Kaum Zwischentöne

Die Dreifaltigkeitsausstellung zur Leipziger Fotografie habe ich zwar noch nicht gesehen, aber heute endlich die von Miron Zownir – auch Fotos – in der Galerie Emanuel Post. Auf diesen Namen (Zownir, nicht Post) bin ich erstmals vor zwanzig Jahren gestoßen, als ich die Bibliothek eines Kunstsammlers sortierte. Dort stand ein schmales Bändchen mit Schwarzweiß-Bildern, das mich tief beeindruckte. Angesichts der Motive hatte ich gar nicht damit gerechnet, dass er noch lebt. Aber Bukowski und Burroughs sind ja auch alt geworden.

Zownir, der seit langem in den USA lebt, ist ein Extremist. Er hat eine Vorliebe für die Ränder der Gesellschaft und bildet diese schonungslos ab. Da gibt es Junkies, Obdachlose, Swinger oder auch Katholiken in Lourdes. Noch heute fotografiert er durchweg in Schwarzweiß und passend zu den Sujets in sehr harter Tonabstufung, Zwischentöne werden reduziert.

Zur Finissage der Ausstellung am 12. März werden auch Filme Miron Zownirs gezeigt.

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Aufstehn reicht noch nicht

Nachdem ich Stephane Hessels Empört euch! nach all den Vorschusslorbeeren doch ziemlich enttäuschend fand, habe ich nun das in diesem Zusammenhang häufig erwähnte Manifest Der kommende Aufstand des Unsichtbaren Komitees gelesen.

Der Text hat zumindest etwas, was dem schwächlichen Aufruf des Veteranen fehlt – den Mut zur Radikalität. Im ersten Teil der Schrift wird der gegenwärtige Zustand der Welt schonungslos seziert. Auch wenn die konkreten Bezüge fast alle aus Frankreich stammen, wird doch ziemlich überzeugend dargelegt, dass ein bisschen reformerisches Rumdoktern an den Problemen nicht mehr helfen kann. Diese Analyse des Spätkapitalismus ist inhaltlich und sprachlich brilliant, die berechtigte Wut nimmt man dem Autorenkollektiv durchaus ab.

Doch dann kommt der schwierigere Teil – die Frage nach dem Wie weiter? Und da findet sich schließlich nur eine Ansammlung altbekannter, aber noch nie funktionsfähig gewesener anarchistischer Rezepte: Kommunen bilden ohne jede Hierarchie und Struktur sowie undifferenziertes Zerstören des bestehenden Apparates. Dass damit ein gesellschaftliches Zusammenleben zunächst nicht möglich ist, wird den Autoren immerhin klar. Doch geradezu infantil wirkt dann der Ratschlag, zu landwirtschaftlich-handwerklicher Autarkie zurückzukehren. Nicht nur, dass die heutige stark angewachsene Weltbevölkerung damit nicht mehr ernährt werden könnte, ist ein Widerspruch in sich. Offensichtlich haben es die Schreiber nie selbst ausprobiert, was es bedeuten würde, sich auch nur die nötigsten Grundnahrungsmittel selbst anzubauen. Dieses Bemühen würde im gravierenden Widerspruch zum vorher geäußerten Aufruf, sich dem Zwang zur Arbeit zu verweigern, stehen.

Aus dem klandestinen Selbstverständnis des sich bezeichnenderweise Unsichtbares Komitee nennenden Kollektivs erwächst auch ein tiefes Misstrauen gegen das Internet und andere digitale Medien. Das passt mit der reaktionären Zurück-zur-Natur-Ideologie zusammen, die schon zu Zeiten Rosseaus nicht mehr funktionieren konnte. Der Point of no return ist schon lange überschritten. Gerade aus der Offenheit und Schwarmintelligenz des Netzes erwachsen gewisse Hoffnungen, das knallharte Gesetz der Kapitalvermehrung zu unterwandern. Dagegen mit Spaten und Wanderklampfe anzugehen, ist bescheuert.

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Fotoschwemme

Auch wenn die große Überblickschau zur Leipziger Fotografie erst am kommenden Wochenende in gleich drei Museen startet, gibt es schon im Vorfeld einen richtigen Überfluss an Fotoausstellungen in der Stadt, wohl als Ausgleich für das in diesem Jahr ausfallende Festival F-Stop. Über drei davon will ich kurz berichten.

Kunst am Boden. Und an den Wänden der kunsthalle der Sparkasse.

Kunst am Boden. Und an den Wänden der Kunsthalle der Sparkasse.

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Leicht empört

Etwas naiv ging ich vorigen Mittwoch in eine Buchhandlung der Leipziger Innenstadt, um mir das am Vortag erschienene Büchlein Empört euch! von Stéphane Hessel käuflich zu erwerben. Die freundliche Verkäuferin empfahl mir, doch am nächsten Tag nochmal zu kommen, da werde wahrscheinlich die zweite Auflage geliefert. Gestern habe ich es nun gekauft und die kaum 30 Seiten noch am Abend gelesen.

Bezeichnend ist, dass ein 93jähriger Franzose die Jugend auffordert, den Arsch hochzukriegen, während diese sich größtenteils gemütlich in der Konsumgesellschaft einrichtet. Doch so richtig mitreißend finde ich den Appell des Résistance-Veteranen nicht gerade. Das liegt nicht an der Kürze des Textes, Manifeste dürfen nicht langatmig sein. Falsch sind auch die beiden Hauptargumente, warum wir auf die Barrikaden gehen sollten, sicherlich nicht – die immer größere Schere zwischen Arm und Reich und die israelische Politik gegenüber den Palästinensern. Doch es gibt wohl noch eine ganze Menge mehr Gründe für Widerstand. Vor allem aber ist es die allzu dünne Perspektive, die Hessel da als Frucht des Empörens skizziert – eine sozialdemokratisch harmonisierte und wachstumsgebremste Welt, also Kapitalismus light. Na danke. Nun werde ich mir mal Der kommende Aufstand reinziehen. Kommt auch aus Frankreich, ist aber zunächst mal umfangreicher. Und kostenfrei, in gewissem Sinne also von vornherein antikapitalistisch.

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Abwicklungshilfe

Drei Wochen lang war die Bundesregierung sprachlos angesichts der Bemühungen der Ägypter, den Diktator loszuwerden. Nun aber verspricht sie Hilfe – beim Verfassen einer neuen Verfassung. Da hat man ja Erfahrung. Seit 1949 galt in der alten BRD ein Provisorium ohne Absegung des Volkes, und auch nach dem Beitritt der DDR änderte sich daran nichts. Auch der Fakt, dass es eine der wenigen Verfassungen mit Gottesbezug ist, dürfte bei den Muslimbrüdern auf Interesse stoßen.

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Edit hat abgenommen

Die Verkäuferin in der Bahnhofsbuchhandlung meinte, dass der Zeitung der Umschlag abhanden gekommen sein müsse, der Buchblock zeigt die nackte Klebebindung. „Nee, das soll so sein, ist Kunst“, klärte ich sie auf. Die Leipziger Literaturzeitschrift Edit kommt eben seit einem reichlichen Jahr in diesem reduktionistischen Outfit daher. Und nun ist sie auch noch dünner geworden. 66 zu 94 lauten die Maße der gegenwärtigen Ausgabe 53 gegenüber ihrer Vorgängerin. Aber etwas an Masse zu verlieren ist ja nicht immer schlecht.

Tatsächlich ist gleich die erste Geschichte im Heft, „Das fünfte Kind“ von Johanna Maxl, ein Knaller. Ein Kind macht sich auf die Suche nach einem weiteren Geschwisterchen, das die dicke Mutter angeblich „verloren“ hat. Der Fahrtstuhl-Exhibitionist und der Hochhaus-Säufer helfen bei der Suche. Ein toderster Stoff wird hier eigenartig versponnen und poetisch erzählt.

Eine düstere, aber nicht depressive, Grundstimmung haben auch andere Prosatexte in Edit 53, so Roman Pascal Widders „Die Seltenheit des Wiederkäuens beim Menschen“ – die Beschreibung einer seltsamen Krankheit – oder Hinrich von Haarens Bericht über einen verdämmerten Urlaub auf Skye.

Die Gedichte im Heft sind angenehm vielgestaltig: selbstreflexiv bei Elke Erb, exzessiv neologistisch bei Dagmara Kraus oder symbolistisch verspielt bei Matthea Harvey (trotz des Titels „The Future of Terror“). Essays über Karl Valentin von Ulrike Draesner und über das Schlafen von Anna-Elisabeth Meyermachen die Sache rund.

Der Grafikteil in aggressivem Schwarzrot und expressiver Gestik kommt diesmal von…, ja von wem eigentlich? Man muss etwas suchen, um Ivonne Dippmann als die Urhebin festzumachen. Schade, dass zu diesem wichtigen Part nicht auch paar Worte geschrieben wurden. Und schade auch, dass bei einer Grafik das eigentliche Motiv genau im Heftbund verschwindet.

Trotzdem: Die Diät hat Edit gut getan, finde ich.

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Spirituelle Hülsenfrucht

Nicht in jedem Falle ist das Umsichgreifen von Anglizismen frevelhaft, es hat manchmal auch sein Gutes. Täglich komme ich an einer Hauswand vorbei, an der eine Firma namens „Lensspirit“ in großen Lettern für sich Werbung macht. Unvorstellbar, stünde da LINSENGEIST.DE!

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Brechen ja, aber keine Tabus

Auch wenn vermutlich die meisten Leute, die Sarrazin lauthals zustimmen, sein Buch „Deutschland schafft sich ab“ nicht selbst gelesen haben, wird dies insbesondere den Kritikern vorgehalten. Geradezu satirisch wirkt es, wenn die BILD-Leser skandieren: Recht hat er, die Deutschen werden immer dümmer! Ich habe es nun gelesen, mit einiger Mühe, kann mir also ein Urteil bilden. Und das fällt nicht gut aus. Weiterlesen

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Reude schöner Götterfunke

aus: Die Zeit, 03/2011

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Raumgreifend

Als ich am Donnerstag bei einer Ausstellungseröffnung in der Kunsthalle der Sparkasse Leipzig nach den Toiletten suchte, geriet ich in den Untergrund des Gebäudes. Da stand an einer Tür „Interaktiver Raum“. Womit mag er wohl interagieren? Etwa mit der Zeit? Mit anderen Räumen? Oder gar mit Menschen?

Wahrscheinlich war die Tür abgeschlossen, aber ich hatte auch etwas Angst, zu klinken.

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