon

3. grandios gescheitert

4. eine selbsterfüllende Prophezeiung

5. kaum kündige ich an, teilnehmen zu wollen, fällt die Aktion aus. ich sollte wohl solche Drohungen sein lassen

6. kann sein, weiß nicht genau

7. erfüllt

8. nicht gefunden, nicht geschrieben

9. kein Problem

10. zum Glück haben wir keine Waage.

Und 2012?

1, 2, 8 und 10 bleiben als Wiedervorlage bestehen. Eigentlich auch die 9, aber man so klar ist ja nicht, ob alle Koalitionen halten. Bleiben also fünf Vorhaben offen:

1. wieder zwei Bücher veröffentlichen, natürlich andere als 2011

2. alle Leipziger Museen besuchen, in denen ich bisher noch nie war

3. an irgendeiner Ausstellung teilnehmen, notfalls eine eigene machen

4. Artikel in mindestens einer überregionalen Zeitung unterbringen

5. dieses Blog viel häufiger füttern.

So, das dürfte reichen.

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Alternativvorschlag

Stresstest ist also das Wort des Jahres 2011. Ich habe da einen anderen Vorschlag. Eigentlich sind es zwei Wörter, aber das eine ist nur zugehöriger Artikel: die Märkte. Wie nie zuvor trat in diesem Jahr diese heimlich-unheimliche Macht in Erscheinung. Politik wird eigentlich nur noch für die Märkte gemacht. Im Augenblick sollen sie sich vor allem beruhigen, da sie gerade cholerisch im Dreieck springen mit hochrotem Kopf. Lokalisieren oder beim Namen nennen lassen sie sich kaum, Dax oder Dow Jones sind doch nur Decknamen, biometrisch nicht auslesbar. Und solche Gesichter wie Josef Ackermann sind austauschbar, die Märkte aber bleiben. Auch 2012.

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Zeit ohne Alternativen

Noch vor wenigen Jahren konnte der slowenische Pop-Philosoph Slawoj Žižek in seinem Buch mit dem bezeichnenden Titel Auf verlorenem Posten behaupten, dass der Begriff Kapitalismus aus dem allgemeinen Sprachgebrauch verschwunden sei. Die Finanzkrise von 2008 hat dem Schein-Zombie aber eine Mund-zu-Mund-Beatmung verpasst, heute ist er trotz eines erbärmlichen Verwesungsgestanks lebendiger als vor zwanzig Jahren, wo Francis Fukuyama wegen seines Siegesgrinsens das Ende der Geschichte einläuten wollte.

Zeit für Die Zeit, eine Serie Was ist die Alternative zum Kapitalismus? einzuläuten. Es fing so schön an. Im ersten Teil des Zyklus, erschienen in Nr. 46 am 10. November, arbeitete neben einem verzichtbaren Crashkurs zu Sozialutopien von Bibel bis Bolschewismus und weiteren Ausflügen in die Geschichte Wolfgang Uchatius sehr treffend das Grundproblem des gegenwärtigen Kapitalismus heraus – die Reichtumsfalle. Der dem Kapitalprinzip eingeschriebene Zwang zum ewigen Wachstum ist an die Grenzen gestoßen. Wir haben alles! Ja, nicht jeder. Aber prinzipiell. Nun bräuchte man eigentlich nur noch etwas gerechter verteilen und auf weitere Überproduktion verzichten. Doch das wäre ja kein Kapitalismus mehr. Zwar ist der weder im bundesdeutschen Grundgesetz noch in der amerikanischen oder französischen Verfassung festgeschrieben, aber wohl doch eine unumstößliche Basis unterdessen fast der ganzen Welt. Also beschließt die Bundesregierung lieber ein Wachstumssicherungsgesetz als ein Umverteilungsgesetz.

Der ganz intelligenten Zustandsanalyse hätten dann in der nächsten Ausgabe der Hamburger Wochenzeitung die eigentlichen Entwürfe für Alternativen folgen können. Doch darauf warte ich seit drei Wochen vergeblich.

In Nummer 47 ist schon die Überschrift bezeichnend: „Nichts ist kostenlos“ wird da Singapurs greiser Autokrat Lee Kuan Yew zitiert. Der singapurische Kapitalismus mag sich ja durchaus vom europäischen unterscheiden, das tut auch der japanische, aber wo steckt da die Alternative? War Nordkoreas Sozialismus etwa ein brauchbarer Gegenentwurf zu dem der DDR? Als Zugabe doziert schließlich noch der US-Wirtschaftswissenschaftler Niall Ferguson über die Renaissance des Staatskapitalismus. Auch nicht sonderlich originell.

Ein Lichtblick: In Nummer 48 diskutieren sechs Zeit-Redakteure – hinter krypischen Formeln verborgen, aber dennoch nicht anonym – über das utopische oder auch gesellschaftsverändernde Potenzial des Internets. Da werden, abgemildert durch den flapsigen Umgangston, durchaus Gedanken geäußert, die eigentlich nicht mehr so absolut originell sind, aber doch noch nicht zum Standard des politischen Denkens gehören. Beispielsweise zur subversiven Kraft der freiwilligen, unentgeltlichen Bereitstellung von Wissen im Netz oder des Crowdsourcing. Das Palaver schließt mit einem „Hallejuja“. Es kommt vom Ressortleiter Wirtschaft, nicht von der Ressortleiterin Glauben und Zweifeln. Dass zum Schluss des Artikels die Rede um einen Neuen Mensch geht, zeigt schließlich, dass trotz der netten Ansätze auch hier Kapitalismus mehrheitlich als eine mentale Angelegenheit verstanden wird.

Dem wird dann in Ausgabe 49 die Krone aufgesetzt: Die Menschen müssen erst noch lernen, was sie glücklich macht, sagen Verhaltensforscher. Dann ändert sich auch die Gesellschaft. Das ist die lange Unterzeile des Artikels Formel für ein besseres Leben von Uwe Jean Heuser. Na toll, kenn ich das nicht aus der jüngeren Geschichte, an der ich selbst noch teilgenommen habe? Eine Alternative zum Kapitalismus sollte das zwar auch sein, aber eine katastrophal unbrauchbare. Darum wird in den anderen Beiträgen auch gar nicht erst über die Umerziehungsprogramme diverser Diktaturen gesprochen, sondern das Himalaya-Königreich Bhutan als das Gegenentwurf gepriesen. Dort gibt es immerhin einen Minister für Glück. Sollte aber der nächste G 20-Gipfel beschließen, die Weltwirtschaft nach dem Beispiel Bhutans umzukrempeln, werden die Börsen so heftig darauf reagieren wie auf die Slow-food-Bewegung, die sich ja auch dem Wachstumssteigerungsgesetz entgegenstemmt.

So bleibt Die Zeit mit ihrer groß angekündigten Serie seltsam alternativlos. Vielleicht ist es ja doch das falsche Medium für solch ein Thema.

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