Gruppenbild mit Lücken

Der Erwerb von Frédéric Valins Buch Randgruppenmitglied ist ein Resultat der Buchmesse, genauer der Lesung der unabhängigen Verlage im Lindenfels Westflügel. So wie üblich beim Berliner Verbrecher Verlag ist der Umschlag ganz minimalistisch gestaltet, schlichte Typo auf roter Fläche.

Unaufgeregt ist auch der Ton des Erzählers. Die narrativen Muster sind traditionell, ebenso die Sprache. Etwas aus der Norm fallen nur die Protagonisten, wie der Titel schon annehmen lässt. Das, was sie zum „Rand“ macht, ist bei den sechs Texten des schmalen Buches ganz verschieden geartet. Ob die Altersgebrechlichkeit heute wirklich ein Außenseiterphänomen ist, kann dabei bezweifelt werden. Doch auch die anderen stigmatisierenden Merkmale wie Ausländer zu sein, Punk in der Provinz oder WG-Bewohner sind nicht sonderlich exotisch. Am ungewöhnlichsten muss da noch die Asexualität des Helden in der titelgebenden Geschichte erscheinen, doch auch die ist nur partiell. Genau mit diesen Übergängen zwischen einer Norm, die es gar nicht geben kann, und den leichten Abweichungen davon spielt Valin auf zumeist ganz gekonnte Weise. Nur eine Sache verdirbt den guten Gesamteindruck gewaltig: dass der einst so knallharte Punker Jochen zum Unternehmensberater bei Ernest & Young geworden ist. Er hätte obdachlos werden können oder Astronaut, Sozialarbeiter oder Verkehrspolizist. Aber in jeder Vorabendserie, wo mal ein Punk vorkommt, wird der später Broker bei der Deutschen Bank oder Unternehmensberater bei Ernest & Young. Bitte mehr Fantasie bei der Berufsberatung von Aussteigern!

Veröffentlicht unter kritik, literatur | 1 Kommentar

Aus meinem Tagebuch der Moderne IV

Als ich im Oktober 2009 zur Vorbereitung eines Vortrages in der TU Chemnitz zum Thema „Stadt der Moderne“ Literatur suchte, um diesen allgegenwärtigen Begriff der Moderne etwas genauer zu untersetzen, war ich ziemlich erstaunt, nichts zu finden. Nicht nur im Buchladen, auch in der Nationalbibliothek, die alles deutschsprachige Schriftgut seit 1912 sammelt, fand sich nichts, das meinen Erwartungen entsprach. Die Anzahl der Treffer ist zwar gewaltig, doch fast immer geht es um bestimmte Aspekte der Moderne, vor allem aus dem ästhetischen Bereich. Also: DIY! Einige tausend Buch- und Aufsatzseiten später bin ich noch weit entfernt von einer Definition (und der Stapel der noch geplanten Literatur wächst, statt abzunehmen), doch es zeichnen sich Konturen ab. Weiterlesen

Veröffentlicht unter tagebuch der moderne | Hinterlasse einen Kommentar

Dathenfehler

Weshalb mir der Name Dietmar Dath in positiver Erinnerung geblieben ist, kann ich nicht mehr rekonstruieren. Jedenfalls habe ich ohne langes Überlegen zugegriffen, als ich in der Buchhandlung „Sämmtliche Gedichte“ dieses Autors sah. Wäre es wirklich ein Lyrikband mit fast 300 Seiten, hätte ich den Fehler des Kaufs nicht gemacht. Doch das Taschenbuch ist ausdrücklich als Roman gekennzeichnet.

Die trotzdem recht üppig eingestreuten Gedichte des Romanhelden Adam Sladek hielt ich anfangs für Parodien auf die verbreitete Mittelmäßigkeit des heutigen Literaturbetriebes. Doch nachdem ich mal nach Dietmar Dath im Netz gesucht hatte und da auch auf Dichtungen stieß, die er unter eigenem Namen veröffentlicht hat, merkte ich: Er kann es nicht besser.

Außerdem hatte ich gehofft, die gedrechselte Sprache der Prosapassagen möge sich normalisieren. Doch das passiert nicht, das Geraspel geht bis zum Schluss so durch. Beim Googeln habe ich dann auch festgestellt, dass Dath unter anderem als „Lenin 2.0“ bezeichnet wird. Außer einer beiläufigen Erwähnung der „UZ“, also des Blattes der DKP, ist allerdings keine plakativ politische Handlung zu finden, auch wenn der Fiesling des Romans ein neureicher Emporkömmling ist.

Sladek wird in die Villa ebenjenes Milliardärs entführt, der sein Geld mit Entwicklungen in der Genetik gemacht hat. Die „Sämmtlichen Gedichte“ (der gewollte Schreibfehler soll auf das 18. Jahrhundert verweisen, warum auch immer), die Sladek in der Gefangenschaft mit Freigang zu schreiben hat, sind ein Experiment des Wissenschaftler-Unternehmers. Dessen Sinn erschließt sich nur Dath selbst, der tatsächlich eine naturwissenschaftliche Ausbildung hat. Und er taucht unter seinem Klarnamen auch im Roman auf. Nicht als Ich-Erzähler, sondern in der dritten Person. Als Gehilfe des Entführers spielt er eine zunehmend miese Rolle. Sich selbst in einem Text als Verbrecher zu bezeichnen, ist eine ausgesprochen widerliche Art von Koketterie.

Das Ganze endet in einer blutigen Run-and-jump-Szenerie. Die Verschränkung von Trash und versuchter Erhabenheit bezeichnet man heute in der Literatur zumeist als postmodern. Doch für Bücher mit diesem Etikett habe ich mich sehr selten begeistern können. Den Fehler, einen Dath zu kaufen, werde ich jedenfalls nicht mehr machen.

Veröffentlicht unter kritik, literatur | Hinterlasse einen Kommentar

Nun schrumpft sie auch noch

Vor nicht so langer Zeit hatte ich ja über Edits Magerkeit geschrieben. Unmittelbar vor der Buchmesse erschien das neue Heft. Als Doppelheft 54/55 deklariert hat es zwar 140 Seiten, ist aber nur noch halb so groß im Format. Das soll nach Willen der im Rotationsprinzip wieder einmal recht aufgefrischten Redaktion signalisieren, dass es sich um eine ganz besondere Ausgabe handelt. Es geht ausschließlich um Prosa. Die Lyrik mal für eine Ausgabe zu verbannen, mag so außerordentlich für eine Literaturzeitschrift nicht unbedingt sein, doch es geht um mehr. Acht Prosatexte im eigentlichen Sinn hat ohnehin jede normale Edit, andere Zeitschriften zuweilen mehr. Anstachelungsobjekt war aber die vor vier Jahren erschienene BELLA Triste Nr. 17, die sich ganz und gar der Lyrik verschrieben hatte. Was die Hildesheimer Schreiberlehrlinge können, müssen die Profis des einzigen, richtigen und unverwechselbaren Deutschen Literaturinstituts Leipzig erst recht können. Darum also dieses Prosa-Sonderheft. Diese Bt 17 war schon etwas Eigenes, nicht nur eine von vielen Anthologien deutschsprachiger Gegenwartslyrik, sondern auch noch mit einer Interpretation zu jedem Autor versehen, welche dann teilweise nochmals von einer anderen Fachkraft kommentiert wurde. Zwar hat sich mein Zugang zu der Art von heutiger Dichtung, welche im etablierten Literaturbetrieb akzeptiert wird, noch nicht tiefgreifend verändert, aber das mag an mir selbst liegen.

Diese Edit hält dem Vergleich mit dem erklärten Vorbild nicht stand. Nicht nur, dass gerade mal acht Texte bei weitem nicht die Vielfalt heutiger Kurzprosa auch nur annähernd spiegeln können. Auch die Essays und knappen Stellungnahmen weiterer Autoren sagen dem, der ohnehin viel liest, wenig Neues. Ein erleichtertes Verständnis der stilvoll auf rosa Papier gedruckten „richtigen“ Literatur sollen sie ohnehin nicht liefern, ist vielleicht auch nicht so nötig wie bei Lyrik. Herauslesen konnte ich nur eine gewisse Verteidigungshaltung. Kurze Prosa wolle angeblich niemand haben. Als würde jemand nach Lyrik schreien! Ich mag kurze Prosa, schon deshalb, weil man schneller weiß, ob es einem gefällt, die Enttäuschung nicht 1680 Seiten mitgeschleppt werden muss. Und wer nicht allzu viel Zeit zur Lektüre neben dem Broterwerb hat, kann die kleine Form sowieso besser konsumieren. Also nicht so viel auf das Genöle der Großverleger geben, weiter schreiben!

Veröffentlicht unter kritik, literatur | Hinterlasse einen Kommentar

Narzissten im Verfolgungswahn

Er wollte die Preisverleihung verhindern und hätte sicherlich auch nicht zurückgeschreckt, Antifa-Schläger zu der Villa zu schicken, wo am Abend die Gewinner des Rilke-Preises sowie Autoren des Buches zusammenkamen. Starke Worte, die mich betreffen. Zwar habe ich keine Verbindungen zu irgendwelchen Gewalttätern jeglicher Ausrichtung und hasse auch Gewalt gegen Schwächere, aber für die Macher der Blauen Narzisse gehört es zum Ritual, sich selbst als Verfolgte einer durch und durch linksorientierten Staatsmacht und Presse darzustellen. Auslöser war mein Artikel in der Leipziger Volkszeitung vom vorigen Donnerstag über die bevorstehende Vorstellung des von der BN herausgegebenen Buches, das als Ergebnis des von dieser Internetplattform initiierten Rilke-Preises escheint.

Zur Darstellung auf der Website der BN, ich hätte mehrfach unter falschem Namen bei ihnen und dem Gerhard Hess Verlag (wo das Buch erschienen ist) angerufen, um den Termin und Ort der Präsentation zu erfahren, habe ich ihnen schon was ins Stammbuch geschrieben. Es ist eine plumpe Lüge. Ich habe sowohl dem Verlag als auch Felix Menzel, dem Chefredakteur der BN gegenüber bei meinen jeweils einzigen Anrufen meinen richtigen Namen und auch das Anliegen benannt. Aber wer kann sich schon als verfolgt darstellen, wenn der Verfolger einfach so anruft und nicht einmal die Telefonnummer unterdrückt?

Um als Helden des Widerstandes gefeiert zu werden, müssen die Narzissten schon eine übermächtig erscheinende Drohkulisse aufbauen, der sie mutig widerstehen. Wäre die Präsentation ihres Buches so wie die mehr als 1500 anderen Veranstaltungen von „Leipzig liest“ ganz normal öffentlich angekündigt worden, hätte sich wohl kaum jemand dafür interessiert. Um aber den Hauch des Untergrundkampfes gegen die allgegenwärtigen Gutmenschen zu wahren, mussten Ort und Zeit geheim gehalten werden, die Infos erhielt nur ein Zirkel Auserwählter, deren Gesinnung der BN unverdächtig in ihrem Sinne erscheint. So heißt es dann auch in dem Beitrag auf ihrer Internetseite: Die Lokalpresse (Leipziger Volkszeitung, LVZ) und die Lakaien der Antifa-Journalistin Andrea Röpke versuchten bis zuletzt, die Präsentation zu verhindern, blieben aber letztendlich erfolglos. Solche Bilder brauchen sie zur Stilisierung: ein gnadenloser, keulenschwingender linker Mob jagt das Häuflein Aufrechter durch sämtliche Messehallen, bis sie endlich am Stand des Leipziger Literaturverlages Schutz und Asyl finden. Hoffentlich sind die feuchten Flecke in den Hosen dieser Knaben unterdessen wieder getrocknet.

Veröffentlicht unter leipzig, literatur, politik | 9 Kommentare

Protesterklärung

Hier erst einmal die Weiterleitung einer Protesterklärung des Leipziger Literaturverlages. Zu der Sache werde ich mich in Kürze noch selbst äußern:

Protesterklärung gegen die Vereinnahmung Rilkes und des Leipziger Literaturverlages als Rilke-Herausgeber

Der Leipziger Literaturverlag distanziert sich mit aller Entschiedenheit vom Versuch der Internetplattform „Blaue Narzisse“, den Dichter Rainer Maria Rilke für politische Meinungsbekundungen zu mißbrauchen. Der Leipziger Literaturverlag ist bekannt für sein Engagement, der Literatur kleinerer Länder Europas in Form zweisprachiger Ausgaben eine Stimme zu verschaffen und eine Brücke zu bauen, die der Verständigung dient. Die Vertreter dieser Internetplattform, die sich hinter der Maske des „Vereins für Jugendkultur und Journalismus e.V.“ in Chemnitz verstecken, benutzen die hohe Reputation, die Rilke in der Literatur genießt, in heuchlerischer Weise als Vorwand, um ihre nationalistische Haltung in der bürgerlichen Mitte sowie in linken und liberalen Milieus salonfähig zu machen. Der von dem Verein ausgeschriebene sogenannte „Rilke-Jugendpreis“ wird als troja­nisches Pferd losgeschickt, um Harmlosigkeit vorzutäuschen, während sich hin­ter der Fassade keine literarischen oder künstlerischen, sondern politisch-extreme Absichten verbergen. Doch Rilke gehört allein der Dichtung und jeder Versuch, ihn vor den Karren nationalistischer Anschauungen zu spannen, wird langfristig scheitern. Die Rilke-Übersetzerin Margret Millischer trat der nationalistischen Vereinnahmung Rilkes energisch entgegen. In ihrer Entgegnung stellte sie heraus, daß Rilke weder als deutscher noch als ausschließlich deutsch­spra­chiger Dichter betrachtet werden kann. In Prag geboren war er zunächst österreichischer, später tschecho­slowakischer Staatsbürger. Als Wanderer in Europa lebte er die meiste Zeit sei­nes Lebens in Frankreich oder in der fran­zösischsprachigen Schweiz, denn er reagierte aller­gisch auf den militä­rischen Korpsgeist, den er im Österreich der k.u.k.-Monarchie, aber auch im spät­wilhelminischen Deutschland empfand. Seine Freunde und För­derer waren über ganz Europa verstreut. Ohne ihre Unterstützung hätte Rilke sein großartiges dich­te­risches Werk nicht schaffen können. Der Leipziger Literaturverlag fühlt sich der Wahrheit verpflichtet und lehnt jegliche Vereinnahmung Rilkes für nationale Interessen ab.

Viktor Kalinke & Silke Brohm

Leipziger Literaturverlag

Veröffentlicht unter leipzig, literatur | 5 Kommentare

Bücher gemessen

Das war´s dann schon wieder mit der Buchmesse. Jedenfalls brauch ich heute erst mal etwas Erholung nach zwei langen Tagen Rumlaufen, angucken, staunen, quatschen, durchwühlen. Und zwei Abende Lesungen. Der dritte wurde dadurch verhindert, dass die Stadtbibliothek schon dreiviertel Acht überfüllt war, wir also dem neuen Träger des Preises der Leipziger Buchmesse nicht zuhören konnten. Aber die Vorstellung der neuen Edit und die Nacht der Unabhängigen Verlage im Lindenfels Westflügel haben sich auch gelohnt. Mit „Randgruppenmitglied“ von Frederic Valin ist auch was Materielles hängengeblieben (natürlich käuflich erworben).

Neben einem großen Stapel Papier (zu meiner Entlastung kann ich sagen, dass davon fast nichts ungelesen in den Papierkorb fällt) bleibt wieder mal die Vorfreude auf die nächste Buchmesse.

Veröffentlicht unter leipzig, literatur | 3 Kommentare

Aus meinem Tagebuch der Moderne III

Die komplexe Verwobenheit des Begriffs Moderne wird gerade in Japan auf drastische Weise augenscheinlich, nicht nur in Bezug auf die Gefahren einer übertriebenen Technikgläubigkeit. Reginald Grünenberg schreibt in der heutigen Ausgabe der Tageszeitung Die Welt: Die Ereignisse markieren jedenfalls eine weitere Stufe im Abstieg des einst so reichen wie schönen Inselreichs und das Ende das japanischen Traums, das Ende von „Wakon Yosai“. So lautete seit der Meiji-Restauration von 1868 die Parole der Modernisierer, und sie bedeutet „Japanischer Geist, westliche Technologie“. Japan wollte den technischen Fortschritt um jeden Preis, aber nicht im Paket mit Aufklärung, Kritik, Öffentlichkeit, Demokratie und sozialem Fortschritt, sondern mit dem fabrizierten Mythos von japanischer Eigentümlichkeit, Identität und Tradition, von dem sich viele Japan-Experten auch heute noch blenden lassen.

Veröffentlicht unter tagebuch der moderne | Hinterlasse einen Kommentar

Erster Fortschritt

Meinem zum neuen Jahr gestellten Zielen bin ich einen winzigen Schritt (der dennoch reichlich anstrengend war) näher gekommen: Meine erste Buchveröffentlichung des Jahres ist gerade noch rechtzeitig einen Tag vor der Buchmesseeröffnung aus der Druckerei gekommen. Ist doch was.

Veröffentlicht unter chemnitz, sachsen | Hinterlasse einen Kommentar

Friede mit dir

Dieses Graffiti in der Leipziger Johannisallee finde ich interessant. Vor allem der Slogan Ex Oriente Pax hat es in sich.

Veröffentlicht unter leipzig | 1 Kommentar